Graue Energie

Mehr Transparenz beim Energiebedarf von Produkten

06:25 Minuten
Hände sortieren einen Berg alter, kaputter Handys.
Wie hoch die Energiekosten sind, um alte Handys zu entsorgen, lässt sich beim Kauf selten absehen. © picture alliance / dpa / PA Wire / Cathal McNaughton
Von Heiner Kiesel · 09.07.2019
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Umweltwissenschaftler fordern eine Produktkennzeichnung, die alle Energiekosten berücksichtigt. Auch die sogenannte graue Energie, die für Herstellung, Transport, Verkauf und Entsorgung der jeweiligen Produkte wie beispielsweise Handys anfällt.
"Jetzt stehen wir hier vor so einem schönen alten Backsteingebäude. Wenn man sich einen Backstein mal in der Produktion anschaut, dann kann man zwei völlig identische Backsteine nebeneinander haben: Der eine ist hocheffizient hergestellt und der andere kommt aus einer Fabrik, die schon seit einigen Jahren nicht mehr umgerüstet und optimiert worden ist, wo die Energieverbräuche für die Herstellung ein und desselben Steins, den man von außen nicht unterscheiden kann, sehr unterschiedlich sein können. Und da gibt es keine oder nur wenige Information darüber, wie die graue Energie dieses Steines ist."

Danny Püschel, der Biologe, ist beim Naturschutzbund Deutschland Referent für Klimaschutz und Energieeffizienz.
Eines seiner Themen ist der Energieverbrauch, der dem Konsumenten verborgen bleibt, aber wesentlich mitbestimmt, wie umweltverträglich das ist, was man kauft: die graue Energie.

Wie umweltverträglich ein Produkt ist, bleibt oft ungewiss

Bei einem kleinen Stadtrundgang illustriert Püschel mit zahlreichen Beispielen, wie wichtig es seiner Meinung nach ist, den versteckten Energieaufwand stärker zu berücksichtigen und zu kennzeichnen.
"Graue Energie sind alle Energieaufwendungen, die man braucht, um ein Produkt oder eine Dienstleistung - angefangen bei den Rohstoffen - bereitzustellen." Stünde die graue Energie auf dem Etikett, wüsste der Konsument im Supermarkt vielleicht, welcher Sprudel, woher und in welcher Flasche die bessere Umweltbilanz hat, oder ob die Bio-Erdbeere aus Spanien vertretbar ist. Und wie steht es um das Handy in der Tasche? Da gibt es viele Faktoren zu berücksichtigen.
Porträtaufnahme von Danny Püschel, Referent für Klimaschutz und Energieeffizienz beim Naturschutzbund Deutschland
Plädiert für mehr Transparenz beim Thema Energieverbrauch: Danny Püschel vom Naturschutzbund Deutschland.© Heiner Kiesel
Es wiegt so um die 80 Gramm und wird im Schnitt alle eineinhalb Jahre ausgetauscht. Es braucht im Jahr vielleicht nur eine Kilowattstunde Strom zum Aufladen. Aber es ist ein schwerer Brocken, was die graue Energie angeht: Für seine Herstellung werden 30 Kilogramm an Material verbraucht: Vor allem Kunststoffe, Metalle und Keramik, die alle erstmal weit entfernt erzeugt und dann herbeitransportiert werden müssen. Die Produktion vieler der Hightech-Bauteile findet unter speziellen, sehr energieintensiven Bedingungen statt. Alles zusammen entspricht, nach Berechnungen der Schweizer Energiestiftung: 220 KWh Strom. Doch das ist noch nicht alles.

"Die Entsorgung sollte auch zur grauen Energie hinzugerechnet werden. Das macht es nur in der Berechnung schwieriger, weil man bei einigen Produkten nicht weiß, wann und wie sie entsorgt werden."

Graue Energie ist beim Hausbau relevant

Im Bauwesen ist die Problematik mit der grauen Energie besonders eklatant. Das ist eines der energieintensivsten Wirtschaftssegmente. Durch neue Technik und Materialien ist der Wärmeverbrauch der Gebäude in den letzten Jahrzehnten zwar rasant gesunken, aber die Energie bei ihrer Herstellung gestiegen. Püschel deutet auf einen Stapel Styroporblöcke für die Fassadendämmung. Ein Haufen grauer Energie, der Energie sparen soll.

"Die Befassung mit der grauen Energie wird noch nicht gemacht, weil sie nirgends eine Relevanz hat. Man wird nicht dafür belohnt, graue Energie zu reduzieren, man wird auch nicht bestraft dafür, graue Energie in den Himmel schießen zu lassen, durch Bau- und Konstruktionsweisen. Es gibt keinerlei regulatorische Dynamik, die dazu führt, graue Energie zu beachten."

"Bei vielen Akteuren in der Umweltpolitik ist heute die grundsätzliche Erkenntnis durchaus da, dass eine Gesamtsystembetrachtung eigentlich notwendig ist, um auch umweltpolitisch keine falschen Entscheidungen zu treffen. Es ist aber leider für die Politiker, sagen sie zumindest, schwieriger umzusetzen." Matthias Finkbeiner, Professor an der Technischen Universität Berlin, beschäftigt sich mit Bewertungsmethoden für Umweltverträglichkeit.
Ein Stapel Styroporblöcke für die Fassadendämmung steht vor einem Baufahrzeug.
Styroporblöcke für die Fassadendämmung: Soll helfen, Energie zu sparen, verbraucht aber in der Herstellung viel Energie.© Heiner Kiesel

CO2-Fußabdruck greift oft zu kurz

Graue Energie als Größenordnung ist etwas verdrängt worden, stellt er fest. Vor allem der Verbrauch eines fertigen Produkts und sein CO2-Fußabdruck werden derzeit herangezogen, um die Umweltverträglichkeit einzuschätzen. Das greift oft zu kurz. Finkbeiner verweist auf die Diskussion um die Elektromobilität.
"Jetzt sollen wir aber in Zukunft alle mit Elektroautos durch die Gegend fahren. Da ist dann die Verbrauchsphase relativ gering, aber ich habe signifikant die graue Energie in der Herstellung des Autos erhöht. Und wenn ich das dann nicht politisch berücksichtige, dann liege ich eben daneben."
Bei der Berücksichtigung der gesamten grauen Energie ließe sich dann feiner urteilen über die Umweltverträglichkeit von Elektrolimousinen, spartanischen strombetriebenen Kleinwagen oder den entsprechenden Wagen mit Verbrennungsmotoren. Die Berechnung ist auch hier ziemlich kleinteilig und kompliziert, aber für ein Gesamtbild wichtig.

Kennzeichnung könnte bei Kaufentscheidung helfen

Aus Sicht des Wissenschaftlers hat auch die Begrifflichkeit von der grauen Energie Vorteile. Die Größe ist relativ umfassend und für den Nicht-Fachmann anschaulicher als eine Kohlendioxydbilanz, meint Finkbeiner. Der Umweltwissenschaftler hat auch einen Vorschlag, wie man die graue Energie kennzeichnen könnte.

"Wir haben ja – und das wäre ein unmittelbares Anwendungsfeld – auch diese verpflichtende Energiekennzeichnung von der EU, diese ABCDE-Kennzeichen, die Sie von Ihrer Waschmaschine, oder Ihrem Kühlschrank kennen, wenn Sie die einkaufen. Die sind ja rein auf direkten Energieverbrauch abgestellt. Das wäre ein ganz naheliegendes Beispiel, wo man entweder zusätzlich, oder anstatt dessen eine Kenngröße mit grauer Energie darstellen könnte, was aus gesamtökologischer Sicht mit Sicherheit sinnvoller wäre, als rein den direkten Energiebedarf auszuzeichnen."
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