Grenzenloses Wohnen

    Von Eva Raisig · 06.05.2013
    Für viele deutsche Urlauber war Swinemünde lange Zeit der Ort, den man nur besucht, um günstige Zigaretten zu kaufen. Doch mit dem Beitritt Polens zur EU hat sich das geändert. Mittlerweile prägen Deutsche das Stadtbild.
    Makler: "Dann zeige ich euch jetzt noch mal den Blick hier oben, vom Balkon. Das Meer sieht man hier leider gerade nicht, aber man riecht es ..."

    Junge: "So eine Wohnung in Strandnähe ist schon traumhaft …"

    Lothar Schmidt, deutscher Immobilienmakler, steht mit dem Hamburger Johannes Löscher auf dem Balkon einer Wohnanlage auf der polnischen Seite von Usedom. In Swinoujscie, in Deutschland Swinemünde genannt, suchen die Eltern des 23-jährigen Löscher eine Ferienwohnung. Sie haben deshalb den Sohn samt Freundin losgeschickt, um die Situation auf der polnischen Ostseeküste zu erkunden. Die deutsche Seite kennen seine Eltern bereits, sagt Löscher.

    Junge: "Es ist was anderes, also A ist Ahlbeck viel teurer und Heringsdorf. Die deutsche Seite ist schön, aber hier spielt der Kostenfaktor eine große Rolle."

    Gerade einmal fünf Kilometer trennen den polnischen Urlaubsort Swinemünde, von Ahlbeck auf der deutschen Seite. Diesseits und jenseits der Grenze erstreckt sich kilometerlanger Sandstrand, das Meer ist sauber. Und die Saison, sagt Makler Schmidt, dauert auch gleich lang. Die Immobilienpreise unterscheiden sich trotzdem erheblich.

    Makler: "Sie haben die gleichen Voraussetzungen wie auf der deutschen Seite, nur der Einstiegspreis ist günstiger. So dass es, wenn man es unter dem Gesichtspunkt einer Kapitalanlage sieht, dieses hier zum Beispiel viel interessanter ist als auf der deutschen Seite. Ich brauche Ihnen da die Rendite gar nicht vorzurechnen: Die ist einfach da."



    Seit dem Beitritt Polens zur EU haben viele Deutsche im polnischen Teil Usedoms Häuser und Wohnungen gekauft. Makler Schmidt und seine Frau, die selbst Polin ist und seit 50 Jahren in der Gegend von Swinemünde wohnt, haben sich auf dieses grenzübergreifende Immobiliengeschäft spezialisiert. Die Sprachbarrieren bei Notarbesuchen und Vertragsverhandlungen, oft ein Hindernis, fallen für sie weg. Das Interesse an der Wohnungsvermittlung kommt allerdings nur von einer Seite der Grenze.

    Makler: "Wir haben in den letzten Jahren keine einzige Immobilie verkauft an einen Polen in Deutschland."

    Ein Grund ist neben den sprachlichen Hürden auch die Kreditvergabe, die über die Landesgrenzen hinweg nicht einfacher wird. Doch die Hauptfrage bleibt sicherlich: Wieso sollte ein polnischer Urlauber überhaupt in Ahlbeck eine Wohnung kaufen wollen, wenn es einen Steinwurf entfernt im eigenen Land genauso schön und dazu günstiger ist?

    Polen kommen nach Deutschland
    Keine 120 Kilometer weiter südlich von Ahlbeck ist die Situation ganz anders: Seit der Grenzöffnung kommen hier die Polen nach Deutschland. Im Dorf Löcknitz im östlichen Vorpommern sitzt Lothar Meistring in seinem Garten, die beiden Enkelkinder aus Berlin sind zu Besuch. Meistring, Mitte 60, ist der Bürgermeister des 3000-Einwohner-Ortes. Wie in vielen kleinen Ortschaften in Vorpommern und der Uckermark zogen auch aus Löcknitz immer mehr Bewohner in die umliegenden Städte. Der Bürgermeister musste handeln.

    Meistring: "Von der Krippe bis zum Gymnasium und alles was dazwischen ist, haben wir hier im Ort. Das will man ja auch erhalten. Es gab erste Schließungen im Umfeld von Löcknitz, es gab Schließungen von Kindergärten in Löcknitz und da haben wir uns natürlich überlegt, was kann man machen und da haben wir vor ein zwei Jahren in Stettin ein Büro eröffnet und haben dort geworben."



    Das nahegelegene Stettin, immerhin die siebtgrößte Stadt Polens, wurde für die Löcknitzer zum Glücksfall. Und auch für viele Polen. Denn während auf der deutschen Seite die Dorfgemeinden immer weiter schrumpften, wurden in Stettin und seiner Umgebung die Mieten immer teurer, der Wohnraum knapp. Mehrere hundert Polen sind deshalb mittlerweile auf die deutsche Seite gezogen. Anders als auf Usedom sehen hier bis jetzt aber wenige Deutsche Gründe, ins Nachbarland zu ziehen. So ganz ohne Meer und Urlaubsatmosphäre.

    Meistring: "Da ist es noch ne Einbahnstraße. Dass da wirklich ne höhere Zahl nach Polen gegangen wäre, ist mir nicht bekannt. Manchmal ist es so, wo die Liebe hinfällt, ich kenne zwei drei, die da hin gegangen sind, die haben sich da auch selbstständig gemacht, aber das sind noch Einzelbeispiele."

    Das Zusammenleben in der neuen Nachbarschaft auf deutscher Seite funktioniere gut, sagt Meistring. Er wolle nicht enthusiastisch sein, sehe aber angesichts zweisprachiger Schulangebote, gemeinsamer Vereinsarbeit und deutsch-polnischer Dorffeste optimistisch in die Zukunft.

    Meistring: "Wir haben hier jetzt eine stabile Einwohnerzahl. Wir würden uns den einen oder anderen noch wünschen, können wir auf jeden Fall vertragen. Wir haben Platz. Wenn Sie irgendjemanden auf der polnischen Seite finden, der solide ist, kann er sich gerne bei mir melden und ich werde ihm helfen."

    Der Wille zur Nachbarschaft ist auf beiden Seiten der Grenze vorhanden. Der höchste Zaun bleibt, von Sprachbarrieren abgesehen, vorerst die Bürokratie.