Grausame Erlebnisse auf einer Donaufahrt

Von Jörg Oberwittler · 29.03.2012
Michal Hvorecky rechnet in seinem Roman "Tod auf der Donau" mit der skrupellosen Kreuzfahrtindustrie ab, die im wahrsten Sinne des Wortes über Leichen geht. Der 35-jährige Autor weiß, wovon er schreibt: Er hat jahrelang auf einem Donauschiff geschuftet.
Berlin-Wannsee, später Nachmittag. Nebel liegt über dem See, die Dämmerung zieht auf. An Bord der Fähre: Kinder, die gerade aus der Schule kommen und Karten spielen; Arbeiter, die ihr Feierabend-Bier auf den Tisch stellen. Mittendrin: Michal Hvorecky.

"Diese Landschaft hat eine gewisse Melancholie an sich. Es ist so zeitlos. Also, man könnte an einigen Stellen schon das Gefühl haben, man ist auf der Donau. Die Donau ist oft sehr, sehr breit. Es hat geschneit. Guter Start für einen Krimigeschichte würd' ich sagen" (lacht)."

Und genau die hat er geschrieben: "Tod auf der Donau" heißt sein dritter Roman, der dieser Tage erschienen ist. Eine bitter-böse Realsatire, die mehr ist als kurzweilige Reiselektüre. Schauplatz: die Donau – die knapp 3000 Kilometer lange Lebensader Mitteleuropas, welche sich von Regensburg über Wien, Bratislava, Budapest ins Schwarze Meer ergießt.

Im Buch hat sich Michal Hvorecky ein Alter Ego geschaffen: Martin Roy ist Übersetzer und muss aus Geldmangel amerikanische Senioren auf einem Kreuzfahrtschiff bespaßen. Doch statt malerischer Flusslandschaften gibt es Läusebisse, abgetrennte Finger und zwei Leichen an Bord. Die Arbeitsbedingungen an Bord sind grausam. Von Idylle keine Spur. Hvorecky selbst hat zwei Jahre lang auf einem solchen Schiff gearbeitet. Ist der Roman nun so was wie eine Rache?

"(lacht) "Nein, ich hab tatsächlich den amerikanischen Pensionisten oft gesagt: 'Bitte ganz schön brav sein, sonst schreibe ich ein Buch über Sie.' (lacht) Und die haben immer gelacht und dachten, es ist ein Witz. Und jetzt ist das Buch tatsächlich da."

Michal Hvorecky hat einen Hang zu schrägen Figuren. In seinem ersten Buch "City" führt ein internet- und pornoabhängiger Held die Welt zur sexuellen Revolution. In seinem zweiten Buch "Eskorta" dient ein slowakischer Callboy wohlhabenden Damen aus dem Westen als Begleiter. Ein groteskes Buch über seine Heimat Slowakei – das Fünf-Millionen-Einwohnerland zwischen Österreich, Ungarn und Tschechien. In der Hauptstadt Brastislava wird Michal Hvorecky 1975 geboren:

"Ich bin sehr stolz drauf, dass ich aus einer Familie der Intellektuellen komme. Mein Großvater war Professor der Volkswirtschaft, mein Vater ist Professor der Computerwissenschaft, meine Mutter ist Lehrerin für Schwerhörige. Doch meine Entscheidung, sich ernsthaft dem literarischen Schreiben zu widmen, war nicht einfach für die Eltern und die Familie."

Dank Stipendien konnte er lange Zeit in Wien und Berlin leben. Heute kann er sich eine 40-Quadratmeter-Wohnung in Bratislava leisten. Dort schreibt der 35-jährige Schriftsteller Romane, Zeitungsartikel und sogar Theaterstücke:

"Jetzt, wenn ich relativ erfolgreich bin in meinem Land – ich hab ein paar Übersetzungen – die freuen sich riesig, merken aber immer noch, dass es so ein Job ist, der heutzutage keine wahre Geldquelle ist. Die Lesungen sind nicht bezahlt, es gibt keine Stipendien für Autoren. Man ist mehr oder weniger Hobby-Schriftsteller."

Das Fährschiff hält in Kladow, wir machen einen Spaziergang am Ufer des Wannsees entlang. Hvorecky ist ganz in Schwarz gekleidet. Die Stiefel zermalmen kleine Steinchen auf dem Weg, eine schwarze Klappmütze verbirgt sein blondes Haar. Auf der Rückfahrt erzählt er noch einmal von seinem Land. Wirtschaftlich geht es der Slowakei gut, aber:

"Es entsteht trotz 22 Jahre seit der Wende keine richtige Zivilgesellschaft. Das Land ist extrem korrupt; die staatlichen Theaterhäuser, die staatlichen Gemäldegalerien und ähnliches ist sehr altmodisch, sehr schlecht finanziert."

Hvorecky will sein Land mit voranbringen, sieht sich als Sprachrohr einer jungen Generation Intellektueller, die für ihren Traumjob studiert haben, aber von diesem nicht leben können. Doktoranden, die auf Schiffen schuften müssen, weil sie dort in einer Woche mehr verdienen als mit ihrem akademischen Job in einem ganzen Monat.

Und er engagiert sich für den Austausch zwischen Ost und West. Gerade mal 80 Kilometer liegen zum Beispiel zwischen Wien und Bratislava – beide Länder sind EU-Mitglieder, doch in den Köpfen ist die Mauer geblieben.
Seit Kurzem hat er ein neues "Projekt", seinen Sohn:

"Ich bin Vater geworden, mein Sohn ist anderthalb Jahre alt. Und ich teile meine Zeit zwischen Eltern sein und Autor sein, was schwierig ist, aber auch sehr, sehr spannend…"

… sagt er zum Schluss, als das Schiff wieder am Ausgangspunkt anlegt. In Deutschland hat er nun viel vor.

"Ich hoffe, dass ich jetzt viel vorlesen werde, also, weil die Lesungen sind auch bezahlt in Deutschland. Im Vergleich zur Slowakei. Mal sehen, vielleicht muss ich mal wieder auf der Donau arbeiten. Aber hoffentlich nicht so schnell, nicht so bald." (lacht laut).
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