Gotteshaus oder Event-Kirche?

Von Adolf Stock · 02.07.2011
Das Jahr 2011 steht für die Evangelische Kirche in Deutschland ganz im Zeichen der Taufe. Und dort, wo Luther 1483 getauft wurde, in Eisleben im Mansfelder Land, soll ein "Zentrum Taufe" mit einem Ganzkörper-Taufbecken entstehen. Ein Vorhaben, das auch für Kritik sorgt.
Drei stattliche Kirchen für nur 1000 Gemeindemitglieder. Was soll man tun? Auf dem kurzen Weg vom Pfarrhaus zur Petrikirche in Eisleben beschreibt Pfarrerin Iris Hellmich, wie sie sich das Gemeindeleben angesichts leerer Gotteshäuser in Zukunft vorstellt.

"Die Nicolaikirche, ist im Moment gesperrt, und die Andreaskirche am Markt ist eben so die Stadtkirche, wo jeder halt so vorbeikommt, und die Petrikirche soll eben dieses besondere Profil bekommen, dass man also das Thema Taufe in den Mittelpunkt stellt."

Das Glockengeläut ist alt, Martin Luther hat diese Glocken schon hören können. 1483 ist der Reformator in Eisleben geboren, und hier wurde er auch getauft. Was lag also näher, als die Petrikirche dem Sakrament der Taufe zu widmen? Jetzt wird das Gotteshaus entsprechend umgebaut. Pfarrerin Simone Carstens-Kant leitet das Projekt.

"Da Martin Luther in dem Vorgängerbau dieser Kirche getauft wurde, hat man gesagt, warum nehmen wir nicht eigentlich das als Thema und gruppieren die ganze Kirche um dieses Thema? Und dann war relativ schnell auch die Idee geboren, nicht mehr dieses ganz klassische kleine Taufbecken nur als einzigen Taufort zu nehmen, sondern zu sagen, hier in dieser Petri-Pauli-Kirche wird ein Ganzkörpertaufbecken gebaut."

Zurzeit sind die Bauarbeiter vor Ort und renovieren das spätgotische Kirchenschiff mit dem eindrucksvollen Sternkreuzgewölbe. Holger Karnahl ist einer von ihnen:

"Ich bin hier der Steinmetz und habe die Gewölberippen restauriert, weil die Gewölberippen waren abgerissen, und dann auch noch Formteile ergänzt, mit Restaurierungsmörtel verharzt und vernadelt, alles was abgerissen war, und habe die statische Sicherheit wieder hergestellt."

Momentan klafft im Fußboden ein großes rundes Loch. Die Handwerker haben den Fußboden aufgestemmt, um Platz für das große Taufbecken zu schaffen. Am Ende wird es etwa einen Meter tief sein und einen Durchmesser von 2,20 Meter haben. Simone Carstens-Kant:

"Das, was wir jetzt hier vor uns sehen, das ist also der Ort, wo dann das Becken auch gebaut werden soll. Es musste eben vorher aber noch eine archäologische Untersuchung gemacht werden, dabei hat man diese zwei Grüfte, die man jetzt hier auch sieht, gefunden. Diese Grüfte sind wahr¬scheinlich aus dem 17. Jahrhundert, und das Loch, was wir jetzt hier sehen, ist natürlich eben auch noch mal deutlich größer, als dann nachher das Becken sein wird."

Im vergangenen Jahr hat das Berliner Architekturbüro AFF Architekten den Wettbewerb gewonnen. Es ist ein schlichter und zurückhaltender Entwurf, der die Originalgestaltung der gotischen Hallenkirche respektiert.

"...dass aber der Fußboden eine große Betonplatte werden wird, und dass um das Taufbecken herum, in diesem Betonfußboden Kreise eingefräst werden, die praktisch wie so Wasserkreise sind, und eben diese Wasserkreise setzen sich nicht nur in der Kirche fort, sondern sie gehen aus der Kirche hinaus, und damit wollte der Architekt eben auch deutlich machen, Taufe ist nichts, was nur für diesen Moment da ist, sondern es geht ins Leben hinein, also Menschen soll man abspüren können, dass sie getauft sind und dass sie jetzt Christen sind."

Architekt Alexander Georgi und seine Mitarbeiter haben an viele Details gedacht: Es wird eine ausfahrbare Treppe am Taufbecken geben, und die Sakristei wird durch eine Umkleidekabine ergänzt. Mit dem neuen Taufbecken, sagen Iris Hellmich und Simone Carstens-Kant, wird es ganz neue liturgische Möglichkeiten geben. Iris Hellmich:

"Dass man sich auch wählen kann, wie möchte ich getauft werden. Dass das Wasser fließen muss, das ist in der evangelischen Kirche Konsens, man kann nicht nur die Stirn befeuchten, sondern das Wasser soll fließen, also wenigstens so viel, wie man in die Hand kriegt, und das wäre eben eine weiterführende Form, dass man tatsächlich Menschen untertaucht."

Simone Carstens-Kant:

"In der Taufe wird ja auch noch einmal an die Schöpfung erinnert, und es könnte zum Beispiel so sein, wenn also ein kleines Kind getauft wird, dass wir erst mal das Wasser aus diesem großen Becken herausschöpfen und dann in dieses kleine Becken gießen, und dann erst die Taufe voll¬zogen wird, also wirklich noch mal so diesen Schritt zur Schöpfung zurückgehen in der Liturgie."

Der alte Taufstein wird demnächst direkt neben dem großen Taufbecken stehen. Das ist durchaus gewöhnungsbedürftig. Gerade die Ganzkörpertaufe stößt auf Ressentiments und Vorbehalte. Wir sind hier nicht am Jordan empörten sich Gemeindemitglieder. Andere hatten Sicherheitsbedenken oder machten sich Sorgen über ein verändertes Mikroklima in ihrem Gotteshaus, weil das Taufbecken ständig mit circa 4000 Litern Wasser gefüllt sein wird. Die Gegner des Projekts sahen eine Verschandelung der historischen Bausubstanz und forderten die Denkmalpflege auf, dem respektlosen Treiben ein Ende zu setzen.

Kurz vor Beginn der Bauarbeiten ging es auf einem Gemeindeabend noch einmal heftig zur Sache. 60 Personen saßen zusammen, um über das Zentrum Taufe zu diskutieren, und es fiel der böse Satz, man wolle eine Event-Kirche. Micky-Maus statt Gottesfurcht? Ein Hauch Stuttgart 21 lag in der Luft. Doch Simone Carstens-Kant blieb auch da bei ihrer Meinung. Simone Carstens-Kant:

"Ich bin ja dann immer zitiert worden mit dem Satz, wenn sich nichts ereignet, dann geht auch keiner hin. Alles was ich im Gottesdienst tue, in einer Kirche tue ist natürlich Ereignis. Event ist halt das englische Wort dafür, das kann man so oder so füllen. Es geht mir nicht darum, einen Budenzauber zu veranstalten, also ich sag mal jetzt das Taufbecken also mit Wunderkerzen zu umstellen, weil es schön ist. Es geht mir darum, Angebote zu finden, die auch gefüllt sind."

Zwischendurch summt Simone Carstens-Kant ein Kirchenlied, ein Lied, das sie besonders mag und bei Tauffeierlichkeiten oft gesungen wird: Du hast mich, Herr, zu dir gerufen, und in der Taufe bekenn ich dich. Simone Carstens-Kant:

"Menschen fragen nach besonderen Orten, wenn ich also in der Taufkirche Martin Luthers einen Tauferinnerungsgottesdienst feiere, dann hat das vielleicht sogar wirklich noch einmal ein anderes Gewicht, als wenn ich das in meiner ganz kleinen Dorfkirche mit noch fünf anderen aus dem Dorf zusammen feiere."

Die protestantische Gemeinde will mit dem Zentrum Taufe etwas Neues wagen. Es geht um eine spirituelle Rückbesinnung auf die Wurzeln des christlichen Glaubens. Dazu werden erst einmal 1,2 Millionen Euro verbaut. Im Februar 2012 soll alles fertig sein. Ziel ist, möglichst unterschiedliche Christen an den Taufort Martin Luthers zu locken. Simone Carstens-Kant:

"Wir suchen ganz bewusst nach Angeboten für Leute, die nämlich auch danach fragen, das sind einerseits diejenigen, die auf den Spuren Martin Luthers wandern und sagen, ah da ist die Taufkirche, da möchte ich gerne auch rein, und das sind auf der anderen Seite aber eben auch Leute, gerade hier in diesem Bereich, die von Kirche über Jahrzehnte nichts mehr gehört haben. Und da wollen wir auch Angebote machen, dass die sagen, ich will da hingehen, und da muss ich mich nicht sofort taufen lassen, ich muss nicht sofort ein Bekenntnis sprechen, aber ich bin da willkommen."

Im nächsten Jahr wird man dann sehen, ob die Bevölkerung der Umgebung, die Touristen der Weltkulturerbe-Stätten und die gläubigen Pilger das Zentrum Taufe als besonderes Angebot zu schätzen wissen.
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