Gott wird nicht so leicht zornig

10.10.2007
"Gotteslästerung". Das ist nicht nur ein Thema für Theologen. Jean-Pierre Wils macht uns bewusst, es ist ebenso ein Thema für Kultur - und Rechtsphilosophen, für Juristen und für alle politisch interessierten Menschen, genau genommen für jeden Staatsbürger unserer Zivilgesellschaft.
Der Autor hat gute Bekannte bei der niederländischen Justiz und der Polizei. Die haben den Theologen, Kultur- und Moralphilosophen gebeten, sich einmal ausführlich mit dem Thema "Gotteslästerung" zu beschäftigen, denn immer mehr religiöse Gruppen (oft, aber nicht nur aus muslimischen Kreisen) treten an Polizei und Justiz heran mit dem Ersuchen, "Gotteslästerung" sollte wieder strafrechtlich verfolgt werden.

Denn wenn der Staat sich weiterhin dieser Aufgabe verweigere, so die Argumentation, würden immer mehr Fanatiker Selbstjustiz üben. Gerade die Niederländer haben in dieser Sache jüngst grausame Erfahrungen gemacht. Auf die Leiche von Theo van Gogh, Filmregisseur, war ein Bekennerbrief aufgespießt. Sein Sterben wurde zum "Racheakt für gotteslästerliches Verhalten" erklärt.

Um es vorwegzunehmen: Der Autor wendet sich gegen das Ansinnen, "Gotteslästerer" strafrechtlich zu verfolgen. Er meint, in einem Staat, der Religion zur Privatsache erklärt und sehr verschiedene Gottesbilder genauso toleriert wie eine atheistische Gesinnung, kann es ein justiziables Delikt der Gotteslästerung nicht geben.

Solange der öffentliche Frieden gesichert ist, hat ein demokratischer Staat sich neutral zu verhalten gegenüber den religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen seiner Bürger.

Wils begründet seine These in doppelter Weise. Zunächst argumentiert er mit den Mitteln philosophischer Logik. Wo der Begriff Gottes nicht eindeutig bestimmt ist (und er kann in einer pluralen Gesellschaft nicht eindeutig bestimmt werden), ist auch nicht eindeutig festzustellen, auf welche Weise man Gott lästern kann.

Einem Atheisten zum Beispiel, so Wils, ist Gotteslästerung generell nicht vorwerfen, denn er geht davon aus, dass Gott nicht existiert. Wils hat zweifellos recht: metaphysische Größen gehören nicht ins Strafgesetzbuch einer aufgeklärten Demokratie.

Der zweite Strang von Wils Argumentation ist kulturhistorischer Natur. Er erklärt uns, in welchen Kulturen der Begriff der Gotteslästerung entstanden ist. Wils nennt sie "die archaischen Kulturen der Ehre" und beschreibt streng hierarchisch geordnete Gesellschaften, in denen der soziale Stand und der Platz jedes Einzelnen genau vorgeschrieben ist, ebenso das, was man zu tun und zu lassen hat.

Wer anders lebt als verlangt, gilt als ehrlos und wird sanktioniert. "Kulturen der Ehre", so Wils, haben entsprechende Gottesbilder. Ihre Götter sind Herrschernaturen. Sie unterwerfen, sind leicht kränkbar und empfindlich gegen Lästerung. Solche archaischen Kulturen der Ehre funktionieren nach wie vor, darum wird in vielen arabischen Ländern gotteslästerliches Verhalten schwer bestraft, manchmal sogar mit dem Tod.

Den vormodernen "Kulturen der Ehre" setzt Wils die modernen "Kulturen der Menschenwürde" entgegen. Letztere gründen auf dem demokratischen Ideal der Gleichheit und sind dem Geist der Aufklärung verpflichtet. In den "Kulturen der Menschenwürde" hat sich über Jahrhunderte allmählich ein Gottesbild durchgesetzt, das sich von dem der vormodernen "Kulturen der Ehre" grundlegend unterscheidet: Gott wird als zu groß und zu entrückt betrachtet, als dass er durch kleinlich-menschliche Ausfälle tatsächlich getroffen werden könnte.

Wils zeigt, wie sich dieser moderne Gottesbegriff herausgebildet und schließlich allgemein durchgesetzt hat. Als bahnbrechenden Denker in dieser Sache betrachtet Wils seinen Landsmann Baruch Spinoza. Spinozas Gottesbegriff ist laut Wils der moderne Gottesbegriff schlechthin, kompatibel sogar mit dem Atheismus.

Den All-umfassenden Gott des Spinoza kann man nicht lästern. Er hört dem nicht zu, er wird nicht zornig, er ist frei von allen menschlichen Eigenschaften und Leidenschaften. Und wenn einer nicht an ihn glaubt, dann ist diesem Gott das ziemlich egal.

Resümierend kommt der Autor zu dem Schluss, dass, wer "Gotteslästerung" als Straftatbestand reaktivieren will, den Rückfall einer modernen in eine archaische Kultur verlangt. Das heißt, er fördert nicht etwa den inter-kulturellen Dialog, im Gegenteil, er trägt zur Zementierung bestehender Feindbilder bei.

Sehr wohl strafbar zu sein in einem demokratischen Gemeinwesen hat allerdings die Beschimpfung religiöser und weltanschaulicher Bekenntnisse, wenn diese Beschimpfung öffentlich erfolgt und den gesellschaftlichen Frieden gefährdet. Dies, so Wils, ist in allen europäischen Ländern der Fall, die bestehende Gesetzgebung also nicht zu tadeln.

Ein wichtiges, tief gedachtes und streitbares Buch im Geiste eines multikulturellen, demokratischen Europa.


Rezensiert von Susanne Mack

Jean-Pierre Wils: Gotteslästerung
Verlag der Weltreligionen, Frankfurt am Main 2007
210 Seiten, 17,80 Euro