Griechenland-Krise

An Reformen führt kein Weg vorbei

Die Staats- und Regierungschefs und die Spitzen der EU beim Sondergipfel in Brüssel
Auf der Suche nach einer Lösung für Griechenland: Die Staats- und Regierungschefs und die Spitzen der EU beim Sondergipfel in Brüssel © AFP / EMMANUEL DUNAND
Lars Feld im Gespräch mit Korbinian Frenzel  · 23.06.2015
Zuviel Nachgiebigkeit gegenüber Athen könnte eurokritische Parteien begünstigen, warnt der Wirtschaftsweise Lars Feld. Griechenland müsse grundlegende Reformen umsetzen.
Es gehe derzeit nicht nur um politische Symbolik, sagte der Leiter des Walter Eucken Instituts der Universität Freiburg, Lars Feld, im Deutschlandradio Kultur. Die EU sei eine Rechtsgemeinschaft, auf deren grundlegende Prinzipien man sich verlassen müsse, sagte der zu den fünf Wirtschaftsweisen der Bundesregierung zählende Professor. Das mache Europa auch nach außen hin stark.
Prinzipien und Pragmatismus im Widerstreit
"Wenn ein Land, so wie Griechenland, grundsätzliche Prinzipien in Frage stellt und Vereinbarungen nicht einhalten will, dann rüttelt das an den Grundfesten dieser Währungsunion und dieser Europäischen Union", sagte Feld. Er räumte aber ein, dass auch etwas Pragmatismus angesagt sei, weil man nicht nur auf ordnungspolitische Prinzipien bestehen könne. Aber die griechische Wirtschaft komme eben auch nicht auf die Beine, weil das Land in tiefer Regulierung verharre, einen aufgeblähten Staatssektor habe und die Privatisierung nicht vorankomme. "Diese Wirtschaft braucht sehr viel Umstrukturierung", sagte er – unabhängig davon, ob Griechenland im Euro bleibe oder nicht.
Warnung vor Auftrieb eurokritischer Parteien
Feld warnte davor, der griechischen Regierung, Reformen zu erlassen oder einen erneuten Schuldenschnitt durchzuführen: "Das hätte ungünstige Auswirkungen auf eurokritische Parteien in anderen Ländern." Sie erlebten dann einen Auftrieb.

Das Interview im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: Es sind die Bürger, nicht die Banker, die in europäischen Schicksalsfragen das letzte Wort haben müssen – das fordert Jürgen Habermas heute in der „Süddeutschen Zeitung", passend zum großen Griechendrama, passend zum Gipfel, der ja die Schicksalsfrage erst mal verschoben hat, die Frage, ob und wie Griechenland beim Euro dabeibleiben kann. Eins ist klar: So lange die europäischen Schicksalsfragen in erster Linie ökonomische sind, brauchen wir alle wahrscheinlich einen kleinen Grundkurs Volkswirtschaftslehre, um ernsthaft mitdiskutieren zu können. Aber keine Sorge, Sie müssen jetzt nicht den Stift rausholen. Zuhören lohnt sich aber dennoch bestimmt, wenn wir jetzt mit einem der fünf Wirtschaftsweisen sprechen, mit dem Freiburger Wirtschaftsprofessor Lars Feld. Einen schönen guten Morgen!
Lars Feld: Guten Morgen, Herr Frenzel!
Frenzel: Was war das in der Nacht in Brüssel, Herr Feld, ein kluges Innehalten oder eher ein Zeichen der Hilflosigkeit?
Feld: Es war vor allen Dingen ein Signal an die Märkte, ein Signal an die Bürger in Griechenland, noch ein bisschen zuzuwarten und nicht beunruhigt zu sein. Deswegen hat man das Ganze veranstaltet.
Frenzel: Glauben Sie denn, dass am Mittwoch das gelingen kann, was jetzt die letzten Tage und ja die letzten fünf Monate, seit diese neue Regierung in Athen im Amt ist, nicht geklappt hat?
Feld: Das ist unsicher. Nach allem, was man hört, beharrt die griechische Regierung auf einem erneuten Schuldenschnitt. Das wollen die Gläubiger jedenfalls verhindern. Sie wollen auch, insbesondere die Bundesregierung will verhindern, dass mit irgendwelchen Umschuldungsmaßnahmen der internationale Währungsfonds aus der Phalanx der Gläubiger herausgebrochen wird. Und das sind sehr wichtige Zielsetzungen, die man auf keinen Fall aufgeben sollte.
Es geht nicht nur um politische Symbolik
Frenzel: Geht es denn überhaupt noch um ökonomische Fragen oder nur noch um politische Symbolik? Sie haben gerade den Schuldenschnitt angesprochen, der Schuldenschnitt, von dem ja sowieso eigentlich alle ausgehen, dass er kommt, also dass diese Schulden in dieser Größe, wie sie Griechenland angehäuft hat, sowieso nicht zurückgezahlt werden können. Könnte man dieses Zugeständnis an Griechenland nicht machen?
Feld: Nein, ich sehe das nicht so. Es geht nicht nur um politische Symbolik, sondern man muss ganz klar sehen, dass diese Europäische Währungsunion, im Grunde die EU insgesamt, letztlich nur durch eine Sache wirklich zusammengehalten wird, und das ist das Recht. Wir sind eine Rechtsgemeinschaft. Man muss sich auf diese grundlegenden Prinzipien dieser Rechtsgemeinschaft verlassen können. Das macht uns hier in Europa auch nach außen hin stark. Und wenn ein Land so wie Griechenland nun grundsätzliche Prinzipien infrage stellt und Vereinbarungen nicht einhalten will, dann rüttelt das an den Grundfesten dieser Währungsunion in dieser Europäischen Union.
Frenzel: Aber Herr Feld, das Recht ist das eine, aber wenn das Recht zu Ergebnissen führt, die keiner haben will, zu einer griechischen Wirtschaft, die nicht auf die Beine kommt, dann haben wir doch nichts davon. Dann haben wir am Ende recht behalten, aber eine ökonomische Katastrophe.
Feld: Ja, Sie haben völlig recht, ein bisschen Pragmatismus gehört immer dazu. Man kann nicht nur auf den ordnungspolitischen Prinzipien rekurrieren. Nur muss man sich ja fragen: Warum kommt diese griechische Wirtschaft nicht auf die Beine? Und das hat sehr stark damit zu tun, dass das Land seit vielen Jahren immer noch in tiefer Regulierung verharrt, die wir ansonsten in Europa nicht mehr haben, einen überblähten, aufgeblähten Staatssektor hat, die Privatisierungsprozesse sind nicht in dem Maße vorangekommen, wie man sich das gewünscht hat. Also diese Wirtschaft braucht sehr viel Umstrukturierung, und das braucht sie überhaupt, ob sie nun im Euro ist oder nicht im Euro ist. Es ist nur so: Wenn sie im Euro bleibt, dann hat sie eben einen Anker, der ihr hilft, diese Umstrukturierungen durchzuführen.
Keine Ermutigung für Eurokritiker
Frenzel: Frechheit darf sich nicht durchsetzen, das haben Sie mal gesagt mit Blick auf Griechenland, mit Blick auf diese Regierung. Verstehe ich Sie da richtig: Es darf kein Entgegenkommen gegenüber Athen geben? Oder gibt es Punkte, wo Sie sagen, ja, da könnten sich auch die Europäer bewegen?
Feld: Ja, wir haben ja gesehen, welche Bewegungen es gibt, und das sind Dinge, die man als Realist einfach auch so akzeptieren kann. Also dass Griechenland jetzt in diesem Jahr und in den kommenden zwei, drei Jahren geringere Primärüberschüsse realisiert, das ist nichts anderes als die Anerkennung der gegenwärtigen Wirtschaftslage. Damit habe ich kein Problem. Aber größere Schritte, dem griechischen Ministerpräsidenten die notwendigen Reformen zu erlassen oder einen erneuten Schuldenschnitt durchzuführen, das hätte ungünstige Auswirkungen auf eurokritische Parteien in anderen Ländern. Die würden Auftrieb bekommen. Und dann wäre es sehr schwierig, die Schotten dicht zu halten.
Frenzel: Nun gab es gestern ein interessantes Phänomen oder vielmehr zwei interessante Phänomene an den Märkten: Der Euro ging im Kurs erst mal kräftig nach oben, und der deutsche Aktienindex, der Dax, auch – und das in dieser Krisensituation, wo alle gebannt nach Brüssel geschaut haben. Wie kann das sein? Das war doch früher eigentlich immer ein sicheres Zeichen, wenn in Brüssel oder zwischen Athen und Brüssel die Krisenalarmglocken schrillen, dass dann auch die Börsen nach unten gehen.
Feld: Nun, erstens: Ausschlaggebend für die Frage, ob Griechenland die anderen Finanzmärkte in Europa anstecken kann, sind die Anleihenmärkte und nicht so sehr der Dax. Wenn wir die Aktienmärkte anschauen, da ist einfach im Moment eine hohe Volatilität drin, das ist ganz klar in so einer unsicheren Situation. Alle haben bis letzte Woche gedacht, es wird jetzt nicht mehr funktionieren. Dann hat am Wochenende die griechische Regierung einen Vorschlag vorgelegt, der auch von verschiedenen Offiziellen am Montagmorgen relativ positiv bewertet worden ist, und das hat den Märkten Hoffnung gemacht und den Dax nach oben getrieben. Auch wenn da gestern jetzt nichts zustande gekommen ist, bleibt diese Hoffnung erst mal bestehen.
Mehr Zeit gewinnen
Frenzel: Wahrscheinlich sind die Märkte auch so weit, dass sie sagen: Auf Griechenland müssen wir vielleicht möglicherweise gar nicht mehr schauen. Die Politiker sind noch nicht so weit, wie gesagt, wir haben jetzt einige weitere Termine diese Woche, wir haben einige Themen, die noch auf der Agenda stehen. Ein Thema soll angeblich überhaupt nicht auf der Agenda stehen, nämlich ein weiteres Hilfspaket für Griechenland. Das hat die Kanzlerin gesagt, das haben andere gesagt nach der Runde gestern Abend. Lügen wir uns da schon wieder in die Tasche?
Feld: Das weiß ich nicht. Ich kann mir gut vorstellen, dass die letzte Tranche, wenn Sie nächste Woche, am 30. Juni, fristgerecht ausgezahlt werden kann, begleitet wird von einer Umwidmung der Beträge, die eigentlich für die Banken zur Verfügung standen und im Moment nicht für Griechenland eingesetzt werden können. Wenn man diese Beträge umwidmet, hat man natürlich noch mal ein bisschen mehr Zeit gewonnen und dann wird man sehen, ob ein weiterer Verhandlungsprozess angestoßen werden muss für ein drittes Paket.
Frenzel: Aber aus Ihren Antworten höre ich schon raus: mehr Zeit gewonnen, weitere Verhandlungen. Griechenland wird uns noch sehr viel länger beschäftigen und wahrscheinlich wird es nicht den großen Big Bang geben, „Grexit" oder eben nicht?
Feld: Den „Grexit" als solchen, den würde ich auch nicht erwarten. Viele reden ja nur noch von einem „Graccident" sozusagen, nämlich, dass man die Fristen verpasst, sich nicht einigt und dann Griechenland eine Zeitlang Schwierigkeiten hat, seinen Zahlungen nachzukommen. Das wird uns alle in allen Fällen begleiten, die Sie sich vorstellen können, denn falls Griechenland wirklich austreten sollte, was die Verträge ja nicht vorsehen und was niemand will, weder Griechenland noch die europäischen Partner, dann hätte Griechenland sicherlich weitere Unterstützung nötig, denn man müsste sicherstellen, dass keine humanitäre Katastrophe auftritt.
Frenzel: So sieht es und sagt es Lars Feld, Leiter des Walter-Eucken-Instituts, Professor für Wirtschaftspolitik an der Universität Freiburg und einer der fünf Wirtschaftsweisen. Ich danke Ihnen herzlich für das Gespräch!
Feld: Gerne, bitte schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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