Großstädte und die Flüchtlinge

Mit der Unterbringung überfordert?

Flüchtlinge warten im Regen vor dem LaGeSo in Berlin auf einen Termin.
Flüchtlinge warten im Regen vor dem LaGeSo in Berlin auf einen Termin. © dpa/picture alliance/Paul Zinken
Von Claudia van Laak, Thorsten Poppe und Burkhard Schäfers · 21.04.2016
Die Unterbringung der Flüchtlinge ist für die Großstädte eine immense Herausforderung. Unsere Korrespondenten berichten über die Situation in Köln, München - und Berlin: Das dort zuständige LaGeSo erlangte traurige Berühmtheit als "Deutschlands schlechteste Behörde".

Berlin

Draußen Aprilwetter: Regen, Hagel und kalter Wind. Doch drinnen in den weißen Zelten auf dem Gelände des Landesamtes für Gesundheit und Soziales LaGeSo ist es mollig warm – Ventilatoren pusten heiße Luft in das Innere.
Piktogramme und Schilder auf Arabisch, Dari, Farsi und Englisch weisen den Weg zu den Ärzten, zur Essensausgabe, zur Kinderspielecke und der Kleiderkammer. Keine langen Schlangen mehr, kein Ausharren in Matsch und Schnee. Ein dreiviertel Jahr hat es gedauert, bis das Land Berlin die Lage in der Erstaufnahmestelle LaGeSo halbwegs in den Griff bekommen hat. Der zuständige Sozialsenator Mario Czaja, CDU.
"Die humanitäre Situation war für uns alle, für die Mitarbeiter, für die Flüchtlinge aber auch für mich so nicht tragbar. Und wir haben hart daran gearbeitet, um die Situation zu verbessern, und wir wollen auch eine solche Situation in Berlin nicht noch einmal erleben müssen, und zwar für alle nicht noch einmal erleben müssen."

McKinsey-Manager als kommissarischer Lageso-Chef

Dass sich die Situation entspannt hat, liegt einerseits an der drastisch gesunkenen Zahl der Flüchtlinge, die neu nach Deutschland – und damit auch nach Berlin kommen. Andererseits hat der Senat die Unternehmensberatung McKinsey mit ins Boot geholt. Sie arbeitete zunächst unentgeltlich beim Landesamt für Gesundheit und Soziales mit, dann ernannte Sozialsenator Czaja einen McKinsey-Manager zum neuen kommissarischen Chef des Lageso. Zudem erhielt McKinsey einen Auftrag in Höhe von 238.000 Euro – das Beratungsunternehmen unterstützte den Senat beim Masterplan Integration. Dass dieser Auftrag nicht ausgeschrieben wurde, begründete Berlins Regierender Bürgermeister, der SPD-Politiker Michael Müller, im Parlament so:
"Der Senat steht zu der Aussage, dass es richtig war, das Unternehmen McKinsey auch ohne das Vergabeverfahren zu beauftragen, weil es hier ein Alleinstellungsmerkmal durch die Kompetenz des Unternehmens gibt aus anderen Beratungszusammenhängen heraus."
Der Berliner Sozialsenator spricht im Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) mit einer Sprachmittlerin.
Der Berliner Sozialsenator im Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso).© dpa/picture alliance/Bernd von Jutrczenka
McKinsey habe bereits das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sowie die schwedische Regierung beraten – so die offizielle Begründung. Die Opposition im Abgeordnetenhaus dagegen hält die Einschaltung des Beratungsunternehmens für ein Armutszeugnis. Steffen Zillich, parlamentarischer Geschäftsführer der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, findet es problematisch …
"… dass Firmen ihre Leistungen anbieten, umsonst, dadurch Kenntnisse erlangen, dadurch Kontakte erlangen, die ihnen dann zugutekommen, bei der Vergabe von Aufträgen, bei denen es dann tatsächlich um Geld geht."
Dass McKinsey überhaupt eingekauft wurde, sei eine Bankrotterklärung der Berliner Landespolitik, ergänzt die grüne Abgeordnete Canan Bayram:
"Es geht um politische Vorgaben, es geht um die Koordinierung von Senatsverwaltungen, es geht um eine Führungsaufgabe auch des Regierenden Bürgermeisters, und dass ihm das mit eigenen Personal- und Sachmitteln nicht gelingen will, das zeigt halt, wie unfähig dieser Senat tatsächlich ist, gemeinsam eine Lösung auf den Weg zu bringen."

Schnelles Handeln – aber ohne Vetternwirtschaft

Dazu kommt: Die Landesregierung musste einräumen, dass McKinsey einen Teil des Honorars weiterleitete – und zwar an einen SPD-Genossen, der in der Bundes- und Landespolitik kein Unbekannter ist. Sein Name: Lutz Diwell. Er war sowohl Staatssekretär im Land Berlin als auch Staatssekretär im Bundesjustizministerium.
Das riecht gewaltig nach SPD-Filz – meint der Linke Steffen Zillich.
"Wenn man dann hier sagt, man muss diese Kopfstände für diese Auftragsvergabe machen, weil McKinsey das einzige Unternehmen auf der Welt ist, was überhaupt in der Lage wäre, so einen Masterplan zu entwickeln. Und wenn sich herausstellen sollte, dass es gar nicht um McKinsey ging, sondern McKinsey sozusagen nur das Werkzeug war, um Herrn Diwell den Auftrag zuzuschustern, dann ist das Parlament falsch informiert, dann ist es belogen worden."
Verantwortlich für die Auftragsvergabe war die Senatskanzlei. Deren Chef, der SPD-Politiker Björn Böhning, weist jegliche Einflussnahme auf McKinsey zurück – einen Zusammenhang zwischen der Auftragsvergabe und der Beteiligung des SPD-Genossen Diwell an diesem Auftrag habe es nicht gegeben.
"Wir wollten, dass McKinsey beauftragt wird. Wir haben einen Leistungsumfang beschrieben. Wir haben nicht festgelegt, wer im Rahmen des Unternehmens McKinsey an diesen Projekten arbeitet. Es gibt keinen Filz."
Die Opposition wird das Gegenteil nicht beweisen können. Das Dilemma bleibt: Einerseits verlangen alle in Notsituationen wie der Flüchtlingskrise unbürokratisches und schnelles Handeln. Werden Vorschriften – wie der Zwang zu öffentlichen Ausschreibungen – allerdings über Bord geworfen und verantwortliche Politiker greifen auf ihnen vertraute Unternehmen und Personen zurück, ist der Vorwurf der Vetternwirtschaft schnell bei der Hand.

Köln

In Köln rumort es. Grund dafür ist, dass immer mehr Turnhallen als Notunterkünfte für die Unterbringung von Flüchtlingen benötigt werden. Mittlerweile sind es 27 insgesamt, die dafür genutzt werden. Das sind 10 Prozent aller städtischen Sporthallen und betrifft rund 100 Vereine. Wegen dieser Entwicklung fühlt sich der Amateur- und Freizeitsport von der Stadt im Stich gelassen.
Wie beispielsweise der MTV Köln, der größte Breitensportverein der Stadt mit seinen rund 5000 Mitgliedern. Erst fiel eine der beiden genutzten Sporthallen weg, kurze Zeit später noch die andere. Für Geschäftsführer Holger Dahlke und den Verein eine prekäre Situation.
"Wir haben eine Halle kompensieren können mit List und Tücke und sehr viel Unterstützung. Da haben die Ehrenamtler auch einen super Job gemacht. Die zweite Halle, das kriegen wir nicht hin. Das ist nicht möglich eins zu eins deckungsgleich die Termine zu verlegen. Existenzbedrohend ist es für die Abteilungen, die ihre Trainingszeiten komplett in den betroffenen Sporthallen haben, und in sofern sind einige Angebote ausgefallen, und es haben schon zwei Volleyballteams zurückgezogen werden müssen."
200 Sportstunden fallen seitdem Woche für Woche aus, die der MTV nicht mehr auffangen kann. Das bedeutet: 500 Mitglieder können ihren Sport gar nicht oder nur noch teilweise ausüben. Abgesehen von den anderen Sportvereinen, mit denen sich der MTV die großen städtischen Dreifach-Turnhallen geteilt hatte. Denn darin können mit Hilfe von Trennwänden drei Spielflächen gleichzeitig genutzt werden. Allein sieben dieser Hallen sind es im Stadtteil Köln-Mülheim, wo auch der MTV Köln seine Heimat hat.

Turnhallen mit Trennwänden als Anlaufstelle Nummer eins

Weil solche Turnhallen gewisse Standards bieten, sind sie für die Stadt für eine rasche Unterbringung besonders geeignet: Sie sind direkt verfügbar, besitzen sanitäre Einrichtungen, und voneinander abgetrennte Räume. Deshalb dienen sie für Städte und Kommunen momentan als Anlaufstelle Nummer eins, um Flüchtlinge unterzubringen.
Josef Ludwig vom Wohnungsamt Köln ist genau dafür mit seiner Dienststelle zuständig. Er weiß zwar um die Not der Vereine, kann sich aber gegenwärtig anders in dieser Frage nicht mehr helfen
"Was nicht passieren darf ist, dass wir unserer Unterbringungsverpflichtung, die ja gesetzlich geregelt ist, in Köln nicht mehr nachkommen können. Von daher geht es hier nur darum, in diesen Turnhallen Obdachlosigkeit zu vermeiden. Da werden die Turnhallen noch eine ganze Weile meiner Einschätzung nach eine Rolle spielen."
Dabei fordert Köln die Vereine massiv in dieser Frage. Denn in den allermeisten Fällen werden sie nur sehr kurzfristig über die Zweckentfremdung ihrer Sportstätte informiert. Um dann nicht einmal ein paar Tage Zeit zu haben, die Halle zu räumen. Das sorgt immer wieder für Ärger, weil dadurch der Spielbetrieb in den Ligen aller Sportarten komplett durcheinander kommt. Egal ob Handball, Basketball, oder Volleyball. Das weiß auch Josef Ludwig, der zudem die Turnhallen nicht als ideale Unterbringungsmöglichkeit favorisiert:
"Sie haben da unten Feldbetten stehen, da ist keine Privatsphäre. Ich quäle den Sport mit dem, was ich da tue. Weil ich Trainingszeiten, Trainingsgelegenheiten wegnehme. Und besonders natürlich den Ligaspielbetrieb in diesen Dreifachturnhallen damit störe."
Die Vereine werfen der Kölner Stadtverwaltung zurzeit wegen ihrer hohen Belastung massiv vor, dass sie nicht schnell genug Alternativen für die Turnhallen suchen würden. In einer Pressemitteilung aus dem März ging deshalb die Kölner Sportjugend in die Offensive, und machte ihrem Ärger Luft.

Ohne Spielstätten keine Integrationsleistung im Sport

Bei den verantwortlichen Stellen herrsche offensichtlich Angst andere Gesellschaftsbereiche in die Pflicht zu nehmen. Der Sport trage wie immer seinen Teil dazu bei, die Willkommenskultur zu erhalten und Integration zu leisten. Doch ohne Sportstätten könne er seinen Beitrag schwierig leisten, hieß es in der Veröffentlichung. So können beispielsweise Sportangebote für Flüchtlinge gar nicht angeboten werden, weil es keine Hallen dafür gäbe. Holger Dahlke vom MTV Köln sieht den Sport angesichts dieser außergewöhnlichen gesellschaftlichen Situation nicht mehr allein in der Verantwortung:
"Es ist bekannt, auch hier im Stadtbezirk, dass es Immobilien, Liegenschaften gibt, die geeignet sind, und nicht genutzt werden. Weil aus irgendwelchen verwaltungs- oder bautechnischen Gründen, diese Möglichkeit nicht ausgeschöpft werden. Das ärgert seinen sehr, weil man das Gefühl es wird auf dem Rücken der Schwächsten ausgetragen. Wir haben halt einen Stadtbezirk mit einem hohen Anteil mit Migrationsanteil. Und da ist es sehr, sehr wichtig, dass die Menschen eine vernünftige Freizeitbeschäftigung haben, gerade die Kinder und Jugendlichen. Das ist u.a. der Sport!"
Und das Ende der Fahnenstange ist noch nicht erreicht: Bis Ende des Jahres fehlen Köln nach derzeitigem Stand bis zu 10.000 Plätze, um die Flüchtlinge unterzubringen. Kritik an der Unterbringung wird auch von anderer Seite immer laut, weil Köln angesichts der großen Herausforderung sehr bürokratisch agiert.
So kaufte die Stadt beispielsweise vor anderthalb Jahren das Marienburger Bonotel in einem noblen Stadtteil für knapp sechs Millionen Euro zur Flüchtlingsunterbringung. Doch die Sanierungsarbeiten dauern immer noch an. Warum kann sich kaum einer erklären, auch nicht Martin Börschel. Er ist der Vorsitzender der größten Fraktion im Stadtrat, und sitzt dort mit der SPD in der Opposition:
"Dieses Bonotel in Marienburg ist ein Menetekel für die Kölner Flüchtlingspolitik, und die Art und Weise wie die Stadtverwaltung damit umgeht. Tatsächlich gekauft für viel Geld, dann umgebaut, und immer noch wohnt kein Mensch darin. Das ist fast ein Skandal, und es kann niemanden wirklich erklärt werden. Da werden mal Brandschutzbestimmungen ins Feld geführt, mal lange Umbaumaßnahmen, wo sich jeder normale Mensch doch fragt: Was vorher doch ein ordentliches Mittelklasse-Hotel war, muss doch geeignet sein, Flüchtlinge aufzunehmen."

Vorschriften verhinderen alternative Unterbringung

Beim Brandschutz setzt sich die Stadt sehr hohe Vorgaben. Das führt vor allem bei den alternativen Unterbringungsmöglichkeiten zu den Sporthallen zu einem immensen Zeit- und Kostenaufwand, der unweigerlich so manchen Verwaltungsmitarbeiter oder hilfsbereitem Bürger im Wege steht. Denn jedes Hotel und jede Privatwohnung, die von der Stadt mit Asylbewerbern belegt werden soll, wird zuvor brandschutztechnisch aufgerüstet.
Konkret heißt das: Rauchmelder in allen Zimmern, teilweise mit direkter Verbindung zur Feuerwehr, feuersichere Spezialtüren und mehrere Fluchtwege sind Pflicht. Von diesem Grundsatz weicht die Behörde in keinem Fall ab. Doch wenn sich Köln diese strengen Vorgaben selber setzt, hätte es laut Martin Börschel schon viel früher nach alternativen Unterbringungsmöglichkeiten zu den Turnhallen suchen müssen.
"Aber man hat viel zu spät angefangen, und hat sich statt für den richtigen Weg für den leichten entschieden. Für den vermeintlich leichten, und das ist jetzt das große Problem, dem wir jetzt gegenüber stehen. Leichtbauhallen, Baumärkte, die man hätte beschlagnahmen können, andere leerstehende Gebäude, von denen es doch das eine oder andere in Köln gibt. alles ein bisschen kompliziert. Man müsste gegebenenfalls auch Rechtsstreitigkeiten auf sich nehmen. Die Oberbürgermeisterin, die ja auch früher Flüchtlingsdezernentin war, hat eben diesen Weg bewusst nicht beschreiten wollen, und hat auf den vermeintlich leichten Weg zugegriffen, einfach Turnhallen zu nehmen."
Die Stadt Köln hemmt mit ihrem bürokratischen Vorgehen in der herrschenden Flüchtlingssituation vor allem die Integration der Neu-ankömmlinge. Denn da die Vereine die als Notunterkünfte umfunktionierten Turnhallen nicht nutzen können, fallen damit auch deren extra installierten Sportangebote für die Flüchtlinge weg.

München

Sobald in München auch nur ein bisschen die Sonne scheint, sind die Tische vor den Straßencafés voller Menschen. Wer einen Platz ergattern will, braucht Glück. Nur leider können die Münchner nicht dauernd mit Cappuccino in der Sonne sitzen, sie müssen auch irgendwo wohnen. Wer eine Wohnung sucht, für den wird die vielbeschworene Münchner Lebensqualität schnell zur Qual. Das gilt erst recht für die Menschen, die auf der Flucht in München gelandet sind, sagt Elisabeth Ramzews vom Sozialdienst für Asylsuchende der Inneren Mission.
"Ganz, ganz schwierig, dass die in eigenen Wohnraum kommen, also den sie selber anmieten. Wir haben natürlich Obdachlosenheime, wo nicht nur deutsches Klientel drin ist, sondern auch anerkannte Flüchtlinge."
Kritik übt die Innere Mission vor allem an den Leichtbauhallen. Hier hätten die Bewohner kaum Privatsphäre.
"Das ist halt sehr schwierig mit diesen 1,60 Meter hohen Wänden. Als ich da selber rein bin hab ich schon einen Schock bekommen. Zu bevorzugen sind Festbauten und die Möglichkeit, selbst zu kochen, weil man dann eine Tagesstruktur hat. Weil das Einkaufen, das Kochen und das Sorgen für die Familie sind ganz wichtige Bestandteile."
In den Leichtbauhallen aber gibt es keine Küchen. Die Unterkünfte wurden vergangenes Jahr binnen weniger Wochen aufgebaut, als täglich tausende Flüchtlinge in Bayern ankamen. Von einer Notlösung spricht Rudolf Stummvoll, der das Münchner Amt für Wohnen und Migration leitet.
"Das Wichtigste für uns: Wie kommen wir aus diesen Hallen wieder raus? Wir können ja nicht Menschen ein halbes Jahr, Jahr, in sowas drin lassen, ohne ihnen eine Perspektive zu geben. Da weiß ich genau was passiert."
Flüchtlinge warten auf dem Hauptbahnhof in München auf die Weiterfahrt zu einer Erstaufnahmeeinrichtung.
In München droht ein Kampf um bezahlbare Wohnungen zwischen einkommensschwachen Münchnern und anerkannten Asylbewerbern.© picture alliance / dpa/ Sven Hoppe
München hält sich viel darauf zugute, dass es die Flüchtlinge relativ reibungslos unterbringt. Dahinter stecke eine akribische Planung, so Amtschef Stummvoll, außerdem ein enges Zusammenspiel von Politik und Verwaltung. Jede Woche konferiere eine ressortübergreifende Arbeitsgruppe zur städtischen Flüchtlingspolitik – und das bereits seit mehr als zwei Jahren.
"Wir haben schon in den ersten Januartagen 2014 auf eine damals gewachsene Zahl von Flüchtlingen reagiert. Der Oberbürgermeister hat einen Stab für außergewöhnliche Ereignisse eingerichtet, der wöchentlich tagt und dem wir zu berichten haben als Verwaltung. Unter Federführung des Sozialreferates setzen sich alle anderen Referate an einen Tisch – mit dem Auftrag, so schnell wie möglich qualifizierte Unterbringungsplätze zu organisieren."
Wenn die Schlagzeilen aufgeregt vom Flüchtlingsstrom und einer nie dagewesenen Krise künden, ordnet man das in der Münchner Verwaltung gern in den historischen Kontext ein. Im Amt für Wohnen und Migration erinnern sie sich noch gut an den Zusammenbruch des Ostblocks und die Balkankriege. Damals geschaffene Strukturen seien nie abgebaut worden. Die Stadt habe über all die Jahre versucht, Zuwanderung zu gestalten.
"Wir hatten Ende der 80er-, Anfang der 90er-Jahre 25.000 bis 30.000 Flüchtlinge aus den Balkangebieten in München. Auch damals war schon ein ähnliches Problem. Und auf viele von diesen Erfahrungen greifen wir heute zurück."
Ein Problem allerdings lässt sich nicht so schnell lösen: Es ist viel zu eng hier, München gilt als die am dichtesten bebaute deutsche Großstadt. Da ist kaum noch Platz, um neue Häuser zu bauen, die Mieten steigen rasant. Was jetzt droht, ist ein Kampf um bezahlbare Wohnungen zwischen einkommensschwachen Münchnern und anerkannten Asylbewerbern in der von SPD und CSU regierten Stadt. Nicht nur die Rathaus-Opposition ist alarmiert, sagt Grünen-Stadträtin Gülseren Demirel.
"In dem Moment, wo die Flüchtlinge anerkannt sind, ist ja das Wohnungsamt zuständig. Und da haben wir im Moment ohne die Flüchtlinge über 4000 Wohnungslose in Beherbergungsbetrieben. Das heißt, München hat sowieso das Problem bezahlbaren Wohnraum. Und daher wird auch ein anerkannter Flüchtling nicht so schnell eine Wohnung bekommen."

Sofortprogramm: 3000 geförderte Wohnungen in vier Jahren

Die Nachfrage ist hoch, das Gut knapp. Auch Studierende, Erzieherinnen und Altenpfleger brauchten bezahlbaren Wohnraum, sagt Oppositions-Politikerin Demirel.
"Also haben wir gesagt, die Stadt muss jetzt endlich aufhören, ihre Grundstücke zu veräußern. Jedes städtische Grundstück muss von der Stadt selbst bebaut werden oder mit sozialen Kriterien verkauft werden. Wir haben eine Vorlage verabschiedet: Wo schnell gebaut wird, wo kleine Wohnungen gebaut werden, und ohne diese Standards: Tiefgarage, Stellplatz und so weiter."
Also hat der Stadtrat jetzt auf die Schnelle ein Sofortprogramm verabschiedet: Binnen vier Jahren baut München 3000 geförderte Wohnungen. Dabei reduziert die Stadt ihre bisherigen Standards: Keine Keller, keine Aufzüge, kleinere Grundrisse. An einer Stelle sollen über einem Parkplatz Wohnungen auf Stelzen entstehen. Das Programm trägt den Titel "Wohnen für alle" – das soll den Stadtfrieden sichern. Denn München sei "Wohnungsnotstandsgebiet" – auch ohne Flüchtlinge, sagt Rudolf Stummvoll vom Amt für Wohnen und Migration.
"Weil wir das wissen, dass es viele betrifft, eigentlich sehr sehr viele, nicht nur Flüchtlinge, ist ganz klar, dass ein Programm, das darauf reagiert, 'Wohnen für alle' heißen muss. Wir bauen also vernünftige Wohnungen, die auch in 40, 50, 60 Jahren noch Wohnungen sind und keine Pappschachteln. Sie werden etwa zur Hälfte mit anerkannten Flüchtlingshaushalten belegt und der andere Teil wird mit weiteren Haushalten, die den Anspruch auf geförderten Wohnraum haben, belegt werden."
Stummvoll betont: München tue viel dafür, dass keine Ghettos entstehen. So sollen auch diejenigen möglichst schnell integriert werden, die nicht dauerhaft in Deutschland bleiben. Auch für sie finanziere die Stadt Sprachkurse, Elterncafés und eine Kinderbetreuung in der Erstaufnahmeeinrichtung. sagt Elisabeth Ramzews von der Inneren Mission.
"Hier hat die Stadt einen Paradigmenwechsel vollzogen. Früher hat sich kein Mensch um die Kinder und Jugendlichen geschert. Die Innere Mission hat das 30 Jahre lang auf Spendenbasis finanziert. Und jetzt haben wir die tolle Geschichte mit der Regelfinanzierung. Wir sind in der Stadtgesellschaft angekommen."
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