Grün-Rot regiert im Ländle

Von Sabine Adler, Hauptstadtstudio · 30.04.2011
Wir werden künftig genauer in den Süden schauen. Nicht, um zu sehen, wer dort jetzt Koch und wer Kellner ist. Sondern um zu beobachten, wie die neue Regierung die hochkomplexen Probleme des Landes löst - und die Bevölkerung dabei einbezieht.
Der Wahlkampf 2013 ist eröffnet, die Bürger können ab sofort sehr genau beobachten, welches Lager – das schwarz-gelbe oder das grün-rote die bessere Politik macht. Denn fast alles, was in Baden-Württemberg auf der Agenda steht, hat Auswirkungen auf die Bundespolitik. Weil das Land mit seinen über zehn Millionen Einwohnern ein Schwergewicht ist, Geberland beim Länderfinanzausgleich, stets als Postkartenversion von Deutschland galt.

Geht irgendetwas schief, werden alle mit dem Finger auf den ersten grünen Ministerpräsidenten zeigen. Aber ganz ohne Kellner bleibt auch ein grüner Koch auf seiner Suppe sitzen. Deswegen müssen die Sozialdemokraten noch einen gewaltigen Zahn zulegen, um auf Augenhöhe mit den Grünen zu kommen.

Im hochindustrialisierten Baden-Württemberg stehen gleich sieben Atomkraftwerke, von denen bei einem Atomausstieg vier noch vom Netz genommen werden müssten, wobei bei den Stromverbrauchern, Unternehmen wie Privatkunden, keine einzige Sekunde unfreiwillig das Licht ausgehen darf. Regenerative Energien sollen bis 2020 zehn Prozent der Stromgewinnung ausmachen. Wie wird die grün-rote Landesregierung auf die bislang massiven Widerstände gegen Windräder reagieren, die für eine Energiewende nötig sind? Der sich die schwarz-gelbe Regierung bislang einfach verweigert hatte. Mit dem Ergebnis, dass Norddeutschland verspargelt ist, Süddeutschland, wo der Strom gebraucht wird, aber so gut wie gar nicht.

Interessant zu beobachten sein wird ebenso, mit welchen Methoden die Landesregierung die Bürger in Atdorf überzeugen will, die sich vehement gegen ein Pumpspeicherwerk im Südschwarzwald sperren.

Künftig verlaufen die Linien nicht mehr nur zwischen Atom oder Kohle auf der einen und erneuerbaren Energien auf der anderen Seite, sondern Öko kämpft gegen Öko.

Sachdiskussionen, die zum Beispiel in der FDP kaum geführt werden, weil die meist an der Fünf-Prozent-Grenze taumelnde Partei ihren sofortigen politischen Herzstillstand befürchtet, berechtigt oder nicht, Sachdiskussionen führten die Grünen oft genug bis zur Selbstzerfleischung, mit einer Unerbittlichkeit, die viele Bürger nicht selten abschreckte. Das war zu unbequem.

Unbequem wie die Ankündigung Kretschmanns, sich dringend an der Suche für ein Atomendlager zu beteiligen, das voraussichtlich nicht in Gorleben liegen wird, das zum Thema Atomausstieg zwingend nötig ist.

Auch wenn der künftige grüne Ministerpräsident nichts anderes als Daimlerchef Zetsche sagte, nämlich, dass das Auto neu erfunden werden muss, so bewies die Aufregung um denselben Satz, ausgesprochen von Kretschmann, wie wenig man den Grünen in punkto Industrie bislang traut, als wüssten die nicht, dass jeder dritte Arbeitnehmer in Baden-Württemberg Autos oder Zulieferteile dafür baut.

Diese neue grün-rote Regierung wird anstrengend werden, für Regierte und Regierende. Sie tritt die Aufgabe jedoch mit leichterem Gepäck an als die rot-grünen Kollegen in Düsseldorf, denn in Stuttgart hat die christdemokratisch-liberale Vorgängerregierung kein so schweres Erbe hinterlassen wie die im völlig verschuldeten Nordrhein-Westfalen für rot-grün.

Doch versperren auch so genug dicke Brocken den Weg in den siebten Himmel: Der ENBW - Stromkonzern, der fast zur Hälfte Landeseigentum ist und Atomenergie produziert, könnte nach dem Atomausstieg ein teurer Klotz am Bein werden. Und natürlich Stuttgart 21. Welche anfallenden Kosten werden wie bewertet, um doch noch auszusteigen?

Wir werden künftig genauer in den Süden schauen. Nicht, um zu sehen, wer dort jetzt Koch und wer jetzt Kellner ist, sondern um zu beobachten, wie die Regierung diese hochkomplexen Fragen löst und die Bevölkerung einbezieht. Weil anderswo solche Lösung ebenfalls gefunden werden müssen.

Die Verantwortung ist riesig. Die Größe der Aufgaben kann einschüchtern. Zumal sich in Stuttgart entscheiden kann, ob Deutschland 2013 einen grünen Kanzler, eine grüne Kanzlerin bekommen könnte, ob grün-rot oder rot-grün wieder Regierungsfähigkeit im Bund zugetraut wird, ob schwarz-grün eine Option wird. Oder ob dem grünen Höhenflug ein tiefer Fall folgt. Siehe FDP. Im Scheinwerfer stehen vor allem die Grünen.

Schwarz-gelb hat ernsthafte Konkurrenz bekommen, ihre Schwäche wird umso sichtbarer werden, je stärker Grüne und SPD in Baden-Württemberg sind. Konkurrenz belebt das Geschäft, der Wähler darf hoffen, dass Deutschland bald besser regiert wird als jetzt.

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