Gruppenschau im Palazzo Ca' Corner della Regina

Der allgemeinen Verunsicherung entgegen

Links Palazzo Morosini Brandolin, rechts Palazzo Ca? Corner della Regina, Canal Grande, Stadtteil San Polo, Venedig
Ein echter Publikumsmagnet: Das Palazzo Ca' Corner della Regina, rechts im Bild © imago/imagebroker
Von Moritz Gaudlitz  · 14.05.2017
Drei bedeutende deutsche Künstler bespielen den Palazzo Ca' Corner della Regina in Venedig: Alexander Kluge, Anna Viebrock und Thomas Demand. Ihre Gruppenschau, kuratiert von Udo Kittelmann, überzeugt voll und ganz.
"The Boat Is Leaking. The Captain Lied" – das Schiff leckt, der Kapitän hat gelogen. Eine Passage aus Leonard Cohens Song "Everybody Knows" und der Titel der aktuellen Schau in der Fondazione Prada in Venedig. In den vergangenen zwei Jahren haben der Kurator Udo Kittelmann, die Bühnenbildnerin Anna Viebrock, der Fotokünstler Thomas Demand und der Schriftsteller und Filmemacher Alexander Kluge an der Ausstellung im Palazzo Ca' Corner della Regina gearbeitet. Ausgangspunkt für das Projekt im bedeutenden dreistöckigen Renaissancepalast war ein Missverständnis: Der Fotokünstler Thomas Demand hatte Anna Viebrock ein Bild des italienischen Malers Angelo Morbelli gezeigt.
"Ich hatte ein Bild gesehen von einem Altersheim für Marinesoldaten. Und das habe ich der Anna gezeigt, weil ich dachte, der Hintergrund sieht aus wie eines von Annas Bühnenbildern und sie hat aber die Leute die im Vordergrund saßen gesehen und dachte an die Darsteller auf einer Bühne. Sie hat es dann an Kluge geschickt und der sah eine Schule für alte Leute und fand das ganz toll, weil er davon überzeugt ist, dass man nie aufhören sollte, sich fortzubilden. Da sieht man schon, dass drei Leute aus drei Disziplinen völlig verschiedene Sachen sehen, wenn sie die gleiche Sache angucken."

Den Raum spannend machen

Gleich im Erdgeschoss des Palazzo fällt die große Videoprojektion in der Mitte der beeindruckenden Säulenhalle auf. Mit Alexander Kluges Film über das Filmemachen "Die sanfte Schminke des Lichts" und der feinen Kameraführung des verstorbenen Michael Ballhaus beginnt die Ausstellung. Direkt daneben erlebt man Anna Viebrocks ersten Eingriff in die Architektur des Ausstellungsortes. Für ihre Arbeit "Four Doors" hat sie vier Räume gebaut, die man aber nicht betreten kann, die Türen sind verschlossen.
"Ich bin mal gespannt, wie das denn so wahrgenommen wird, das kann ich ja noch gar nicht sagen. Ich sehe es theatralischer als vielleicht andere. Oder ob meine Kollegen das denn auch so theatralisch sehen. Es sind ja alles verschiedene Kunstformen, die wir sozusagen betreiben. Und ich versuche, den Raum spannend zu machen, wie man den durchwandert."
Über eine steile Steintreppe mit einem Läufer von Anna Viebrock geht es in den Piano Nobile, den ersten Stock des Palazzo. An den Wänden hängen gerahmte Fotoarbeiten von Thomas Demand, der dafür bekannt ist, Szenerien aus Pappe nachzubauen, um sie anschließend zu fotografieren. Tatorte, Ateliers, Büroräume. Dann das Herzstück der Ausstellung, ein riesiger Raum im Piano Nobile, in den Anna Viebrock einen kleinen Vorraum mit sechs Türen eingebaut hat. Hinter jeder Tür verbergen sich weitere Räume mit Installationen, begehbaren Bühnen, einem Kino und Fotografien. Hier geht es weniger um die einzelnen Kunstwerke, Objekte oder Installationen, als vielmehr um das Sehen, darum, was man als Beobachter in diesen intimen Räumen alles wahrnehmen kann. Und es geht um ein besonderes Gefühl, wie Alexander Kluge sagt.
"The Boat is Leaking, the Captain Lied. Und es ist wohl war, dass die Kapitäne alle lügen. Und wir sind aber eingeschifft in das lecke Schiff, wir stehen ihm nicht gegenüber, wie ein junger Pariser im 19. Jahrhundert, der das Floß der Medusa anguckt. Der sieht ein Ölgemälde, aber er sitzt auf dem Floß nicht drauf, sondern schön im Warmen, in der Hauptstadt. Das gibt es nicht mehr, diese Hauptstadt gibt's nicht, die Sicherheit gibt es nicht. Wir sind mitten auf dem Schiff und ob unser Kapitän Trump uns auf eine Steilküste zuführt oder auf eine Sandbank - das wissen wir nicht. Und dieses ist das neue Lebensgefühl und das ist es, was alle Dinge hier verbindet."

Emotionen beim Betrachter auslösen

Alexander Kluge, Anna Viebrock, Thomas Demand, drei bedeutende deutsche Künstler unserer Zeit überzeugen in einer überraschend unprätentiösen Gruppenausstellung. Mit Teilen von Bühnenbildern bereits aufgeführter Theater- und Operninszenierungen schafft Anna Viebrock Räume für den Dialog, den der Zuschauer vor allem zwischen den Arbeiten erfahren kann – zusammengehalten vom Kapitän des Schiffes, dem Kurator Udo Kittelmann.
"Was mir natürlich ganz wichtig war, mit allen dreien ein Bild zu schaffen, was implantiert wurde in diesem Palazzo und die Geschichte des Palazzos mitnimmt, allerdings immer dann durch das Werk der einzelnen. Denn alle drei verbindet sicherlich etwas auf ganz unterschiedliche Art und Weise, dass sie sich sehr bewusst sind über Vergangenheit, mit einem großen Gefühl unsere Jetztzeit reflektieren und versuchen mit ihren einzelnen Werken eine Antwort darauf zu finden, eine Reflexion zu schaffen."
Gerade ist bei der zeitgenössischen Kunst der Trend zu beobachten, vor allem Gefühle und Emotionen bei ihren Betrachtern auszulösen. Das gelingt auch Alexander Kluge, Anna Viebrock und Thomas Demand mit ihrem Gesamtkunstwerk und nehmen dem Publikum die allgemeine Verunsicherung. Sie zeigen, dass die Welt zwar leckt, aber nicht nicht untergehen wird!
Mehr zum Thema