Gregor Gysis Buch "Ausstieg links?"

Verkraftbar bis ganz nett

Gregor Gysi, bisheriger Fraktionsvorsitzender der Linksfraktion im Bundestag
Bekannt für ironische Reden: Gregor Gysi, bisheriger Fraktionsvorsitzender der Linksfraktion im Bundestag © dpa / picture alliance / Stephanie Pilick
Von Arno Orzessek · 05.10.2015
Zeitgleich zum Rückzug als Fraktionsvorsitzender der Linken im Bundestag erscheint Gregor Gysis neues Buch "Ausstieg links?". Vergleicht man es mit den etwa 20 anderen Veröffentlichung des bisherigen Oppositionsführers, schlägt es sich ganz gut.
Gregor Gysis größte Begabung - jeder weiß es - ist der öffentliche Auftritt, gern vor Kameras. Auf putzige Art klug reden, auf selbstironische Weise kokettieren, triste Sachpolitik pfiffig durchleuchten - das macht er so, dass ihm selbst verstockte Kommunisten-Fresser Charisma zubilligen. Angesichts solchen Glanzes hat es Gysis schriftliches Werk natürlich schwer.
"Soufflé aus lauer Luft und dünner Suppe", moserte die bürgerliche Kritik aus dem Hause Springer, als sie 2011 - 36 Jahre nach der Erstveröffentlichung - Gysis juristische Doktor-Arbeit besprach.
Deren Titel übrigens lautet: "Zur Vervollkommnung des sozialistischen Rechtes im Rechtsverwirklichungsprozeß".
Klingt trocken, ist auch trocken - außerdem unterwürfig dem Marxismus-Leninismus verpflichtet, jener Ideologie, die sich in der DDR einst als Wissenschaft aufgespielt hat.
"In der sozialistischen Rechtsetzung, wie in der sozialistischen Rechtsverwirklichung, kommt die Macht der Arbeiterklasse in ihrer Partei zum Ausdruck...."
Dank zweier Kommafehler macht der Satz neugierig auf die weitere Schreibkunst des Promovenden - aber lassen wir das!
Denn rund 40 Jahre, 20 Veröffentlichungen, eine politische Wende und eine tolle Karriere später erscheint nun "Ausstieg links?" Eine Bilanz - in Wirklichkeit jedoch eine 160-seitige Plauderstunde mit dem Journalisten Stephan Hebel samt Auszügen aus Gysis Reden.
Schon wegen der sinnfreien Titelfrage sieht das Werk nach einem typischen Vertreter des gefürchteten Langweiler-Genres "Politiker-Buch" aus... Und man hofft gar nicht erst, das es so witzig, verleumderisch und versaut zugeht wie in dem Hörbuch Marx & Engels intim, in dem Gysi vor Jahren mit Harry Rowohlt ziemlich irre Fremdtexte eingesprochen hat.
Aber immerhin - und mal davon abgesehen, dass nichts Neues rüberkommt: Die Lektüre ist auch ohne zwei Flaschen Rotwein verkraftbar bis ganz nett.
Gysi wollte nie in die BRD
Schließlich plaudert da einer, der 1989 als Protest-Redner auf dem Berliner Alexanderplatz eine Zeile der Weltgeschichte schrieb, ein paar Tage Vorsitzender der SED und dann jahrelang der SED-PDS war, der in den Medien übel verprügelt wurde, die Evolutionsgeschichte der Partei bis zur heutigen Die Linke mitprägte, stets der bürgerlichste aller Ossis war und sich zum gesamtdeutschen Polit-Charmebolzen mauserte, dem viele verfielen.
Indessen: Solange die Mauer stand, wollte Gysi nie rüber.
"Der erste Grund war eine gewisse Loyalität gegenüber der DDR. Der zweite Grund war mein Sohn. Ich war ja alleinerziehend. Ich wäre niemals gegangen und hätte gesagt, mal sehen, wie ich ihn nachkriege. Und das dritte - ich gebe zu, es klingt blöde, wenn ich es selbst sage, aber: Ich war im DDR-Recht perfekt. Und ich wusste, dass BRD-Recht müsste ich erst lernen."
Gysi wehrt sich gegen die Anwürfe, der Stasi zugearbeitet zu haben, redet über die Räuberpistole rund ums alte SED-Parteivermögen, Trouble mit Oskar Lafontaine und den biestigen Lenin-Jüngern der Partei.
Lupenreiner Demokrat
Dass er selbst jedoch lupenreiner Demokrat ist, wer wollte das - diesseits der CSU - noch bezweifeln?
"Die Linke muss begreifen, dass Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit nicht Beiwerk sind, sondern diese Werte müssen ihr Anliegen sein."
Im Gesamt-Oeuvre Gysis steht das Werk seiner Qualität nach dort, wo Gysi gesellschaftlich steht: leicht links der Mitte.
Ein Blick zurück. Ein Schritt nach vorn und wie weiter? Nachdenken über Deutschland: Das waren ja auch schon munter zusammengebastelte Werke, von denen Deutschland zwar nicht viel Aufhebens gemacht hat, aber auch keineswegs erbost war. Im Gegenteil. Über "Wie weiter?" urteilte die FAZ zärtlich, einem Gregor Gysi nehme man nicht übel, "wenn er mal im Brustton Unsinn vorträgt und mal energisch für mehr Vernunft wirbt".
Das gleiche - und noch mehr Gutes - ließe sich auch über "Ausstieg links?" sagen. Nicht zuletzt können gerade seine Gegner bei Gregor Gysi ein bisschen Lebenskunst lernen. Dessen Maxime nämlich lautet:
"Ich hasse einfach nicht zurück. Das war und ist meine Stärke."

Gregor Gysi: "Ausstieg links? Eine Bilanz"
Nachgefragt und ausgezeichnet von Stephan Hebel
Westend-Verlag, 2015
219 S.

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