Griechenland

Hoffnung auf geordnetes Insolvenzverfahren

Demonstranten hinter einer griechischen Flagge in Athen
Demonstranten in Athen (hinter einer griechischen Flagge) © afp / Louisa Gouliamaki
Jürgen Kaiser im Gespräch mit Nana Brink · 30.06.2015
Für Griechenland sollte ein geordnetes Insolvenzverfahren durchgeführt werden, empfiehlt Jürgen Kaiser von der Initiative "Erlassjahr". Wegen der Gläubiger aus aller Welt sei deshalb ein Schuldenschiedsgericht unter dem Dach der Vereinten Nationen angeraten.
Es wäre besser gewesen, man hätte sich schon am Anfang der Krise zu einem geordneten Insolvenzverfahren entschlossen, sagte Kaiser im Deutschlandradio Kultur. Damals hätte es mit so einem Verfahren die Alternative gegeben, dass diejenigen die Lasten getragen hätten, die wegen hoher Renditen in Griechenland investiert hätten. Der Schuldenschnitt 2012 sei nicht ausreichend gewesen.
Falsche Weichen 2010 gestellt
"Man muss in irgendeiner Art und Weise dazu kommen, dass die griechischen Schulden reduziert werden", sagte Kaiser.
"Der Gedanke, dass man 160 Prozent der Wirtschaftsleistung tatsächlich abbezahlen kann, der ist so weltfremd, wie er eigentlich schon im Jahr 2010 gewesen ist."
Schon 2010 sei die erste falsche Weiche gestellt worden, als die EU beschlossen habe, dem "schlechten Geld der Banken das gute der Steuerzahler hinterher zu werfen", kritisierte Kaiser, dessen Initiative seit der Schuldenkrise in der Dritten Welt zu diesem Themenfeld arbeitet.
Forderungen auch von Gläubigern außerhalb der EU
Im Falle Griechenlands müssten auch Forderungen von Gläubigern außerhalb der EU berücksichtigt werden, sagte Kaiser. Deshalb gebe es den Vorschlag, ein Ad-hoc-Schiedsgerichts oder ein Schuldenschiedsgericht unter dem Dach der Vereinten Nationen zu schaffen.
"Wir haben mal ein Modell durchgespielt, dass auf einen unabhängigen Mediator baut."
Auch das wäre ein Schritt nach vorne, sagte Kaiser.

Das Interview im Wortlaut:
Nana Brink: Und die eben beschriebene geordnete Staatsinsolvenz für Griechenland zum Beispiel, die fordert die Initiative "Erlassjahr – Entwicklung braucht Entschuldung", ein ganz großes entwicklungspolitisches Bündnis in Deutschland, getragen von Kirche, Politik und Zivilgesellschaft. erlassjahr.de ist eingebunden in ein weltweites Netzwerk von rund 50 ähnlichen Kampagnen und Bündnissen. Und verbunden sind wir jetzt mit dem Koordinator der Initiative Jürgen Kaiser. Guten Morgen!
Jürgen Kaiser: Schönen guten Morgen!
Brink: Bleiben wir bei Griechenland: Sie fordern eine geordnete Staatsinsolvenz, wie wir eben gerade beschrieben gehört haben. Was heißt denn hier geordnet, geht das überhaupt?
Kaiser: Ja, das geht sicher. Genau wie – Sie haben ja die Parallele gezogen –, genau wie es auch bei Unternehmen geht, würde das im Prinzip auch bei Staaten gehen, denn ein Staat nimmt genauso Kredite auf wie ein Unternehmen oder eine Privatperson. Der entscheidende Unterschied liegt tatsächlich in dem Wort geordnet. Was der Unterschied im Falle Griechenlands gewesen wäre, wäre, dass bereits in dem Moment, wo die erste falsche Weiche gestellt worden ist, 2010, als Frau Merkel und die Europäer beschlossen haben, dem schlechten Geld der Bank das gute der Steuerzahler hinterherzuwerfen, da hätte es mit so einem Verfahren die Alternative gegeben, dass die Lasten tatsächlich von denjenigen zu tragen gewesen wären, die wegen der hohen Renditen seinerzeit in Griechenland investiert hatten.
Chance ist noch nicht verpasst
Brink: Aber hätte, hätte, hätte – ist dann der Zeitpunkt nicht längst vorbei und das illusorisch?
Kaiser: Nein, illusorisch ist es nicht, sondern man könnte ein solches Verfahren natürlich auch jetzt auf den Weg bringen. Das heißt, man muss in irgendeiner Art und Weise dazu kommen, dass die griechischen Schulden reduziert werden. Der Gedanke, dass man 160 Prozent der Wirtschaftsleistung tatsächlich abbezahlen kann, der ist so weltfremd, wie er eigentlich schon im Jahr 2010 gewesen ist. So gesehen ist die Chance für ein geordnetes und faires Verfahren nicht verpasst. Es wäre nur viel besser gewesen, das wäre gleich am Anfang der Krise passiert.
Brink: Gut, nun ist das nicht passiert. Was ich jetzt noch nicht verstanden habe: Was ist denn dann der Unterschied zu dem Schuldenschnitt?
Kaiser: Ein Schuldenschnitt ist ein Ergebnis eines solchen Verfahrens. Das ist sozusagen die materielle Seite dessen, was dann am Ende dabei rumkommt. So wie ein Unternehmen entlastet wird, das tatsächlich insolvent geworden ist, so würde dann auch ein Staat entlastet. Der Unterschied ist, dass, wie Sie das ja im Beitrag beschrieben haben, dass ein Insolvenzverfahren auf einer unabhängigen Beurteilung und einer unabhängigen Begutachtung des Schuldners beruht, während das, was wir im Moment als Schuldenschnitt diskutieren, immer so behandelt wird, als würden sich da die Gläubiger zusammensetzen und würden dann mal überlegen, wie viel sie nachlassen können.
Brink: Gut, einen Schuldenschnitt hat es ja schon mal gegeben bei Griechenland, das muss man ja sagen.
Kaiser: Genau, genau. So ist es 2012 passiert, und wir merken jetzt: Das war definitiv nicht ausreichend.
Schuldengerichthof unter dem Dach der UN
Brink: Dann fragt man sich ja: Warum passiert es nicht? Ist dieser unabhängige Beobachter dann zum Beispiel nicht in der EU zu verorten?
Kaiser: Also grundsätzlich muss ein Verfahren sämtliche Forderungen einschließen an den Schuldner. Das heißt, im Falle Griechenlands müsste natürlich auch, selbst wenn der größte Teil der Forderungen gegenüber europäischen Institutionen besteht, müsste der natürlich tatsächlich auch die Schulden Griechenlands bei Gläubigern außerhalb der EU regeln können. Und von daher kann er nicht Teil der EU-Strukturen sein. Was viele vorschlagen, ist, dass man ein Ad-hoc-Schiedsgericht schafft, das wäre eine Möglichkeit.
Eine andere Option wäre, dass man so etwas wie einen Schuldenschiedsgerichtshof unter dem Dach der Vereinten Nationen hat. Da gibt es eine ganze Reihe von Optionen. Wir haben mal ein Modell durchgespielt, was auf einen unabhängigen Mediator baut, das heißt, jemand, der es nur mal schafft, so etwas wie einen runden Tisch unter allen Beteiligten hinzubekommen. Auch das wäre ein Schritt nach vorne.
Brink: Nun sehen wir aber eigentlich genau das Gegenteil: Also die Geldgeber Griechenlands scheinen ja weniger denn je bereit zu sein, eine solche Insolvenzregelung mitzutragen. Sind da nicht Ihre Forderungen wirklich realitätsfern? Also sie klingen gut – auf dem Papier.
Kaiser: Ja, da lohnt sich ein Blick in die Geschichte. Also wir sind ein Bündnis, das ist entstanden rund um die sogenannte Schuldenkrise der Dritten Welt, das heißt, als Länder in Asien, Afrika und Lateinamerika in der Situation waren, in der Griechenland war. Und wir haben damals die Erfahrung gemacht, dass die Gläubiger uns vorgerechnet haben, dass selbst Länder wie Nicaragua, die mit 1.200 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts im Ausland verschuldet waren, alles zurückbezahlen müssten. Und ganz treuherzig hat man da auf der Gültigkeit der Verträge bestanden, als längst klar war: Da ist nichts einzutreiben, das wird nicht funktionieren.
Und dann hat man über Nacht eine multilaterale Initiative geschaffen, die wenigstens für die ärmsten Länder eine weitreichende Entschuldung ermöglicht hat. Das ist so ein bisschen Teil des Spiels, dass man so lange, wie es irgend geht, so tut, als könnte selbst ein Schuldner, der so insolvent ist wie Griechenland heute, noch irgendwie bezahlen, und dann muss man irgendwann einsehen, es wird nicht gehen, und dann muss man diesen Prozess organisieren.
Hoffnung auf längerfristigen Prozess
Brink: Aber wir haben ja gesehen, auch in dem Beitrag gehört: Die UN-Generalversammlung hat ja 2014 eine Resolution verabschiedet, die ja genau so etwas wie eine Restrukturierung von Staatsschulden ausarbeiten sollte. Die Verhandlungen sind aber ins Stocken geraten. Deutschland hat auch mit "nein" votiert. Wo geht es denn da weiter?
Kaiser: Also wir hoffen immer noch, dass zumindest ein längerfristiger Prozess in Gang kommt, der auf ein solches Verfahren genau hinwirkt, und das mit der Autorität der UN-Generalversammlung, die ja, anders als der IWF zum Beispiel oder die Weltbank, ein legitimiertes Gremium für internationale Rechtsetzung ist. Es gibt nicht nur diesen Prozess in der Generalversammlung, sondern ich selbst habe zweieinhalb Jahre lang mit Unctad zum Beispiel, das ist eine der Unterorganisationen der Vereinten Nationen, an genau einem solchen Vorschlag gearbeitet, der jetzt unter den Ländern, die den Prozess unterstützen in der Generalversammlung, also vor allem Entwicklungs- und Schwellenländer, als eine Grundlage da für die Diskussion dient, wie ein solches Verfahren tatsächlich ausgestaltet werden soll. Also diese Debatte ist schon viel älter, sie dauert schon viel länger und sie hat noch viel mehr Facetten als nur diesen einen Prozess in der Generalversammlung.
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