Grünen-Politiker zu Lebensmittel-Spitzentreffen

"Es braucht einen Umbau in ökologischer und sozialer Richtung"

08:11 Minuten
Rund ein Dutzend braun-weiße Kühe stehen in einer Reihe. Eine guckt zwischen den Hinterteilen der anderen hervor.
Weg von industrialisierter Landwirtschaft, hin zu bäuerlicher, nachhaltigerer Produktionsweise - da stehe die Politik mehr in der Pflicht als der Einzelhandel, sagt Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf. © imago images / Mint Images
Moderation: Dieter Kassel · 03.02.2020
Audio herunterladen
In Supermärkten gehen noch immer viele Lebensmittel zu Billig-Preisen weg. Nun will die Politik auf höchster Ebene für mehr Nachhaltigkeit sorgen. Für den Grünen-Politiker und Landwirt Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf ist das eine "Alibiveranstaltung".
Viele Menschen in Deutschland sagen immer wieder, Lebensmittel seien bei uns zu billig. Doch in Supermärkten und Discountern wird dann doch oft das billigste Fleisch, das billigste Obst und das billigste Gemüse gekauft. Dafür, dass künftig nicht mehr so viele Billig-Lebensmittel im Angebot sind, will die Politik sorgen. Im Bundeskanzleramt hat am heutigen Montag ein Spitzentreffen zum Thema Lebensmittel-Preise im Supermarkt stattgefunden.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) traf die Landwirtschaftsministerin, den Wirtschaftsminister sowie Vertreter der größten deutschen Lebensmittelhändler: der Schwarz-Gruppe - also Lidl und Kaufland -, Edeka, Rewe und Aldi. Zu einem Interview war keiner dieser vier großen Lebensmittelhändler bereit.
Der Ex-Europaabgeordnete der Grünen Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf sagt, die Preispolitik der Ketten sei tatsächlich ruinös für die Bauern. Von den Preisen, die dort für Produkte verlangt würden, werde nur ein Bruchteil an die Bauern weitergegeben, so zu Baringdorf, der bis 2012 auch Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft war und bis heute einen Bauernhof mit Schweinezucht und Obst- und Gemüseanbau in Nordrhein-Westfalen betreibt.

Druck aus Brüssel

Aber das sei nicht nur bei den großen Supermarkketten der Fall, sondern auch beispielsweise bei landwirtschaftlichen Genossenschaften, Molkereien, Schlachtbetrieben sowie Abpackbetrieben für Gemüse und Kartoffeln.
Doch in erster Linie müsse der Druck auf die Politik erhöht werden, nicht unbedingt auf Lidl und Aldi und Edeka und Rewe, erklärt zu Baringdorf.
Und tatsächlich komme nun die deutsche Politik unter Druck, da Brüssel nicht länger die negativen Folgen der bisherigen Art der Landwirtschaft akzeptiere. Denn die auf billige Preise ausgerichtete Produktion erfordere Rationalisierung. "Und das heißt, Chemisierung und Industrialisierung - und das bringt die Probleme im Klima, Umwelt, Artenvielfalt, Tierschutz, Insekten, Grundwasser, Bodenqualität", so zu Baringdorf. Hier fordert die EU Verbesserung. Nach einem Gerichtsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland müsse Deutschland nun entsprechend reagieren. Wenn das nicht passiere, könne die EU bis zu 850.000 Euro am Tag Strafe verhängen. Bereits seit Jahren gibt es Streit zwischen Deutschland und der EU um die zu hohen deutschen Nitratwerte.

Spitzentreffen als "Alibiveranstaltung"

Nun werde von den Bauern verlangt, sie sollten diese Dinge in Ordnung bringen. Das sei in der Art dieser Produktion jedoch gar nicht möglich, "sondern erfordert einen Umbau in ökologischer und sozialer Richtung", sagt zu Baringdorf.
Angesichts dieser Dimension des Problems, sei das Spitzentreffen zu Lebensmittelpreisen im Kanzleramt für ihn eine "Alibiveranstaltung", die im Lebensmittel-Einzelhandel den "Prügelknaben" gefunden habe. Sie solle signalisieren "Wir kümmern uns". Es müsste eine Konzeption entwickelt werden für eine bäuerlichen Wirtschaftsweise, die die genannten Probleme der industrialisierten Produktion nicht zeitige. "Aber da wollen sie nicht dran, das ist ihnen zu teuer, das ist ihnen zu schwierig, sie wissen nicht, wie sie es machen sollen, obwohl es diese Konzepte zum Beispiel von der Arbeitsgemeinschaftlichen bäuerlichen Landwirtschaft ja seit Jahren gibt."
(abr)

Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Es gibt viele Menschen in Deutschland, die immer wieder sagen, Lebensmittel seien bei uns zu billig. Die trifft man oft auf der Straße, aber irgendwie relativ selten bei den Discountern und Supermärkten. Da sind alle unterwegs, um wirklich das billigste Fleisch, dass billigste Obst und das billigste Gemüse zu finden. So extrem wie bisher sollen die bald nicht mehr fündig werden. Dafür will die Politik sorgen. Angela Merkel trifft sich heute zusammen mit zwei ihrer Minister, der Landwirtschaftsministerin und dem Wirtschaftsminister, mit Vertretern der größten deutschen Lebensmittelhändler, der Schwarz-Gruppe, also Lidl und Kaufland, Edeka, Rewe und Aldi. Mit mindestens einem der vier wollten wir auch reden, die wollten nicht. Aber es gibt genügend Menschen, die dieses Problem betrifft auf der einen oder anderen Seite. Einer davon ist Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf. Er war mal Europaabgeordneter der Grünen, war bis 2012 Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, und – und das hat nicht aufgehört – er betreibt einen Bauernhof mit Schweinezucht und Obst- und Gemüseanbau in Nordrhein-Westfalen. Herr zu Baringdorf, nehmen wir mal an, Sie wären die Kanzlerin, nur heute für einen Tag, und würden ihre Rolle spielen bei diesem Treffen. Was würden Sie von den Lebensmittelhändlern konkret fordern?
Baringdorf: Na ja, die Kanzlerin hat einen Prügelknaben gefunden, auch die Demonstration der Bauern hatten ja die Ketten auf der Liste, und sie haben da auch keinen Falschen gefunden. Die Preispolitik der Ketten ist ruinös für die Bauern. Wenn man bedenkt, dass die Preise, die dort verlangt werden von den Produkten, nur ein Bruchteil an die Bauern weitergegeben werden. Aber wenn ich sage, sie haben einen Prügelknaben gefunden, dann ist das alles ja nichts Neues, sondern die Politik kommt unter Druck, weil wir tausende von Schleppern auf der Straße hatten, die am Bauernverband vorbei demonstriert haben, und sie sind nun gefordert, hier Reaktion zu zeigen, aber es sind nicht nur die Ketten, die auf dieser Liste stehen müssten, sondern es sind auch die landwirtschaftlichen Genossenschaften, die Molkereien, die Schlachtbetriebe, die Abpackbetriebe für Gemüse und Kartoffeln und der Deutsche Bauernverband mit seiner Ideologie, die ja Partner der Bauern direkter sind als diese Lidl und Aldi und Edeka.
Damit wird als Bauer direkt gar nicht verhandelt. Es ist mengenmäßig und qualitätsmäßig am Bedarf vorbei produziert worden, und es kommt diese Produktion jetzt unter Druck, weil die billigen Preise Rationalisierung erfordert, und das heißt, Chemisierung und Industrialisierung, und das bringt die Probleme im Klima, Umwelt, Artenvielfalt, Tierschutz, Insekten, Grundwasser, Bodenqualität. Kennen Sie alles. Jetzt macht Brüssel Druck und sagt, so geht das nicht weiter, wir haben das über Jahre mit angesehen. Sie haben ein Gerichtsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland durchgezogen und sind nun in der Lage, unmittelbar, wenn die Bundesregierung nicht reagiert, bis 850.000 Euro am Tag Strafe zu verhängen. Jetzt wird es ernst. Jetzt wird von den Bauern verlangt, sie sollen alle diese Punkte, die ich aufgezählt habe, doch mal in Ordnung bringen, und das ist in der Art dieser Produktion gar nicht möglich, sondern erfordert einen Umbau in ökologischer und sozialer Richtung.

An die Art der Produktion herangehen

Kassel: Aber für den werden ja nun vermutlich Rewe, Edeka, Lidl und Aldi nicht sorgen. Sie haben ja gesagt, das sind Prügelknaben, aber auch nicht zu Unrecht. Zu was könnte man denn die großen Lebensmittelhändler in Deutschland bewegen, was zumindest im Ansatz die Sache entschärfen würde?
Baringdorf: Erst mal brauchen sie nicht in ihrer Werbung in dieser provokativen Weise die Bauern noch reizen, was sie gemacht haben, vor allen Dingen Edeka. Man kann aber auch – und da ist auch Brüssel dran – Ramschpreise, die unter den Gestehungskosten und Einkaufskosten nur aus Wettbewerbsüberlegungen gegeneinander geführt werden, dass man dieses verbietet.
Kassel: Aber das hat man zum Beispiel in Frankreich ja bereits gemacht. Da gibt es ein nationales Gesetz, das unter anderem vorsieht – und das ist Gesetz, daran halten die sich auch –, der Verkaufspreis muss mindestens zehn Prozent über dem Einkaufspreis liegen. Nun höre ich aus Frankreich, die Verbraucher spüren das auch in den Geschäften, aber die Bauern nicht.
Baringdorf: Nein, die Bauern, von diesen zehn Prozent kommt ja auch zwei Prozent bei den Bauern an. Das heißt, wenn man den Bauern helfen will, muss man an die Art der Produktion herangehen, denn der Druck kommt nicht nur von den Preisen, sondern der Druck kommt ja jetzt auch von der Art der Produktion und den Umweltschäden, die wir erfahren damit. Wenn das nicht angegangen wird – und da muss die Politik, die Kanzlerin eine Strategie entwickeln –, wie soll denn dieser Umbau der Landwirtschaft passieren.
Das ist ungefähr mit einer Dimension wie der Ausstieg aus der Kohle. Wenn die gesellschaftlichen Anforderungen, und die sind nicht falsch, wenn die erfüllt werden sollen, dann muss auch die Politik den Umbau mitfinanzieren. Wenn man die Bauern damit alleine lässt, gehen die in die Knie, und sie spüren, dass jetzt die gesellschaftlichen Anforderungen, dass sie da nicht mehr dran vorbeikommen. Der Deutsche Bauernverband hat das bis jetzt immer geschafft, mit der CDU zusammen das zu verhindern, dass Brüssel durchgriff. Das klappt nicht mehr, und jetzt sollen sie Leistungen erbringen, die sie bei diesen Preisen nicht erbringen können. Wenn sie das noch umbauen wollen, dann kostet das Milliarden, und wenn damit die Politik nicht mit eingreift, gehen die Bauern, gehen die Betriebe in die Knie, und wir haben ein noch größeres Bauernsterben als wir in der Vergangenheit schon gehabt haben.

Druck auf die Politik erhöhen

Kassel: Aber angesichts dieser Dimension, rechnen Sie nicht damit, dass das heutige Treffen, auch wenn es vielleicht noch Folgetreffen geben wird, in dieser Runde eher so eine Showveranstaltung wird, also dass sich alle darauf einigen, das ist nicht gut für den Ruf unserer Lebensmittel, wenn die zu billig verkauft werden, und dann passiert aber weiter nix?
Baringdorf: Ja, das ist zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Aktion, die da läuft. Es ist in dem Sinne, in der Dimension, die ich jetzt gekennzeichnet habe, eine Alibiveranstaltung. Es soll signalisieren, wir kümmern uns. Das ist so ähnlich, als wenn Söder jetzt eine Bauernmilliarde durchgesetzt hat, die nicht qualifiziert ist und keine Konzeption davorsteht. Dann wird gesagt, wir machen was, aber sie tun in Wirklichkeit nichts und lassen die Bauern alleine, und sie werden sie wieder auf der Straße haben.
Das ist auch gut so, weil der Druck auf die Politik erhöht werden muss, nicht unbedingt auf Lidl und Aldi und Edeka und Rewe, sondern auf die Politik. Die müssen eine Konzeption entwickeln, wie denn die Industrialisierung in der Tierhaltung, in der Bodenbearbeitung überwunden werden soll zugunsten einer bäuerlichen Wirtschaftsweise, die genau diese Probleme, die wir besprochen haben, nicht zeitigt. Aber da wollen sie nicht dran, das ist ihnen zu teuer, das ist ihnen zu schwierig, sie wissen nicht, wie sie es machen sollen, obwohl es diese Konzepte zum Beispiel von der Arbeitsgemeinschaftlichen bäuerlichen Landwirtschaft ja seit Jahren gibt. Auch Brüssel ist da weiter als die Bundesregierung, und deswegen ist dieses eine Alibiveranstaltung der Kanzlerin und hat dann den Prügelknaben Einzelhandel gefunden.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema