Großstadtmärchen vom modernen Mann

Von Julia Friedrichs · 18.04.2012
Es wird viel geredet über Elternzeit, Frauenquote und über mehr Kitaplätze. Doch geholfen hat es bisher wenig. Immer noch sind Männer in Leitungsfunktionen deutlich stärker vertreten als Frauen, und zuhause machen sie sich rar. Moderne Männer sind ein Großstadtmärchen, meint Julia Friedrichs.
Seit Beginn des Jahres geistert er wieder durch die Feuilletons und füllt die Seiten der Magazine: der neue Mann. "Schmerzensmann" nannte ihn die Journalistin Nina Pauer, die diese Debatte auslöste, "Generation Wollmütze" taufte ihn der Stern. Beides moderne Varianten des Metrosexuellen, der vor fünf Jahren den Diskurs dominierte.

So klang Pauers Diagnose dann auch altbekannt: Die neuen Männer seien zu nachdenklich, zu zurückhaltend, zu zart. Jungs in Röhrenjeans, keine Kerle, denen man sich an die starke Brust werfen könne, klagte sie. Ihr Beleg: Begegnungen in Großstadt-Bars, aufgebauscht mit einem gehörigen Quantum Küchenpsychologie. Gefühlten Journalismus nennt man das wohl.

Die Schmerzensmänner sind die Junior-Variante der neuen Väter: Männer, die ein paar Wochen, oder gar ein Jahr die Pflege der Kinder übernehmen, die die Babys ausfahren, in die Luft werfen und – ja – sogar wickeln – und die sich dann, zurück im Büro, rühmen, immer Mittwochs früher Schluss zu machen, weil dann Papa-Tag sei.

Es gibt aber ein Problem: Sobald man die Bars und die Spielplätze der angesagten Viertel verlässt, sobald man nicht Einzel-Erfahrungen, sondern soziologischen Studien zum Maßstab nimmt, dann bleiben nicht mehr viele Schmerzensmänner und sanfte Väter übrig.

Die Fakten: Jeder zweite Vater ist länger als 45 Stunden pro Woche im Büro. Auch die viel gerühmte Elternzeit nehmen drei Viertel der Väter gar nicht in Anspruch. Und wenn doch, dann bleiben sie im Schnitt gut drei Monate zu Hause und arbeiten danach meist mehr also zuvor.

97 Prozent aller Vorstände der börsennotierten Unternehmen sind männlich. Wohingegen fast 70 Prozent der Niedriglohnbeschäftigten weiblich sind. In der belegbaren Wirklichkeit siegen die vermeintlich modernen Männer immer noch, wenn es um Karriere und Geld geht. Jenseits der Bars scheint das mit der starken männlichen Brust also weiterhin sehr gut zu funktionieren.

Diese Zahlen, mag man einwenden, beschreiben allenfalls eine Hälfte des Lebens. Die kalte Welt der Erwerbsarbeit. Dort ist der neue Mann ein Phantom. Wie aber sieht es im Privaten aus? Haben die Großstadt-Magazine wenigstens da recht?

Wieder die Fakten: Eine Gruppe Bamberger Forscher hat über Jahre die Rollenverteilung von Ehepaaren untersucht. Das Ergebnis: Im Moment der Eheschließung teilten noch gut 40 Prozent der Paare die Hausarbeit relativ partnerschaftlich auf. Dieser Anteil sank über die Jahre und betrug bei der letzten Befragung nach 14 Jahren Ehe nur noch 13,7 Prozent.

Das statistische Bundesamt misst auch, wofür die Deutschen wie viel Zeit verbrauchen und bestätigt in klarer Behördensprache: "Bei der Haushaltsführung insgesamt über alle Bereiche wie Kochen, Putzen, Wäsche pflegen, Einkaufen, bei handwerklichen Tätigkeiten, Tier- und Pflanzenpflege – übernehmen Männer durchschnittlich 37 Prozent der anfallenden Arbeiten, Frauen 63 Prozent". Am eindeutigsten ist die Geschlechteraufteilung bei der Wäschepflege: Frauen, die mit einem Partner zusammenleben, verbringen damit täglich über eine halbe Stunde, ihre Männer im Schnitt gerade einmal zwei Minuten.

So könnte man Studie um Studie zitieren, alles Zahlen, die so klingen, als stammten sie aus vergilbten Büchern der 1950er Jahre, die aber doch in diesem Jahrtausend erhoben wurden. Ist der moderne Mann also eine Lüge?

Zumindest eine drastische Änderung gibt es dann doch: All die Berichte über Schmerzensmänner und neue Väter führen offensichtlich zumindest dazu, dass sich die alten Rollenbilder neu anfühlen. Zwei Drittel der Bevölkerung haben das Gefühl, dass sich Väter heute stärker als vor fünf oder zehn Jahren an der Betreuung ihrer Kinder beteiligen.

Und das ist doch schon mal was. Okay, der moderne Mann ist und bleibt empirisch nicht nachweisbar. Wahrscheinlich ist er einfach zu scheu. Für differenzierte Aussagen seien die Fallzahlen einfach zu klein, schreiben Sozialforscher. Wie sich dieser empirische Schönheitsfehler aber leicht beheben lässt, das hat der gefühlte Journalismus vorgemacht.

Die Soziologen müssten nur ihr Forschungsgebiet auf Großstadt-Bars und die richtigen Kinderspielplätze beschränken. Dort sollen ja einige Exemplare der seltenen Spezies moderner Mann gesichtet worden sein.

Julia Friedrichs, Jahrgang 1979, arbeitet seit ihrem Journalistik-Studium als freie Autorin von Fernsehreportagen und Magazinbeiträgen. 2007 wurde sie für eine Sozialreportage mit dem Axel-Springer-Preis für junge Journalisten und dem Ludwig-Erhard-Förderpreis ausgezeichnet. Bisherige Buchveröffentlichungen: "Gestatten: Elite. Auf den Spuren der Mächtigen von morgen" (2008), "Deutschland dritter Klasse. Leben in der Unterschicht" (mit Eva Müller und Boris Baumholt, 2009), "Ideale. Auf der Suche nach dem, was zählt" (2011).
Die Journalistin Julia Friedrich
Julia Friedrichs© Gerrit Hahn / Hoffmann & Campe
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