Griechenland

Politikberater rechnet mit neuem Reformkurs in Athen

Panos Kammenos und Alexis Tsipras sitzen an einem Tisch und lächeln in die Kameras.
Große Erwartungen in Griechenland an Syriza-Chef Alexis Tsipras und seinen rechtspopulistischen Koalitionspartner Panos Kammenos © picture alliance / dpa / Lefteris Pitarakis / Pool
Moderation: Korbinian Frenzel  · 27.01.2015
Der Brüsseler Politikberater Janis Emmanouilidis erwartet, dass die neue griechische Regierung sich konsequenter an Reformen heranwagt als ihre Vorgänger. Allerdings wolle sie sich auch um die soziale Lage der Bevölkerung kümmern.
Die neue Koalition werde alles daran setzen, im Euroraum zu bleiben und den europäischen Partnern entsprechende Angebote unterbreiten, sagte der Wissenschaftler von der Brüsseler Denkfabrik "European Policy Centre" im Deutschlandradio Kultur. Es zeichne sich bereits ab, dass Ministerpräsident Alexis Tsipras in der Lage sein könnte, Dinge anzubieten, die Vorgängerregierungen nicht leisten konnten. Als Beispiel nannte Emmanouilidis das Thema Korruption. Eine Partei wie Syriza sei unbelasteter von der politischen Vergangenheit und besser in der Lage, das alte Establishment anzugehen.
Schwierige Verhandlungen in Brüssel
"Ich glaube, dass man von dieser Regierung sehr wohl erwarten kann, dass sie Reformen voran treiben wird, die Vorgängerregierungen nicht in der Lage waren voranzutreiben," sagte Emmanouilidis. "Das wird kein einfacher Weg, und auch die Verhandlungen mit den Partnern werden sicherlich äußerst schwierig werden in den nächsten Wochen und Monaten." Die neue Regierung werde weiter sparen müssen, sagte der Politikberater. Aber Syriza werde auch aus guten Gründen der "humanitären Krise" in Griechenland entgegenwirken. "Dass es einen politischen Transformationsprozess in Griechenland gibt, das wissen wir", sagte Emmanouilidis. Die neue Syriza-Regierung sei Teil dieser Weiterentwicklung des griechischen Politikbetriebes. "Wie es ausgeht am Ende, ob tatsächlich in den Geschichtsbüchern der Zukunft stehen wird, Herr Tsipras brachte den Wandel in das Land, das weiß ich nicht."

Das Interview im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: Griechenland hat gewählt und Europa muss diese Entscheidung noch immer verdauen. Immerhin – es gibt keine Hängepartie, was die Regierungsbildung angeht: Kurz nach der Wahl hat Alexis Tsipras für sein Linksbündnis einen Partner gefunden, die rechtspopulistischen Unabhängigen Griechen. Eine nicht unumstrittene Partnerwahl – was kommt jetzt, ein griechischer Sonderweg? Wir sprechen mit Janis Emmanouilidis, er ist Analyst beim European Policy Center in Brüssel. Guten Morgen!
Janis Emmanouilidis: Guten Morgen!
Frenzel: Macht sich Tsipras auf einen Sonderweg, möglicherweise raus aus dem Euro?
Emmanouilidis: Nein. Es geht nicht darum, aus dem Euro auszuscheiden, ganz im Gegenteil, 75 bis 80 Prozent der griechischen Bevölkerung will aus sehr guten Gründen im Euroraum verbleiben, will die gemeinsame Währung weiter führen aufgrund der negativen politischen, ökonomischen, sozialen Verwerfungen, die das mit sich brächte, wenn man den Weg aus dem Euro heraus suchen würde. Ganz im Gegenteil: Ich glaube, dass die neue Regierung alles daran setzen wird, im Euro zu verbleiben und entsprechend auch Angebote nun unterbreiten muss gegenüber den Partnern, die attraktiv genug sind, um weiter Unterstützung zu leisten gegenüber Griechenland.
Frenzel: Die Griechen wollen im Euro bleiben, sagen Sie, die griechische Regierung, die neue, will im Euro bleiben. Das sagt sie ja auch, wir kennen ja diese Stellungnahmen. Nur fragt man sich natürlich: Sind sie bereit, dafür den Preis zu zahlen? Ganz offenbar nicht, oder zeichnen sich da schon Kompromissangebote ab?
Emmanouilidis: Ich glaube, dass es sich sehr wohl abzeichnet, dass man bereit ist und auch in der Lage sein könnte, Dinge auch den Partnern anzubieten, die Vorgängerregierungen in dieser Form nicht haben anbieten können. Wenn man sich beispielsweise die Frage Korruption anschaut, wenn man sich die Frage anguckt, wie man mit partikularen Interessen sehr starker Gruppen in Griechenland umgeht, mit sehr guten Verflechtungen in die Politik herein, in die Wirtschaft, in die Medien – da ist man, glaube ich, als eine Partei wie Syriza, die unbelastet ist von der Vergangenheit, die in der Vergangenheit auch noch nie ein politisches Amt oder politische Ämter bekleidet haben, sehr viel stärker in der Lage, dieses alte Establishment anzugehen. Ich glaube also, dass man von dieser Regierung sehr wohl erwarten kann, dass sie Dinge vorantreiben wird, Reformen vorantreiben wird, die die Vorgängerregierung nicht in der Lage war, voranzutreiben. Aber es wird kein einfacher Weg, und auch die Verhandlungen mit dem Partner werden sicherlich äußerst schwierig über die nächsten Wochen und Monate.
Athen weiter auf Sparkurs
Frenzel: Aber das heißt, der Deal in Richtung Europa könnte dann also sein: Wir sparen möglicherweise weniger, da könnt ihr nicht so viel von uns verlangen, aber dafür kriegt ihr endlich die Strukturreformen, die ja in der Tat die bisherige Regierung nicht so richtig vorgenommen hat?
Emmanouilidis: Also man wird definitiv weiter sparen müssen, aber Griechenland hat es mittlerweile geschafft über die letzten Jahre, einen Haushaltsüberschuss – wenn man all die Zinszahlungen herausrechnet – zu erzielen und man kann sich also selbst finanzieren. Also es geht nicht darum, neue Schulden zu produzieren, aber die Frage wird sich natürlich stellen, wie man das Geld, das man zur Verfügung hat, einsetzt. Und da will Syriza der, wie wir es nennen, „humanitären Krise" entgegenwirken, aus guten Gründen, wenn man sich die soziale Situation eines Großteils der Bevölkerung vor Augen führt, aber gleichzeitig will es auch an Dinge herantreten und konsequenter sein, als das Vorgängerregierungen waren.
Frenzel: Warum aber dann diese Regierungskoalition? Wenn man sich das mal auf deutsche Verhältnisse übersetzt, wäre das ungefähr so, als würde die Linkspartei mit der AfD koalieren. Das passt doch eigentlich überhaupt nicht zusammen!
Emmanouilidis: Also ich glaube, dass man es nicht auf deutsche Verhältnisse übersetzen kann. Es gab und gibt zwei potenzielle Koalitionsbündnisse, und das eine ist das zwischen Syriza und den rechten Unabhängigen Griechen. Es gab auch die andere Alternative, dass man mit einer zentristischen Partei, nämlich dem Fluss, zusammengeht.
Frenzel: Einer pro-europäischen, was ja auch ein gutes Signal in Richtung Brüssel gewesen wäre.
Emmanouilidis: Übrigens, Syriza ist zwar eine radikale linke, aber auch eine pro-europäische Partei. Aber ja, Sie haben recht: Es wäre ein anderes Signal gewesen. Aber man hat nun optiert, mit den Unabhängigen Griechen in dieser Phase zusammenzugehen. Man wird sehen auch, wie lange das hält. Ich glaube, das war von vornherein geplant, deshalb ging es auch so schnell. Das persönliche Verhältnis zwischen Herrn Tsipras und Herrn Kammenos, dem Führer der Unabhängigen Griechen, scheint wohl sehr positiv zu sein. Aber es gab gestern auch Gespräche mit dem Fluss, To Potami, diese zentristische Partei, die auch Unterstützung zugesagt hat, vielleicht nicht in der gleichen Form, wie das von den Unabhängigen Griechen sein wird, aber auch hier will man eine Form der Zusammenarbeit finden. Man wird sehen, in welche Richtung sich das entwickeln wird.
Ein Bündnis auf Zeit?
Frenzel: Es gibt vielleicht eine Übereinstimmung in der Frage der Finanz-, der Rettungspolitik, also der Wirtschaftspolitik. Aber wenn wir uns andere Felder angucken, Flüchtlingspolitik, da stehen diese Parteien ja diametral gegeneinander. Wird das irgendwann knallen, wird das auseinanderbrechen, wird man das einfach komplett ausklammern?
Emmanouilidis: Übrigens auch in der Wirtschaftspolitik hat man teilweise sehr unterschiedliche Auffassungen, beispielsweise, was Steuerpolitik angeht. Also ja, beide Seiten sind teilweise sehr verschieden in diesen von Ihnen erwähnten Politikbereichen, und daher ist es nicht klar, wie lange das hält. Es könnte auch sein, dass das jetzt nun ein Bündnis auf Zeit ist, das wird sich zeigen. Aber was nun prioritär in Griechenland sein wird, und das ist für Syriza prioritär und das ist übrigens auch für die Unabhängigen Griechen prioritär, ist, dass man der humanitären Misere entgegentritt und gleichzeitig nun diese Verhandlungen führen muss mit den Partnern. Und da sah man wohl in den Unabhängigen Griechen eine bessere Wahl als irgendein anderer Koalitionspartner. Aber wie fragil dieses Verhältnis sein wird, das wird sich zeigen über die nächsten Monate.
Frenzel: Haben Sie, um noch mal auf die europäische Ebene zu kommen, haben Sie den Eindruck, dass sich die EU, die europäischen Partner darauf einlassen werden? Oder verknappt gefragt: Wird Tsipras es schaffen, Griechenland einerseits politisch umzusteuern und gleichzeitig den Euro zu erhalten?
Emmanouilidis: Also dass man den Euro erhalten wird, davon gehe ich aus. Dass es einen politischen Transformationsprozess in Griechenland gibt, das wissen wir. Diese neue Syriza-Regierung ist Teil der Weiterentwicklung des griechischen Politikbetriebes. Wie es ausgeht am Ende, ob es tatsächlich in den Geschichtsbüchern der Zukunft stehen wird, Herr Tsipras brachte den Wandel in das Land, das weiß ich nicht. Ich glaube, das kann auch niemand zum aktuellen Zeitpunkt evaluieren. Aber man sollte ihm, glaube ich, eine Chance geben, aber man sollte auch gleichzeitig von ihm verlangen und sie sollten es auch selbst von sich abverlangen, dass sie Reformen nun vorantreiben, die in der Vergangenheit nicht ausreichend vorangetrieben wurden. Es ist sehr viel geschehen über die letzten Jahre, aber es ist auch noch ein langer Weg vor Griechenland in diesem fundamentalen Veränderungsprozess.
Frenzel: Das sagt Janis Emmanouilidis, Analyst beim European Policy Center in Brüssel. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Emmanouilidis: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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