Griechenland

"Künftige Regierung muss sich die Reformen zu eigen machen"

Der Spitzenkandidat der Europäischen Linken Alexis Tsipras
Der Spitzenkandidat der Europäischen Linken Alexis Tsipras © picture alliance / dpa / Simela Pantzartzi
Alexander Kritikos im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 23.01.2015
Das Linksbündnis in Griechenland ist klarer Favorit auf einen Sieg der Parlamentswahlen am Wochenende. Den von Syriza geforderten Schuldenschnitt werde es dennoch nicht geben, meint Alexander Kritikos, allenfalls eine Laufzeitverlängerung.
Liane von Billerbeck: Am Wochenende wird gewählt ein neues Parlament in Griechenland. Und nach den Umfragen liegt das linke Bündnis Syriza von Alexis Tsipras vorne. Das Bündnis, das immer gesagt hat: Wir wollen die uns aufgezwungene extreme Sparpolitik zurückdrehen. 2012 hatte es ja schon mal einen Schuldenschnitt für Griechenland gegeben, doch trotz der Strukturreformen, die eingeleitet wurden, ist die Lage für die Griechen noch immer sehr schwierig. Noch immer Schlangen vor den Suppenküchen, Familien, die nicht ein noch aus wissen, Renten um ein Drittel gesunken, Lohnkosten ebenfalls, falls man denn noch Arbeit hat. Was also braucht sie, die griechische Wirtschaft, um wieder auf die Füße zu kommen? Das will ich jetzt wissen von Alexander Kritikos, er ist Wirtschaftsprofessor und Forschungsdirektor am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin. Guten Morgen!
Alexander Kritikos: Schönen guten Morgen!
von Billerbeck: Am Wochenende wird in Griechenland gewählt, und nach den Umfragen, ich sagte es, liegt Syriza vorn, das linke Wahlbündnis. Gestern hatte nun die EZB beschlossen, Staatsanleihen in riesigem Umfang zu kaufen. Leistet Mario Draghi damit Wahlkampfhilfe für Tsipras?
Kritikos: Ich denke, psychologisch gesehen, kann man das wahrscheinlich so sagen. Er könnte damit das Gefühl ausgelöst haben, dass die griechischen Schulden auf diese Weise tatsächlich reduziert werden, dass es einen weiteren Schuldenschnitt geben könnte. Aber das ist nicht unbedingt richtig. Es gilt auch weiterhin, auch wenn die EZB aufkauft, es gilt weiterhin, dass die griechischen Schulden so, wie sie gegenüber ihren Gläubigern existieren, bestehen bleiben. Nur der Gläubiger ändert sich zum Teil.
von Billerbeck: Syriza hat ja nun immer gesagt, das Bündnis wolle die Bedingungen für die Rückzahlung der Finanzhilfen ganz neu verhandeln. Halten Sie denn einen Kompromiss zwischen diesem Bündnis und der EU für möglich? Oder der Troika?
Kritikos: Ich denke, dass man versuchen wird, wenn denn Syriza tatsächlich an die Regierung kommt ... Das ist noch lange nicht ausgemacht, aber mal angenommen, es passiert so, und mal angenommen auch, dass sie allein an die Regierung kommen, selbst das ist ja auch noch nicht klar, aber selbst wenn es so kommen sollte, wird man vielleicht Kurzverhandlungen haben, aber man wird bestenfalls entgegenkommen Richtung Syriza, dass man bei der Zinshöhe noch mal etwas schraubt, also die Zinsen auf die Staatsschulden reduziert, und die Laufzeiten verlängert. Ich rechne zum derzeitigen Zeitpunkt nicht damit, dass man sofort und insbesondere ohne weitere Reform auch auf weitere Schuldenschnitte eingehen wird. Was ich mir vorstellen kann, ist, dass man die Reihenfolge ändern wird. Das heißt, dass man unter Umständen auch vereinbart: Wenn eine neue Regierung bereit ist, ernsthaft auch die Strukturreformen durchzuführen, die sie bisher nicht durchgeführt hat, dass man dann auch auf der Höhe des Schuldenniveaus Griechenland ein bisschen entgegenkommt.
von Billerbeck: Weil Sie sagen, die Reformen, die nicht durchgeführt worden sind, müssten für so eine Situation dann tatsächlich umgesetzt werden ... Also all das, was Samaras bisher nicht gemacht hat, das müsste Syriza ja dann tun, zum Beispiel den öffentlichen Dienst zu reformieren in Griechenland, der ja immer sehr überdimensioniert war. Lässt sich aber dieser, sage ich mal, griechische Klientelismus überhaupt zurückdrängen? Und wenn ja: Wie?
Kritikos: Ich würde sagen, es sind zwei Komponenten, die die Strukturreform ausmachen. Das eine ist in der Tat, wie Sie sagen, die griechische Bürokratie weiter reduzieren, das andere ist aber auch, die Spielregeln zu verändern. Wir wissen ja, dass in Griechenland private Unternehmen wirklich mit einer großen Vielzahl von Regeln und Überregulierung konfrontiert sind, man könnte fast sagen: schikaniert werden. Und hier ist eigentlich der wichtigste Ansatzpunkt, damit die griechische Wirtschaft in Zukunft etwas besser prosperieren kann, als sie das in der Vergangenheit gemacht hat. Man muss wirklich sozusagen an eine Regierung herantreten und ihr deutlich machen, dass gerade da Reformen notwendig sind. Auf der anderen Seite ist natürlich der Staatssektor, der zu reduzieren ist, ganz wichtig. Und hier hören wir derzeit vor der Wahl von Syriza natürlich genau das Gegenteil. Sie wollen den Staatssektor wieder aufpäppeln, noch weiter aufbauen, und da hört man natürlich sicherlich immer noch den alten Klientelismus durch nach dem Motto: Wer mich wählt, könnte auch danach wieder einen Job beim Staat bekommen. Ob sie das dann auch umsetzen können, ist natürlich offen.
von Billerbeck: Nach der Wahl ist ja immer ein bisschen anders als vor der Wahl. Nun sind Sie beim DIW Forschungsdirektor, und zwar für Entrepreneurship, also fürs Gründen. Und wenn man anguckt, dass dieser dramatische Rückgang der griechischen Wirtschaft damit zu tun hat, dass im Land kaum noch investiert wird, wie ließe sich denn dagegensteuern?
Kritikos: Ich denke, es sind zwei Schritte, die hier passieren müssten. Das eine ist, dass man die gesamten Regularien für private Unternehmungen – das geht eben nicht nur beim Gründen los, sondern bei dem Betrieb eines Unternehmens bis hin zur Schließung eines Unternehmens –, dass man da Vereinfachungen durchsetzen müsste und entwickeln müsste. Die bürokratischen Schritte sind unzählig, die man in Griechenland gehen muss. Bis dahin, das kann ... Das weiß man kaum im Ausland, aber es ist eben auch ein ganz wichtiges Element. Man kann eine Unternehmung, selbst wenn sie insolvent ist, kaum schließen. All diese Schritte müssen also vereinfacht werden. Das ist der eine Punkt. Man muss es einfach möglich machen, dass man in neue Märkte eintreten kann. Und das führt zum zweiten Punkt: Die sogenannten geschlossenen Berufe sind nach wie vor nicht wirklich geöffnet worden, hier gab es ein großes Hin und Her. Mal hieß es, sie sind jetzt geöffnet, dann hat man das wieder verzögert, sodass heutzutage eigentlich gar niemand weiß, welche der geschlossenen Berufe tatsächlich nun geöffnet ist oder nicht. Hier braucht es auch Klarheit, Transparenz und eine offensive Politik, in der auch die Politik einfach deutlich macht, was sie gemacht hat. Ich glaube, das ist vielleicht ein wichtiger dritter Punkt: Die griechische Regierung hat bisher immer gegen die Troika agiert und hat so getan, als ob das, was die Troika möchte, sozusagen dem Land schadet. Sie hat sich diese Reformen nicht zu eigen gemacht und daraus keine Visionen entwickelt. Ich glaube, das ist ein ganz wesentlicher dritter Punkt. Wenn Griechenland vorankommen soll, dann muss eine zukünftige Regierung, wer immer auch die sein mag, eine eigene Vision entwickeln, sich diese Reformen zu eigen machen und sie auch umsetzen.
von Billerbeck: Alexander Kritikos, Forschungsdirektor beim DIW, über das, was in Griechenland nach der Wahl, die am Wochenende stattfindet, passieren muss. Ich danke Ihnen!
Kritikos: Vielen Dank Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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