Gottschlich: "Erdogan sitzt fest im Sattel"

Jürgen Gottschlich im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 25.02.2010
Mit der Verhaftung säkular eingestellter Militärs wegen eines mutmaßlichen Putschversuches wolle die islamisch geprägte Regierungspartei AKP ihr Verständnis von Kultur und Gesellschaft gegenüber Andersdenkenden durchsetzen, sagt Jürgen Gottschlich, Türkei-Korrespondent der "taz".
Liane von Billerbeck: Istanbul ist eine der Kulturhauptstädte Europas 2010, doch derzeit ist man dort mit den Folgen eines Machtkampfes beschäftigt, zwischen dem türkischen Militär und der Regierungspartei AKP. Die hat jetzt führende Militärs verhaften lassen unter dem Vorwurf, dass sie 2003 gegen die Regierung hatten putschen wollen. Über den Kulturkampf in der Kulturhauptstadt spreche ich gleich mit Jürgen Gottschlich, dem Türkei-Korrespondenten der Tageszeitung "taz".

Der Plan ist sieben Jahre alt und zeigt jetzt Konsequenzen: Die Regierung des türkischen Präsidenten Erdogan hat 20 frühere und aktive Offiziere verhaftet. Sie sind angeklagt, im Jahr 2003 einen Putschversuch geplant zu haben. Unter den Beschuldigten immerhin der frühere Luftwaffenchef und der Ex-Chef der Marine. Die Verhaftungswelle ist Ausdruck eines Kampfes zwischen den Militärs – die nationalistisch, aber säkular eingestellt sind – und der islamischen Partei AKP von Präsident Erdogan. Spürbar wird dieser Machtkampf auch in der türkischen Gesellschaft, und wie er diesen Kulturkampf erlebt, das wollen wir jetzt vom Türkei-Korrespondenten der Tageszeitung "taz", von Jürgen Gottschlich, erfahren. Ich grüße Sie!

Jürgen Gottschlich: Ja, hallo!

von Billerbeck: Sie haben in der "taz" vom Siegesrausch der AKP gesprochen. Wie ist denn die Lage?

Gottschlich: Na ja, die Lage sieht so aus, dass ... Heute Mittag gab es das lang erwartete Gespräch zwischen Ministerpräsident, Präsident und dem Generalstabschef. Das endete damit, dass Erdogan sagte, ja, war ein tolles Gespräch, alles klar, und damit ist sozusagen auch entschieden, dass vom Militär jetzt als Antwort nichts mehr kommen wird. Also, die Befürchtung, die könnten jetzt noch mal, also vielleicht nicht putschen, aber zumindest sich in bemerkbarer Form darauf reagieren, dürfte damit ausgeschlossen sein.

von Billerbeck: Also, ein Militärputsch wäre heute nicht mehr denkbar?

Gottschlich: Kann ich mir überhaupt nicht vorstellen. Also die ganze ... Alles spricht dagegen. Also wenn die Militärs wirklich die Panzer rollen lassen würden, wären sie international komplett isoliert. Die türkische Wirtschaft würde kollabieren. Also kein Generalstabschef würde das länger als eine Woche durchstehen.

von Billerbeck: Aber warum lässt sich die AKP darauf ein, Putschpläne, die sieben Jahre alt sind, jetzt zu verfolgen und die Offiziere deshalb jetzt zu verhaften?

Gottschlich: Ja, das ist das, was die Opposition ja auch sagt, aber ... Also das ist kein isolierter Putschplan, der vor sieben Jahren entstanden ist. Es hat im Anschluss immer wieder Pläne gegeben, die auch bekannt geworden sind, aus denen klar ist: Es gibt Gruppen im Militär, die mit dem Gedanken gespielt haben, diese für sie verhasste, islamische AKP wegzuputschen. Also, das ist Ausdruck eines lang anhaltenden Machtkampfes, und der ist jetzt eigentlich entschieden worden, also, man hat jetzt die höchsten Ränge abkassiert. Vorher sind ja auch schon Leute verhaftet worden, allerdings so aus der mittleren Hierarchieebene.

von Billerbeck: Aber jetzt eben der ehemalige Luftwaffenchef und der Ex-Chef der Marine, das ist ja nicht wenig.

Gottschlich: Ja, das haben sie sich vorher nicht getraut und das war jetzt deshalb, meiner Meinung nach, auch so etwas wie ein finaler Schlag.

von Billerbeck: Die AKP ist eine islamisch geprägte Partei, wenn sie es wagt, einst führende und auch noch aktive Militärs zu verhaften, dann muss sie sich ihrer Macht sehr sicher sein.

Gottschlich: Ja, ist sie auch. Erdogan sitzt fest im Sattel, hat auch nach wie vor innerhalb der Bevölkerung wenn auch eine abnehmende, aber doch immerhin mit Abstand größte Zustimmung gegenüber allen anderen Parteien, ist parlamentarisch völlig ungefährdet und wenn die AKP jetzt wirklich Neuwahlen ansetzen würde, was auch diskutiert wird, wird er sicher auch wieder gewinnen.

von Billerbeck: Nun galten die Militärs ja als Hüter des Kemalismus, also des von Staatsgründer Kemal Atatürk. Sie haben in den vergangenen 50 Jahren immerhin vier Mal gegen Regierungen geputscht und mussten aber im Zuge des EU-Beitrittes oder des versuchten EU-Beitrittes einen Teil ihrer Befugnisse abgeben. Die AKP sorgt jetzt mit dieser Verhaftung des Militärs dafür, dass eine, wie Kritiker es nennen, schleichende Islamisierung der Türkei einsetzt. Woran erkennen Sie das?

Gottschlich: Na das Problem ist halt ein bisschen ... Es ist ja durchaus zu begrüßen, wenn man die Militärs in ihre Schranken weist und ihnen gegenüber das Primat der Politik auch durchsetzt. Insofern ist das eine historische Leistung, die die AKP erbracht hat. Das Problem dabei ist, dass die AKP im Wesentlichen den islamischen Teil der türkischen Gesellschaft repräsentiert und nicht den säkularen, also, diese beiden Teile stehen sich ja ziemlich feindlich gegenüber. Und mit dem Durchmarsch der AKP setzt sich auch ihre kulturelle … ihr Verständnis von Kultur, ihr Verständnis von Gesellschaft, ihr Verständnis von Familie, ihr Verständnis von der Rolle der Frau sukzessive durch. Also dazu braucht man gar nicht, wie viele immer sagen, einen Geheimplan für die Errichtung eines Gottesstaates. Es ist einfach die Macht der Majorität jetzt.

von Billerbeck: Nun ist ja das in der Türkei immer auseinandergefallen. Also man hat in Istanbul eine westlich geprägte Stadt oder Stadtteile, und man hat Anatolien, wo also eine sehr islamische Gesellschaft, eine sehr konservative Gesellschaft manifest ist. Wie verändert sich das? Wie erleben Sie, der Sie in Istanbul lebt, diese Islamisierung, diese langsame Majorisierung durch die AKP im Alltag?

Gottschlich: Ja, es wird zum Beispiel am augenfälligsten in der Zeit des Ramadan. Das war vor zehn Jahren noch kaum wahrnzunehmen, das ist heute die fünfte Jahreszeit, also da ist wirklich alles zu, es gibt nichts mehr. Das macht sich im Kultursektor – ich habe ja ein paar Beispiele dafür in der "taz" genannt- macht sich das bemerkbar, weil ein bisschen freizügige Szenen werden zensiert oder es gibt starken Einspruch dagegen, die Leute fangen an, sich selber ein bisschen zurückzunehmen, es ist… man überlegt bestimmte Sachen, ob man sie überhaupt noch veröffentlichen soll oder nicht.

von Billerbeck: Also, Selbstzensur aus Angst?

Gottschlich: Teilweise. Das ist, wie gesagt, das ist eine sehr zwiespältige Geschichte. Auf der einen Seite gab es immer die Befürchtung gegenüber den Nationalisten und Militärs, also wie Orhan Pamuk beispielsweise, der ja noch vor Gericht gestellt wurde, weil er sich für die Armenier oder beziehungsweise für den anderen Umgang mit der Geschichte in Bezug auf die Armenier stark gemacht hat, also gegen die Nationalisten. Das schwenkt jetzt ein bisschen um, die AKP schafft Raum beispielsweise für die Debatten über ethnische Minderheiten, ist viel leichter heute, also viel demokratischer als vor ein paar Jahren. Dafür darf man jetzt keine gotteslästerlichen Kommentare mehr schreiben.

von Billerbeck: Istanbul ist ja eine der Kulturhauptstädte 2010. Wirkt sich das, was da gerade geschieht, diese schleichende Islamisierung, auch auf das aus, was während des Kulturhauptstadtjahres passiert? Es gibt ja den Vorwurf einiger Kritiker, dass da zwar eine Menge Fassaden renoviert werden, aber dass man nicht gerade in innovative Kulturprojekte investiert.

Gottschlich: Ja, das stimmt. Das hängt aber, glaube ich, mit anderen Sachen zusammen. Das hängt damit zusammen, dass die Verantwortlichen für die Kulturhauptstadt-Organisation schon aus dem Spektrum der AKP kommen und einfach kein Verständnis dafür haben. Das ist jetzt keine bewusste Zensur, sondern es ist ein Stück weit Ignoranz. Und man merkt aber: Also die Intention der Organisatoren für die Kulturhauptstadt ist, die Türkei als die ... Istanbul als europäische Stadt darzustellen. Deshalb wird schon versucht, Ansätze einer westlichen Kultur da auch zu präsentieren. Also, das wird nicht unterdrückt, ganz im Gegenteil, weil das Anliegen ist, Istanbul eben als europäische Stadt zu repräsentieren.

von Billerbeck: Aber als ein Aushängeschild, hinter dem sich ein zunehmend islamischer Staat verbirgt?

Gottschlich: Ja, das ist die Frage jetzt, die uns natürlich alle umtreibt hier: Wie wird es weitergehen? Wie äußert sich das dann konkret? Sind die Befürchtungen, die jetzt von vielen artikuliert werden, übertrieben? Also das ist eine sehr spannende Umbruchphase.

von Billerbeck: Was meinen Sie, wird mit den Militärs passieren, und – wenn sie verurteilt werden – wie werden die Reaktionen in der Öffentlichkeit sein?

Gottschlich: Na ja, ich finde, die ganzen Reaktionen zurzeit sind sehr verhalten, wenn man sich auf der Straße umguckt, fast hat man das Gefühl, die Leute interessieren sich kaum noch dafür. Das ist ja eine ermüdende Auseinandersetzung, die sich jetzt über Jahre hinzieht. Und man will eigentlich gar nichts mehr davon wissen. Deswegen glaube ich auch, Verurteilungen ... Also, die Sache ist jetzt gelaufen, die Leute werden verurteilt und es wird auch nichts mehr passieren.

von Billerbeck: Jürgen Gottschlich, "taz"-Korrespondent in der Türkei, über den Kulturkampf zwischen Militär und islamischer AKP. Danke nach Istanbul!

Gottschlich: Ja, vielen Dank!