Griechenland-Krise

"Europa fit machen für die nächsten hundert Jahre"

EU-Flagge und Griechenland-Flagge vor blauem Himmel
EU-Flagge und Griechenland-Flagge vor blauem Himmel © dpa/picture-alliance/ Herbert Knosowski
Hannes Swoboda im Gespräch mit Dieter Kassel  · 08.07.2015
Der österreichische Europapolitiker Hannes Swoboda hat Versäumnisse aller Seiten in der Griechenland-Krise beklagt.Der SPÖ-Politiker fordert Reformen und Investitionen für Athen.
Es handele sich um eine gemeinsame Verantwortung, sagte der frühere österreichische EU-Parlamentarier Hannes Swoboda im Deutschlandradio Kultur. Die Schuldenkrise sei über viele Jahre hinweg entstanden und hinausgeschoben worden. Man habe sich zu stark auf eine Radikalkur konzentriert, die vor allem Einsparungen und Kürzungen vorsah, ohne grundsätzliche Reformen des Staates einzuleiten. Daher seien alle Beteiligten schuld, nicht nur die jetzige griechische Regierung.
Große Koalition nötig
"Die jetzige Regierung hat versäumt, wirklich mit neuen Ideen und Vorschlägen zu kommen", sagte der SPÖ-Politiker. Das liege auch daran, dass sie "sehr komisch und gegensätzlich" zusammengesetzt sei. "So kann man nicht arbeiten, man bräuchte wirklich eine große Koalition von verantwortungsbewussten PolitikerInnen in Griechenland, die den Mut und die Kraft haben, Reformen durchzuführen." Die Griechen müssten ihr Land selber retten, allerdings nicht unbedingt mit den Konzepten, die von der Eurozone bislang vorgeschlagen worden seien. "Sie müssen eigene Konzepte entwickeln", sagte Swoboda. Das könne nicht nur durch Einsparungen geschehen, sondern durch Investitionen und einen funktionsfähigen Staat, der in der Lage sei, Steuern einzutreiben.
Sparsamkeit mit Investitionen verbinden
Die europäischen Sozialdemokraten hätten verpasst, eine andere Antwort zu geben als eine "neoliberale Antwort", sagte Swoboda. Man habe versäumt, einen mittleren Weg vorzuschlagen, der Sparsamkeit mit Investitionen verbunden habe. Das Beispiel der USA zeige, dass dort keine radikale Deflationspolitik betrieben worden sei und das Land dank eigener Investitionen aus der Krise komme. "Das hat Europa versäumt", sagte der SPÖ-Politiker "Wir haben uns zu sehr dieser Ideologie von rechts angeschlossen." Außerdem sei eine Anti-Europa-Stimmung weiter gestiegen, auf die Europa-Politiker heute zu wenig Antworten bereit hielten. Swoboda mahnte Investitionen in die Zukunft an. Es sei wichtig, "Europa fit zu machen für die nächsten hundert Jahre".

Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Es gab gestern auf dem Eurokrisengipfel in Brüssel viele Vorwürfe, es gab am Ende enttäuschte Gesichter, es gab aber auch von vielen Seiten das Bekenntnis dazu, die Schuldenkrise sei nicht nur ein Problem Griechenlands, nicht einmal nur eines der Eurogruppe, sondern europäisches Problem. Und es gab beschwörende Worte auch, man müsse an der Zukunft Europas arbeiten. Über all das wollen wir jetzt mit Hannes Swoboda reden. Er ist Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Österreichs, der SPÖ, saß von 1996 bis 2014 im Europäischen Parlament, und er war dort am Schluss dann der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Fraktion. Und er sagt, ich bringe das Zitat jetzt mal komplett, vorhin war es verkürzt. Er sagt auf seiner Internetseite, Europa brauche nach einem harten Winter der Austerität einen europäischen Frühling. Schönen guten Morgen, Herr Swoboda!
Hannes Swoboda: Schönen guten Morgen, Herr Kassel!
Kassel: Wo Sie das so poetisch formuliert haben, will ich mich auch mal daran versuchen: Ist es nicht so, dass die Griechen jetzt schon den Hochsommer wollen, ohne vorher im Frühling bereit zu sein, das zu pflanzen, was dann später erblühen kann?
Swoboda: Manche sicherlich, da haben Sie recht. Manche glauben noch immer, dass andere einfach kommen und ihr Land sozusagen retten. In Wirklichkeit müssen sie es selber retten, allerdings nicht unbedingt mit den Konzepten, die von der Eurozone bisher vorgeschlagen worden sind. Sie müssen eigene Konzepte entwickeln, radikale Konzepte, und das kann nicht nur durch Einsparungen geschehen, sondern muss auch durch Investitionen geschehen und durch die Herstellung eines funktionsfähigen Staates, inklusive funktionsfähiger Steuereintreibungsmethoden.
Kassel: Wer ist denn, um es jetzt mal wieder prosaischer zu formulieren, wer ist denn im Moment Schuld daran oder wer trägt die Verantwortung dafür, dass es noch immer zu keiner Einigung gekommen ist?
Swoboda: Es ist eine gemeinsame Verantwortung. Wir dürfen ja nicht vergessen, die Schuldenkrise ist ja nicht in den letzten Monaten entstanden, sie ist über Jahre hindurch entstanden. Und sie wurde auch in den letzten Monaten oder Jahren, wo es andere Regierungen gab, auch nicht wirklich gelöst. Es war ein Hinausschieben, es war eine Konzentration auf eine Radikalkur im Sinne von Einsparen, soziale Schnitte, Pensionskürzungen etc. Das würde ich durchaus auch akzeptieren, wenn es gleichzeitig begleitet ist von wirklich grundsätzlichen Reformen des Staates. Und das ist von niemandem wirklich angesprochen worden. Wenige Maßnahmen haben die Regierungen gesetzt, aber vor allem auch die Eurozonenminister haben diesen Hauptpunkt der Reformen nicht wirklich angesprochen und eingefordert.
Daher sind alle Beteiligten schuld, nicht nur die jetzige Regierung. Die jetzige Regierung hat es versäumt, wirklich mit neuen Ideen und Vorschlägen zu kommen, sondern hat nur einfach hinausgezögert, vor allem auch, weil natürlich diese Regierung eine sehr komisch und gegensätzlich zusammengesetzte Regierung ist. Syriza selbst, die haupttragende Partei von Herrn Tsipras ist eine Kollektion von ganz unterschiedlichen Gruppierungen. So kann man nicht arbeiten. Man bräuchte wirklich eine große Koalition von verantwortungsbewussten Politikerinnen in Griechenland, die den Mut und die Kraft haben, Reformen durchzuführen.
Mittlerer Weg vorgeschlagen
Kassel: Aber dann reden wir doch mal über die Rolle von Parteien in Europa, die links von der Mitte stehen. Eine große deutsche Boulevardzeitung, wir können vielleicht auch "Bild-Zeitung" sagen, behauptet heute, der deutsche Vizekanzler und SPD-Politiker Sigmar Gabriel sei noch strenger als Angela Merkel im Moment. Verpassen da die Sozialdemokraten in Europa gerade eine Chance?
Swoboda: Na ja, da muss man auch die innerdeutsche Konkurrenz zwischen den Parteien da ihn Rechnung stellen. Ja, wir haben ein bisschen etwas verpasst, das ist richtig. Wir haben verpasst, dass wir auf die Reformen versucht haben, eine andere Antwort zu geben als eine bloß, um in Schlagworten zu reden, neoliberale Antwort. Da ist zu wenig passiert. Und wir haben auch die Division, die Trennung zwischen Nord und Süd einfach zur Kenntnis genommen, anstatt einen mittleren Weg vorzuschlagen, der natürlich heißt, Sparsamkeit, aber gleichzeitig Investitionen.
Wenn wir sehen, warum ist Amerika besser aus der Krise herausgekommen, obwohl der Ursprung der Krise eigentlich in den USA ist: Weil die USA eben nicht eine radikale Deflationspolitik betrieben haben, weil die USA investiert haben auch in den eigenen Staat, also öffentliche und private Investitionen. Und das hat Europa versäumt. Wir haben uns zu sehr dieser Ideologie von rechts angeschlossen, und ideologisch ist heute eher eine rechte Eigenschaft und keine linke Eigenschaft.
Kassel: Die Zukunft Europas stehe auf dem Spiel, sagen viele, übrigens auch teilweise unabhängig von ihrer jeweiligen Ideologie. Stimmen Sie dem zu, oder nimmt man da nicht doch die griechische Schuldenkrise ein bisschen zu ernst?
Swoboda: Ich könnte dem zustimmen, allerdings würde ich das nicht nur auf die Griechenlandkrise konzentrieren. Wir haben ja auch sehr viele Rechtsbewegungen in Ländern, insbesondere in Frankreich, aber auch in Österreich, die gestärkt werden durch eine gestiegene Arbeitslosigkeit. Unabhängig von der Höhe, allein die Tatsache, dass wir so lange akzeptiert haben, dass so viele Menschen arbeitslos sind, hat in vielen Ländern zu einer autoritären Bewegung geführt. Wir haben die Situation in Spanien mit einer sehr zersplitterten Parteienlandschaft. Also die Anti-Europastimmung, die ist sicherlich gestiegen, und da haben Europas Politikerinnen zu wenig Antworten. Wir nehmen das einfach oft gar nicht zur Kenntnis.
Vorbereitung für die Zukunft
Kassel: Aber haben Sie denn Antworten darauf, wie wir die Zukunft der EU gestalten sollten?
Swoboda: Ich glaube schon, dass auch noch in meiner Zeit als Fraktionsvorsitzender haben wir immer wieder Vorschläge gemacht, wie man zum Beispiel gleichzeitig investieren kann, wie man sagen kann, ja, wir müssen zur Kenntnis nehmen, wir wollen keine neuen Schulden machen, aber wenn es um Investitionen geht und die Vorbereitung für die Zukunft, dann muss auch investiert werden. Wir müssen Investitionen in die Entwicklung der Wirtschaft müssen wir ausnehmen von den Schuldenkriterien. Es ist nicht gleich, ob ich Schulden mache, um Sozialleistungen zu finanzieren, oder ob ich Schulden mache, um in Investitionen zu investieren, die mir ja wieder neue Einkommen schaffen, die ja neue Steuern auch wieder einbringen. Und dieses kurzfristige Denken, einfach Reduktion der Sparsamkeit, aber nicht gleichzeitig investieren, das ist der Fehler.
Und zum Beispiel Deutschland, aber auch Österreich, verlangt von vielen Ländern das, was sie zu Hause nie verlangen würden, weil sie zu Hause ein System haben der Sozialpartnerschaft, der Verständigung, auch der Investitionen, die wir anderen Ländern oft nicht zulassen und genehmigen. Und da ist ein Widerspruch, der aufgelöst werden muss. Wir müssen gemeinsam Projekte entwickeln in Europa, um uns zu modernisieren und auf den Wettbewerb vorzubereiten, mit China, mit den USA. Da steht ja so viel auf dem Spiel. Und wir kümmern uns oft nur um irgendwelche Details, um Rauchverbote und andere Dinge, statt wirklich auch gleichzeitig zumindest in die Zukunft zu schauen und Europa fit zu machen für die nächsten hundert Jahre.
Kassel: Aber Herr Swoboda, wenn Sie diesen Widerspruch wirklich auflösen innerhalb Europas, bekommen Sie dann nicht einen neuen? Denn wie wollen Sie denn Ländern wie den Republiken des Baltikums, wie Irland, wie der Slowakei, erklären, dass man von ihnen was verlangt hat, was man jetzt in Zukunft von Griechenland nicht mehr verlangt?
Swoboda: Schauen Sie, diesen Ländern hat man ja auch viel gegeben. Wir haben Ihnen geholfen, –
Kassel: Griechenland auch.
Swoboda: – die Freiheit zu entwickeln, aber diese Länder haben ja sehr viele ihrer Arbeitskräfte nach England und nach Deutschland und in andere Länder entsandt. Das darf man nicht vergessen. Das Wachstum, das damals noch geherrscht hat in Europa, hat es ihnen ermöglicht, ihre Arbeitskräfte zu exportieren, damit keine Arbeitslosigkeit zu Hause zu haben oder eine geringere Arbeitslosigkeit, Einkommen in anderen Ländern zu schaffen, die dann wieder ins eigene Land gekommen sind. Wer will denn heute aus Griechenland Arbeitskräfte exportieren in andere Länder, die ja selbst nicht mehr wachsen?
Das heißt, die Entwicklung in den baltischen Ländern, die positive Entwicklung hat natürlich auch mit der eigenen Geschichte zu tun, aber hat auch damit zu tun, dass diese Länder das Glück hatten, ihre Reformen zu machen, als andere Länder sie im Wachstum mitgenommen haben. Und das ist in Griechenland heute nicht der Fall. Wer will denn Griechenland durch sein eigenes Wachstum sozusagen aus der Krise rausholen?
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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