Grimm-Märchen in der Oper

Von Dieter Scholz · 20.12.2012
Die Gebrüder Grimm begeistern mit ihren Märchen nicht nur Kinder bis heute. Auch Komponisten haben sich bei ihnen bedient, nicht zuletzt Engelbert Humperndinck bei "Hänsel und Gretel".
Hänsel und Gretel: "Abends will ich schlafen gehn"

Engelbert Humperdincks Oper "Hänsel und Gretel" nach dem gleichnamigen Märchen der Brüder Grimm ist wohl die Märchenoper schlechthin. Viele Komponisten haben Märchen fürs Musiktheater vertont, lange vor Humperdincks Oper aus dem Jahre 1902. Und nicht nur für die Opernbühne. Lang ist die Liste der Märchen vertonenden Liedkomponisten, ob Volkslied oder Kunstlied: ob "Dornröschen war ein schönes Kind", "Frau Holle, die schüttelt ihre Betten aus", das Lied vom "Rumpelstilzchen", " Brüderchen und Schwesterchen "oder "Die beiden Königskinder" in der Vertonung von Johannes Brahms.

Brahms: "Die beiden Königskinder"

Dutzende der Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm sind allgemeines Bildungsgut geworden. Eines von ihnen ist "Dornröschen." Es gibt über 50 Vertonungen (darunter 22 Bühnendichtungen) dieses Märchens von Rachmaninow bis Hans Werner Henze. Am bekanntesten ist das "Dornröschen"-Ballett von Peter Tschaikowsky, das allerdings nicht nach der Grimmschen Version, sondern nach der von Perrault komponiert wurde, er war der neben Giambattista Basile wohl bedeutendste Märchenverfasser und -Sammler vor Wilhelm und Jakob Grimm.

Tschaikowsky: "Dornröschen"

Was ist es, das die Komponisten an Märchen so interessiert? Es ist einmal die Handlung, die keine Vorgeschichte kennt. Was dem Opernbesucher das Verständnis erleichtert. Zumal bei bekannten Stoffen. Meist wird der Märchenheld auf eine Probe gestellt. Er lernt aber selten dazu. Das Märchen ist oft eine Aneinanderreihung von Situationen. Gut für die Musik. Und es gibt Wunder. Ein gefundenes Fressen für Komponisten. Dass Hexen auf dem Besen reiten können, ist eines der beliebtesten Märchenmotive. Die Operngeschichte ist denn auch voll von Hexenritten. Sogar Puccini hat in seiner Erstlingsoper "Le Villi" einen solchen eingefügt. Eine Oper über die Willis, Bräute, die vor der Hochzeit gestorben sind und als Untote spukend und mordend ihr Unwesen treiben.

Puccini/Le Villi: "Hexenritt"

Bei vielen Märchen gibt es eine hinter dem Märchenhaften, Fantastischen und Symbolischen verborgene Wahrheit, einen tieferen Sinn. Die Opernkomponisten Alexander Zemlinsky und Franz Schreker, aber auch Richard Strauss - der eine "Frau ohne Schatten" komponierte, in die das Grimmsche Märchen "Vom Wasser des Lebens" einging, sahen darin enorme Möglichkeiten der Tondichtung.

Strauss: "Die Frau ohne Schatten"

Unter den Märchenopern sind viele Werke, die nur indirekt mit den Märchen der Brüder Grimm in Verbindung gebracht werden können. Zu den echten Grimm-Vertonungen gehören beispielsweise Othmar Schoecks dramatische Kantate "Vom Fischer un syner Fru", aber auch Carl Orffs Opern "Die Kluge" und "Der Mond".

Orff: "Der Mond ist fort"

Am stärksten märchenbeeinflusst von den Brüdern Grimm ist der Komponist Richard Wagner. Ausgerechnet in seinem "Nibelungenring" der nordische Sagenstoffe mit griechischem Mythos und moderner Gesellschaftskritik verschmilzt, findet sich das Motiv des "Märchens von einem, der auszog das Fürchten zu lernen". Nicht anders läßt sich die Gestalt Siegfrieds beschreiben. Siegfrieds Ziehvater Mime gegenüber spricht es Gott Wotan sogar aus: "Nur wer das Fürchten nicht erfuhr, der schmiedet Notung neu."

Richard Wagner: "Siegfried"

Siegfried lernt das Fürchten nicht, er schmiedet das Notung-Schwert, tötet den Drachen, versteht plötzlich das Waldvöglein (auch ein Märchenmotiv aus "Dornröschen" und "Hänsel und Gretel") und erweckt Brünnhilde. Wagner hat viele Märchenmotive in seine Musikdramen eingearbeitet. Und er bekannte sich gern dazu, ja riet sogar seinen Berufskollegen, "es ruhe noch ein reicher, ungehobener Schatz im Ideenkreise der Sage, der Märchen und der Legende". Es sind denn auch viele Grimm-Märchen nach Wagner vertont worden. Allein Norbert Schulze hat seit den 30er- bis in die 80er-Jahre die Opern "Die Prinzessin auf der Erbse", "Das tapfere Schneiderlein" und "Schneewittchen" komponiert. Zuletzt kamen "Die Bremer Stadtmusikanten" als Kinderoper in Hannover 2010 heraus. es wird nicht die letzte Vertonungen eines Grimmschen Märchens sein. Aber Humperdincks "Hänsel und Gretel" bleibt sicher die berühmteste.
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