Grusa: Kunderas Werk wird durch diesen Fall nicht beschädigt

04.11.2008
Der Schriftsteller und Präsident des internationalen PEN-Clubs, Jiri Grusa, hat sich in der Diskussion um die Spitzelvorwürfe gegen den tschechischen Schriftsteller Milan Kundera für eine stärkere Aufarbeitung der Zeit der kommunistischen Diktatur ausgesprochen. Mit der Auseinandersetzung um den Fall Kundera werde Licht in eine dunkle Ecke der tschechischen Geschichte gebracht, sagte Grusa im Deutschlandradio Kultur.
Das Papier, das als Beweisstück für die Denunziation Kunderas im Jahr 1950 angeführt werde, sei echt, äußerte Grusa. Es handele sich allerdings um ein Polizeidokument, nicht um ein Dokument Kunderas: "Und wenn Kundera sagt: ‚Ich war’s nicht’, dann muss ich selbst auch Kundera so etwas wirklich glauben."

Er könne nicht erkennen, dass es sich bei dem Fall Kundera um eine Verleumdungskampagne handele, sondern eher um den "Zusammenfall unglücklicher Umstände", betonte Grusa vor dem Hintergrund einer entsprechenden Erklärung von elf prominenten Schriftstellern, darunter auch vier Nobelpreisträgern. Deren Unterzeichner hatten ihre "Entrüstung über diese Verleumdungskampagne" gegen Kundera zum Ausdruck gebracht.

Kundera habe zu jener Generation gehört, die das Regime zunächst gefeiert hätte, so Grusa. Kundera sei einer der größten tschechischen Autoren, die die Ambivalenz jener Zeit auch beschrieben hätten: "Darum ist diese Nachricht plötzlich so interessant, denn sie hat alle Qualitäten einer Fama, eines Ruf schädigenden Gerüchts."

In seinen Augen sei das Werk von Kundera die größte Leistung der tschechischen Literatur nach dem Zweiten Weltkrieg, erklärte Grusa. Daran werde sich auch durch die jetzige Diskussion wenig ändern: "Im Gegenteil: Es wird vielleicht dazu beitragen können, dass eben auch diese zehn Jahre nach 1948 endlich einmal thematisiert werden."

Sie können das vollständige Gespräch mindestens bis zum 4.4.09 als MP3-Audio in unserem Audio-on-Demand-Player nachhören.