Grüne halten an Volksentscheiden fest

Jürgen Trittin im Gespräch mit Ute Welty · 21.07.2010
Die Grünen wollen trotz der jüngsten Niederlage bei der Abstimmung über die Hamburger Schulreform an Volksentscheiden festhalten und diese auch auf Bundesebene einführen. Allerdings gebe es auch problematische Bereiche, räumte Grünen-Bundestagsfraktionschef Jürgen Trittin ein.
Ute Welty: Deutschlandradio Kultur, Mittwochmorgen. So richtig verstehen kann man es eigentlich nicht: Da scheitern die Hamburger Grünen mit ihrem Prestigeprojekt Primarschule in einem Volksentscheid, und der grüne Fraktionschef des Bundestages hat nichts Besseres zu tun, als sich für Volksentscheide auf Bundesebene auszusprechen. Guten Morgen, Jürgen Trittin!

Jürgen Trittin: Guten Morgen!

Welty: Haben Sie eine heimliche Lust am Scheitern?

Trittin: Nein, die Grünen sind programmatisch darauf festgelegt, auch Elemente direkter Demokratie zu stärken. Wir haben uns in Hamburg dafür eingesetzt, dass Volksentscheide verbindlich sind, und das haben wir nun davon. Wenn man sich für ein solches Instrument einsetzt, dann gilt der alte Grundsatz von Heinrich Lübke: Das Problem bei Wahlen ist, es wird abgestimmt.

Welty: Wie begegnen Sie bei Wahlen der Gefahr oder eben bei solchen Volksentscheiden, dass die sich auf Stammtischniveau begeben? Auch in Hamburg hat es ja eine höchst emotionale Diskussion gegeben, die dem Thema ja auch nicht immer gerecht wurde.

Trittin: Es ist immer schlecht, wenn man in eine Abstimmung reingeht, und nachdem man die Abstimmung verloren hat, sich über das Niveau der Diskussion vor der Abstimmung zu unterhalten. Dann erscheint man schnell in der Rolle des schlechten Verlierers. Tatsache ist, es gibt viele problematische Bereiche, die auch in Elementen von direkter Demokratie stecken. Zum Beispiel ist die Beteiligung bei solchen Abstimmungen in der Regel deutlich niedriger als bei Wahlen. Das heißt, das, was in der öffentlichen Wahrnehmung oft gesagt wird, dieses würde eine Erhöhung der demokratischen Legitimität bedeuten, das ist nicht immer so, heißt aber nicht, dass man deswegen gegen solche Instrumente sein muss.

Welty: Wenn Menschen schon Schwierigkeiten haben zu entscheiden, ob ihr Kind vier oder sechs Jahre lang zur Grundschule gehen soll, wie groß werden die Schwierigkeiten werden, wenn es darum geht, wie lange ein Atomkraftwerk laufen soll?

Trittin: Über diese Frage gibt es in Deutschland einen Konsens. Es gibt ein geltendes Gesetz, und danach gehen Kraftwerke, die die Strommenge von 32 Jahren produziert haben, automatisch vom Netz. Und ich sehe zurzeit niemanden, der gegen diese gesetzliche Regelung eine Volksinitiative auf den Weg bringen möchte.

Welty: Aber es gibt eine Bundesregierung, die Laufzeitverlängerungen plant.

Trittin: Aber die plant das wohlweislich nicht unter Rückgriff auf plebiszitäre Elemente, sondern sie versucht das sogar am Bundesrat vorbei zu organisieren. Sie wird und will das offensichtlich auch, damit vorm Bundesverfassungsgericht landen. Ich prophezeie auch, sie wird dort nicht nur landen, sondern auch verlieren. Wir reden, was Laufzeitverlängerung angeht, ja nicht über die modernsten Kraftwerke, die wir in Deutschland stehen haben, sondern wir reden über den ältesten Schrott, den wir im Lande stehen haben. Wir reden über Biblis A, Biblis B, wir reden über Neckarwestheim und Brunsbüttel. Jedes dieser Kraftwerke im Einzelnen hat über 400 Störfälle hinter sich, darunter Explosionen direkt am Reaktordruckbehälter, darunter 1000 fehlerhafte Dübel, darunter, dass wegen zu kleiner Sumpfsiebe im Störfall diese Anlagen nicht hätten gekühlt werden können, also richtig den Schrott der 60er-Jahre. Davon soll sozusagen unsere energiepolitische Zukunft abhängig gemacht werden. Da bin ich ganz sicher, da würde man in keinem Volksentscheid eine Mehrheit für kriegen.

Welty: Rechnen Sie denn damit, dass diese Laufzeitverlängerung kommt?

Trittin: Ich gehe davon aus, dass die großen Energiekonzerne ihre Unterstützung für Schwarz-Gelb nun endlich zurückgezahlt bekommen möchten, da man mit diesen Kraftwerken wunderbar Strom exportieren kann. Es geht ja nicht um Versorgungssicherheit für Deutschland. Also soll hier mit Anlagen, wo man mit zwei Cent die Kilowattstunde produzieren kann, die man dann in Europa für acht, neun Cent verkaufen kann, diese Verdienstmöglichkeiten für diese Konzerne, das soll es nun endlich geben, da ist die Regierung gegenüber diesen Unternehmen im Wort. Ich wünsche viel Vergnügen bei dem Versuch, dieses dann auch gesetzlich umzusetzen. Das wird nicht so einfach sein.

Welty: Der Präsident des Münchner Ifo-Institutes für Wirtschaftsforschung ist dafür, nicht nur Laufzeiten zu verlängern, sondern auch neue AKW zu bauen. Die Kernenergie sei eine konkurrenzlos billige Form der Stromerzeugung und eine Art grüne Technologie, weil kein CO2-Ausstoß entstehe. Was würden Sie einer solch bestechenden Argumentation im Rahmen eines Volksentscheides entgegenstellen?

Trittin: Ob das bestechend ist, weiß ich nicht, und ob der Name des Präsidenten des Ifo-Institutes wirklich Sinn macht und ob das nicht besser Unsinn hieße, das will ich mal dahingestellt sein lassen. Die Wahrheit ist, die Zahl der Atomkraftwerke innerhalb der Europäischen Union sinkt. Die Zahl der Atomkraftwerke übrigens weltweit sinkt, weil mehr Kraftwerke vom Netz gehen als neu gebaut werden.

Woran liegt das? Atomkraftwerke haben einen sehr hohen Kapitalbedarf am Anfang, und neue Atomkraftwerke produzieren deswegen die Kilowattstunde zu Preisen, die auf dem Markt nicht wettbewerbsfähig sind. Deswegen ist seit über 30 Jahren in den USA nicht ein einziges neues Kraftwerk in Auftrag gegeben worden. Deswegen gibt es in Europa ein einziges Kraftwerk, welches neu im Bau ist. Von konkurrenzlos günstig ist da nicht die Rede, das sollte ein Ökonom eigentlich wissen.

Atomkraft ist nicht wettbewerbsfähig, sie ist nur wettbewerbsfähig, wenn, wie übrigens in der Vergangenheit es die Regel war, dieses massiv subventioniert wird von Staatsseite. Und wer bringt die Subventionen auf? Der Steuerzahler.

Welty: Der grüne Fraktionschef und frühere Umweltminister Jürgen Trittin im Interview der "Ortszeit". Ich danke fürs Gespräch!

Trittin: Ich danke Ihnen!
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