Grünen-Europapolitiker rechnet mit Aus für ACTA-Abkommen

Jan Philipp Albrecht im Gespräch mit Ute Welty · 03.07.2012
Der rechtspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion im Europäischen Parlament, Jan Philipp Albrecht, rechnet mit einem "Nein" des EU-Parlaments bei der Abstimmung über das umstrittene ACTA-Abkommen zum Schutz des Urheberrechts. Der Europäischen Kommission warf er "Verantwortungslosigkeit" in den Verhandlungen vor. Diese sei weit über ihr Mandat zur Aushandlung eines Abkommens zur Bekämpfung der Produktpiraterie hinausgegangen.
Ute Welty: Die Netzgemeinde hat Front gemacht, und es sieht so aus, als ob man das Handelsabkommen ACTA tatsächlich stoppen könnte, denn der Handelsausschuss des Europaparlamentes hat das Abkommen bereits abgelehnt. Selten war ein EU-Vertrag so umstritten: Zehntausende sind aus Protest seit Anfang des Jahres auf die Straße gegangen.

Zu den Kritikern von ACTA gehört auch Jan Philipp Albrecht, der für die Grünen im Europaparlament sitzt. Guten Morgen!

Jan Philipp Albrecht: Guten Morgen, Frau Welty!

Welty: Heute die Debatte, morgen die Abstimmung eben im Europäischen Parlament – ist ACTA dann tatsächlich Geschichte?

Albrecht: Ja, davon ist auszugehen, denn wenn das Europäische Parlament nein sagt, dann kann dieses Abkommen für die europäische Union nicht in Kraft treten, und die ist mit den USA einer der wichtigsten Partner in diesem Abkommen.

Welty: Aber dann wird es doch ein anderes Abkommen geben?

Albrecht: Ja, es ist davon auszugehen, dass wir an der Stelle, wie kann das geistige Eigentum international geschützt und durchgesetzt werden, natürlich weiter verhandeln werden. Nur die Frage ist halt, muss man das, so wie geschehen, eben in einem Abkommen nur zwischen Industriestaaten machen, oder ist es nicht richtig, dass in den gewohnten internationalen Organisationen WTO oder Weltorganisation für geistiges Eigentum zu tun.

Welty: Wenn ACTA durchfällt, handelt es sich ja um eine Premiere: Noch nie hat das EU-Parlament einem solchen Abkommen die Zustimmung verweigert. Wie wichtig ist dieser Akt der Emanzipation von Kommission und Rat?

Albrecht: Also ich glaube, das ist eine Entwicklung, die jetzt schon zwei Jahre stattfindet, nämlich seit Inkrafttreten des Lissabonner Vertrags, wo das Europäische Parlament deutlich gestärkt wurde und eben Vetorechte bei internationalen Abkommen und volle Mitbestimmungsrechte in der Gesetzgebung bekommen hat. Das ist natürlich besonders wichtig, dass das Europäische Parlament jetzt auch zeigt, es nimmt diese Verantwortung wahr. Und gerade wenn es viele Menschen bewegt und viele Menschen in der Bevölkerung sich auch engagieren und das Europäische Parlament bitten, dann sollte das Europäische Parlament diese Verantwortung besonders wahrnehmen.

Welty: Und wie groß wird dann Ihr persönliches Gefühl des Triumphes sein? Immerhin fallen ja so Sätze wie, wir haben es bald geschafft.

Albrecht: Na ja, sicherlich ist das eine lange Auseinandersetzung, in die man viel Energie steckt, und dann ist es auch sehr befriedigend am Ende, wenn es dann dazu kommt, dass man sich selber durchsetzt mit seiner Position. Nichts desto trotz ist klar, auch nach dieser Abstimmung über ACTA stehen wir weiterhin vor der Frage, wie eben Regeln für das geistige Eigentum aussehen sollen. Nur ich bin halt der Meinung, wir haben diese noch nicht gefunden, und es braucht noch weitere Debatten, und wir können das jetzt nicht durch ein internationales Abkommen mal eben verabschieden.

Welty: Was macht Sie so sicher, dass das alles auch richtig ist, was Sie da gerade tun? Denn nur weil Menschen auf die Straße gehen, heißt das ja nicht, dass sie auch das Richtige denken und wollen.

Albrecht: Ja, deswegen habe ich auch nicht erst, als die Menschen auf die Straße gegangen sind, mich mit diesem Abkommen auseinandergesetzt und bin auch nicht seit dem erst gegen das Abkommen, sondern wir setzen uns hier als grünen Fraktion im Europäischen Parlament seit über zwei Jahren mit dem Abkommen auseinander und haben da große Kritik dran geäußert, und ich glaube, dass diese Kritik durchaus profund ist.

Es hat mehrere Gutachten von Professoren für das geistige Eigentum gegeben, sehr renommierten in ganz Europa, die der Meinung waren, dass, wenn dieses Abkommen so kommt, das einen erheblichen Einfluss auf die Rechtslage in Europa haben könnte, und auch die Grundrechte und Verbraucherrechte in Europa gefährdet sein könnten.

Welty: Seit 2008 wird über ACTA verhandelt, das sind dann vier Jahre, die von morgen an für die Tonne sein könnten. Ist das verantwortungsvolle Politik oder doch eher Zeitverschwendung gewesen?

Albrecht: Das ist sehr verantwortungslos gewesen. Das liegt allerdings fast ausschließlich bei der Europäischen Kommission und den Regierungen im Europäischen Rat, die den Auftrag dazu gegeben haben, denn die Europäische Kommission ist in den Verhandlungen weit von ihrem Mandat zur Aushandlung eines Abkommens zur Bekämpfung der Produktpiraterie hinaus gegangen und hat eben damit auch Fragen des Urheberrechts und des Patentrechtsschutzes verbunden. Das gehört meines Erachtens überhaupt nicht zusammen, da wurde versucht, eben in intransparenten Verhandlungen Dinge umzusetzen und zu klären, die man vorher zu Hause nicht durchsetzen konnte.

Welty: Und wie verantwortungslos ist es, womöglich mehrere zehntausend Arbeitsplätze europaweit zu gefährden? Wie erklären Sie das zum Beispiel zu Hause in Wolfenbüttel, wo mehrere Maschinenbauunternehmen von einem solchen Abkommen profitieren könnten?

Albrecht: Das bezweifle ich arg, dass diese Zahlen richtig sind, denn ACTA ist ein Abkommen, das eben die Produktpiraterie bekämpfen soll, gerade aus den Entwicklungs- und Schwellenländern. Nur, Partner zu diesem Abkommen sind nur die Industriestaaten wie die USA, Europa, Mexiko, Japan, die solche Regelungen schon längst haben. Das heißt, es ist weitgehend ein symbolischer Akt ohne die Schwellenländer, denn den …

Welty: Dann verstehe ich aber die ganze Aufregung nicht, wenn es sich nur um einen symbolischen Akt handelt.

Albrecht: Ja, im Bezug auf die Produktpiraterie, meine ich, ist es ein weitgehend symbolischer Akt. Im Bezug auf die Urheberrechtsdebatte ist es ein weitgehend unverhältnismäßiger Akt, denn es legt Vorentscheidungen fest, die uns davon abhalten, eine Debatte zu führen, die dringend notwendig ist, nämlich über die Frage der Urheberrechtsdurchsetzung im digitalen Zeitalter.

Welty: Wir haben eben schon darüber gesprochen, es muss ja Urheberschutz geben, es muss auch Urheberschutz im Internet geben. Wie sähe der optimalerweise Ihren Vorstellungen zufolge aus?

Albrecht: Also ich glaube, wir müssen deutlich machen, es braucht eine Urheberrechtsdurchsetzung, auch im Internet, es braucht eine neue Art des Urheberrechts im digitalen Zeitalter. Und die muss vor allen Dingen so aussehen, dass überall da, wo Geld verdient wird mit der Verwertung urheberrechtlich geschützten Materials, muss der Künstler oder die Künstlerin davon angemessen vergütet werden.

Damit sage ich aber auch, dass überall dort, wo kein Geld verdient wird, und wo etwa privat ausgetauscht wird, nicht gleichermaßen die gleichen Durchsetzungsmaßnahmen ergriffen werden können. Denn die Befürchtung, die hier mitgeschwungen ist und die viele Leute eben auch im Internet haben, ist durchaus berechtigt, dass, wenn man das versucht gegenüber Privaten genau so durchzusetzen, man im Grunde genommen den kompletten Internetverkehr und die komplette Kommunikation aller Menschen überwachen müsste.

Welty: Und wenn die Grenzen fließend sind, was dann?

Albrecht: Das ist natürlich ein Problem, das wir nicht nur im Urheberrecht haben, sondern in vielen Rechtsbereichen, dass die Frage unterschiedlicher Rechtsordnungen in der Welt und unterschiedlicher Arten der Rechtsdurchsetzung uns vor Herausforderungen stellen. Und da müssen wir international kooperieren und deutlich machen, es muss Polizeibehörden geben, die weltweit das Recht, auf das man sich gemeinsam einigt, dann auch durchsetzen.

Welty: Der grüne Europaabgeordnete Jan Philipp Albrecht im Interview der "Ortszeit". Danke dafür!

Albrecht: Gerne!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


Mehr auf dradio.de

Des einen Schutz, des anderen Freiheit - Das Handelsabkommen ACTA vor dem Scheitern (DLF)
ACTA vorm Scheitern
Anti-Piraterie-Abkommen fällt im EU-Handelsausschuss durch

ACTA auf der Kippe - EU-Parlamentsausschuss erteilt umstrittenem Abkommen eine Abfuhr
"Etwas verändern, weil man sich sonst selbst blockiert" - Die Debatte um das Urheberrecht in der Politik