Grünen-Politiker Nouripour hält Integrationsministerium für unnötig

Omid Nouripour im Gespräch mit Britta Bürger · 15.10.2009
Omid Nouripour hält ein eigenständiges Integrationsministerium für unnötig. Es bringe nichts. Es sei wichtiger, die zuständigen Bundesministerien für Arbeit und Bildung stärker für Integrationsfragen zu sensibilisieren.
Britta Bürger: Brauchen wir ein Bundesintegrationsministerium? Wenn es nach vielen Migrantenverbänden in Deutschland ginge, ja. Aber auch CDU-Mitglieder und mit Migrationshintergrund haben die eigene Parteiführung dazu aufgefordert, die Interessen der Migrantinnen und Migranten in den Koalitionsverhandlungen mit der FDP entschieden zu vertreten. Wie sieht das der Grünen-Politiker Omid Nouripour? Er ist Mitglied des Bundestages und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Themenkomplex Migration und Integration. Schönen guten Morgen, Herr Nouripour!

Omid Nouripour: Schönen guten Morgen!

Bürger: Sie kennen den Bundestag, Sie kennen die Arbeit der Ministerien aus der Innenansicht – brauchen wir ein eigenständiges Integrationsministerium?

Nouripour: Ich denke nicht. Die Probleme, die die Integration betreffen, sind sehr handfest. Da geht es um den Arbeitsmarkt, da geht es um das Bildungssystem in diesem Land, und dafür gibt es Ministerien. Und diese Ministerien müssten dafür sensibilisiert werden. Es ist ja nicht so, dass wir durch ein Integrationsministerium jetzt das Arbeitsministerium, das Sozialministerium, das Familienministerium, das Bildungsministerium abschaffen würden, heißt, wir würden einfach nur einen Posten schaffen, ein Ministerium schaffen, einen Apparat schaffen ohne wirkliche Zuständigkeiten, die den Bereich betreffen. Und das ist reine Symbolpolitik und bringt nichts.

Bürger: Sie haben in den vergangenen Jahren aber ja auch mitbekommen, wie sich mehrere Ministerien immer gleichzeitig mit Integrationsthemen befasst haben, also Innen, Justiz, Arbeit, und unterm Strich kann man ja mit den Ergebnissen der Einwanderungs- und Integrationspolitik nicht wirklich zufrieden sein, auch die Regierung selbst spricht von großen Defiziten. Muss man deshalb nicht doch auch strukturell etwas verändern?

Nouripour: Nein, das ist völlig richtig, dass man was verändern muss, und natürlich ist es so, dass man nicht zufrieden sein kann mit dem, was bisher in diesem Land passiert ist. Gleichzeitig erleben wir das doch in Nordrhein-Westfalen. Herr Laschet, der das ja immer wieder befürwortet, weil er selber dieses Ministerium hat, hat in den ganzen absolut relevanten, hochrangigen Fragen der Bildungspolitik gar nichts zu melden in Nordrhein-Westfalen. Das wird im Kultusministerium entschieden. Wir haben’s jetzt auch in Hessen. In Hessen gibt es jetzt auch seit nicht allzu langer Zeit einen Integrationsminister, der eigentlich nur Folgendes macht: Der tourt von Integrationsprojekten und Integrationsprojekten, lobt die ein bisschen, sagt, das ist super, was ihr macht, verspricht denen irgendwelche Dinge, die er aber am Ende nicht einlöst. Einfluss: keiner. Und deshalb ist die Frage, braucht man wirklich eine symbolische Figur vorne, die von den wahren Problemen in diesem Land ablenkt – diese Probleme sind nämlich wirklich sehr handfest.

Bürger: 380.000 Bauern in Deutschland haben ein eigenes Ministerium, aber 12,6 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund nicht. Wäre so ein Integrationsministerium nicht offensiv auch ein deutliches Bekenntnis zum Einwanderungsland Deutschland, also das, was Sie auch immer gefordert haben?

Nouripour: Dieser Vergleich mit den Bauern hinkt ja bis zum Anschlag, weil das eine ist eine Berufsgruppe und das andere ist sozusagen ein geografisches Merkmal. Es gibt ja auch kein Ministerium für Brillenträger, und es gibt viel mehr Brillenträger, als es Bauern gibt in diesem Land, das ist absurd. Natürlich brauchen wir ein Bekenntnis, und natürlich ist das Wertvolle an Armin Laschet in Nordrhein-Westfalen, dass er ein CDU-Mann ist, der aber das Richtige sagt zum Thema Integration, der auch sagt, dass wir ein Einwanderungsland sind, der sagt, dass wir Potenziale haben, die wir nutzen können. Aber Wolfgang Schäuble als zuständiger Innenminister war in den letzten vier Jahren genauso frei, dies so zu tun. Das ist nicht unbedingt davon abhängig, ob man ein Ministerium hat. Natürlich – und das will ich auch gerne zugestehen – würde ein solches Ministerium noch einmal betonen die Selbstverständlichkeit von Migration nach Deutschland und die Selbstverständlichkeit, dass wir ein Einwanderungsland sind. Aber die Probleme liegen längst nicht mehr auf der Ebene dessen, dass man diskutiert, in Talkshows ganz abstrakt, sind wir jetzt für Multikulti oder sind wir jetzt für Leitkulti, sondern sie sind sehr handfest. Die sind in den Kommunen zu sehen, da geht’s um Wohnpolitik, da geht es noch mal – ich kann das nicht häufig genug wiederholen – da geht’s um die Situation in den Schulen und auf dem Arbeitsmarkt, und dafür gibt es Ministerien, die müssen ihren Job richtig machen, dann braucht man auch kein Integrationsministerium.

Bürger: In den derzeitigen Koalitionsverhandlungen favorisiert die FDP die Einbindung des Bereichs Integration in das Justizministerium, das künftig von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger geführt werden könnte. Die CDU hat dagegen das Familienministerium im Auge, möglicherweise unter der Führung von Maria Böhmer, die ja bislang auch schon als Staatsministerin für Migration, Flüchtlinge und Integration im Kanzleramt eingebunden war. Halten Sie denn diese beiden Vorschläge für sinnvoll?

Nouripour: Ich halte ehrlich gesagt beide nicht wirklich für sinnvoll. Das eine ist, dass das Justizministerium keinerlei Zugriffe auf die relevanten Bereiche, die Integration betreffen, hat, zumal ja am Ende es so sein wird, dass das Ausländerrecht – das muss man sich vorstellen, das Ausländerrecht ist in Deutschland Gefahrenabwehrrecht –, das bliebe ja immer noch im Innenministerium, das wird ja nicht einfach rübergegeben ins Justizministerium. Und beim Thema Familienministerium geht’s wirklich um Frau Böhmer. Frau Böhmer ist in den letzten vier Jahren dadurch aufgefallen, dass sie gar nichts gemacht hat. Und deshalb glaube ich nicht, dass sie die richtige Lösung wäre. Wenn es ein Ministerium gäbe, was ich mir aussuchen dürfte, dann wäre das das Arbeits- und Sozialministerium, weil die Chancen auf dem Arbeitsmarkt die zentralen Schlüsselfragen sind tatsächlich, ob jemand eine Integrationschance hat in diesem Land oder nicht.

Bürger: Brauchen wir einen Integrationsministerium? Darüber sprechen wir hier im Deutschlandradio Kultur mit dem grünen Bundestagsabgeordneten Omid Nouripour. Er ist selbst einer der wenigen Bundestagsabgeordneten mit Migrationshintergrund, 1975 im Iran geboren und bei den Grünen unter anderem zuständig für Haushalt und Verteidigung. Insgesamt fällt auf, Herr Nouripour, dass sich politisch engagierte Leute mit eigenem Migrationshintergrund häufig auch mit Migrationsthemen befassen. Empfinden Sie das als Sackgasse in der Politik?

Nouripour: Ich empfand es als Sackgasse, und deshalb mache ich ja Haushalt und Verteidigung. Es ist aber selbstverständlich so, dass man nicht nur dahin geschoben wird von der eigenen Partei, weil man sagt, na ja, da kommt jemand, der die Situation der Leute kennt, sondern es ist natürlich auch so, dass man die Zustände kennt in diesem Land und deshalb das so was ist wie ein biografischer Motor, um überhaupt sich mit dem Thema zu beschäftigen. Zumindest ging’s mir so. Ich glaube, ohne Migrationshintergrund wäre ich überhaupt nicht auf die Idee gekommen, in eine Partei zu gehen und mich dort zu engagieren, weil mir die Missstände nicht aufgefallen wären, die es in diesem Land in dem Bereich en masse gibt. Aber es ist völlig richtig, man muss aufpassen, dass man nicht dann der Quotenausländer ist, der dann die Ausländerpolitik macht, weil da ist nämlich die gläserne Decke extrem niedrig.

Bürger: Lassen Sie uns darüber sprechen, welche inhaltlichen Schwerpunkte in der künftigen Integrationspolitik gesetzt werden müssen. Zu hören ist, dass die Koalitionspartner ein eigenes Integrationsgesetz anstreben. Darin werden Regelungen zu Integrationskursen getroffen, zu Integrationsberatung und -forschung. Das klingt alles bislang noch sehr, sehr schwammig und allgemein. Wissen Sie mehr darüber, was halten Sie davon?

Nouripour: Na ja, die Gerüchteküche brodelt. Es gibt sehr vieles, was angesprochen wird, von härteren Sanktionen bis viel mehr Geld. Das ist aber alles nicht klar, und deshalb will ich mich an den Spekulationen nicht beteiligen. Ich weiß es nicht, ich weiß nur, was ich mir wünsche, und zwar zweierlei. Das eine ist, dass man tatsächlich auch mehr Geld in die Hand nimmt. Wenn man sich vorstellt, die Bundesrepublik als politische Institution, also der Staat in diesem Land hat zig Jahre lang nichts gemacht für die Integration. Die ersten Integrationskurse vom Staat gibt es seit dem 1. Januar 2005, das muss man sich mal vorstellen. Und wenn man sich vorstellt, dass dann die Bundesrepublik begonnen hat mit 150 – sozusagen ein bisschen mehr, ein bisschen weniger, je nach Jahr – , mit 150 Millionen Integration-Nachholen zu befördern und gleichzeitig merkt, dass die Spanier, die auch sehr spät angefangen haben und gleich mit zwei Milliarden eingestiegen sind, dann muss man einfach sehen, dass das Geld fehlt. Das Zweite aber, was noch relevanter wäre aus meiner Sicht, damit wir eben aus dieser ideologisch festgefahrenen Situation auf Bundesebene rauskommen, ist, wir müssen dahin kommen, dass wir eingestehen den Kommunen mehr Spielraum, nicht nur finanziell, sondern auch rechtlich, damit sie selber Integrationspolitik für sich machen können. Denn die Situation in Berlin-Neukölln ist nicht vergleichbar mit der Situation in Rüsselsheim oder in Darmstadt, in Hessen, also das sind völlig verschiedene Gegenden mit völlig verschiedenen Problemlagen. Und da wissen die Kommunalos am besten, wo der Schuh drückt und was für sie gut ist. Und denen muss man die Chance geben, dass die das eher selber gestalten können. Wir haben das Problem, dass die Integrationspolitik gerade in den letzten Jahren – ich muss zugeben auch unter Rot-Grün, also speziell unter Otto Schily – extrem zentralisiert worden ist, sehr, sehr stark gegeben worden ist an das Bundesamt für Integration nach Nürnberg, aber diese Zentralisierung ist eher ein Hindernis für Integration, weil, noch mal, vor Ort am besten entschieden werden kann, was richtig ist und was falsch.

Bürger: CDU und FDP haben sich auch auf einen sogenannten Integrationsvertrag geeinigt, in dem die Eingliederung der Migranten, wie es heißt, kontinuierlich überprüft werden soll. Wie könnte denn so was aussehen, und gewinnt man damit das Vertrauen von Migranten in den deutschen Staat?

Nouripour: Es hängt davon ab. Es hängt davon ab, was sich dahinter genau verbirgt. Also wenn es darum ginge, die Prozesshaftigkeit von Integration zu unterstreichen – also man kann heute integriert sein und morgen aus diversen Gründen, weil man zum Beispiel den Job verloren hat, nicht mehr –, dann kann das in die richtige Richtung gehen.

Bürger: Aber was könnte man da prüfen?

Nouripour: Prüfen – das Problem an diesen Prüfungen ist eben, weil Integration so prozesshaft ist, kann man da nichts prüfen. Es ist ja nicht so, dass man von A bis nach B läuft, eine Prüfung macht und dann ist man integriert. Es gibt keinen Integrationskurs, es gibt nicht mal einen Einbürgerungstest, der in Deutschland bisher konzipiert worden ist, den so mancher – ich sag’s jetzt mal sehr drastisch – so mancher Todespilot vom 11. September 2001 nicht bestanden hätte. Also diese ganzen Prüfungen sind wirklich für die Katz und bringen überhaupt nichts. Aber wenn man endlich begreifen würde, dass die Prozesshaftigkeit notwendig ist und richtig ist, dann käme man noch einen Schritt weiter. Prüfen kann man aber genau deswegen nicht, weil diese Prozesshaftigkeit von Integration da ist.

Bürger: Sollte es in der Integrationspolitik eigentlich vor allem um die Belange der Migranten gehen, oder muss sich so eine Integrationspolitik nicht auch an die Mehrheitsgesellschaft richten. Wir haben ja gerade erlebt, wie viel Ablehnung, aber auch Zustimmung Thilo Sarrazin zu seinen Äußerungen über integrationsablehnende Türken und Araber bekommen hat. Also müsste sich so eine Politik nicht auch an die Mehrheitsgesellschaft richten?

Nouripour: Ich glaube, dass die Frage, mit Verlaub, ein wenig falsch gestellt ist, weil sie genau die Tendenzen, die Thilo Sarrazin sehr drastisch dargestellt hat, auch vertieft. Es geht nicht um Migranten und Deutsche, es geht um eine Gesellschaft und darum, dass diese eine Gesellschaft mit sich selber zurechtkommt. Und wir müssen miteinander reden und organisieren, nicht nur den Alltag, sondern auch sozusagen die Grundlagen für unser gemeinsames Zusammenleben, egal welcher Herkunft und egal welcher Hintergrund. Und deshalb ist dieses permanente "Was müssen die Ausländer machen, was müssen die Deutschen machen?" aus meiner Sicht falsch, sondern wir müssen darüber reden, was wir alle gemeinsam machen müssen. Und da kann man niemanden ausnehmen.

Bürger: Brauchen wir ein eigenständiges Integrationsministerium? Der grüne Bundestagsabgeordnete Omid Nouripour meint nein. Ich danke Ihnen, Herr Nouripour, für das Gespräch!

Nouripour: Danke Ihnen, Frau Bürger!