Gott vergibt, Django und der Papst vergeben nie

Von Herbert A. Gornik · 20.08.2011
Ein Papst verweigert Vergebung, Gott widerspricht seinem Vertreter auf Erden: Sebstian Baumgartens Neuinszenierung der Wagner-Oper Tannhäuser ist in diesem Jahr bei den Bayreuther Festspielen zu sehen.
Heinrich Tannhäuser ist Mitglied in einer in ihren blutleeren Idealen erstarrten Gesellschaft. Nur Elisabeth ruft in ihm, dem Minnesänger, das Gefühl von Freiheit hervor. Er bricht aus diesem mentalen Gefängnis aus, erlebt auf dem Venusberg ein sinnliches, lusterfülltes Leben von freier Sexualität und künstlerischer Inspiration. Nach seiner eher zufälligen Rückkehr auf die Wartburg besingt er den sinnlichen Genuss als das wahre Wesen der Liebe - "Im Genuss nur kenn' ich Liebe". Heinrich ruft Venus an, sein Gott ist der Sex und allen anderen spricht Tannhäuser ab, die Liebe richtig zu verstehen und zu praktizieren.

Dafür will ihn die Gesellschaft töten; Elisabeth, zutiefst gekränkt, rettet ihn; er soll sich vom Papst Vergebung erbitten. Von Rom zurück steht Tannhäuser vor einem Desaster: Der Papst hat ihm nicht verziehen. Elisabeths gesamte Lebensenergie ist ins Gebet für ihn gegangen, sie stirbt; In die Verzweiflung hinein singen Rompilger von einem Wunder: Der dürre, tote Priesterstab des ihn verdammenden Papstes hat frisches Grün getrieben. Gott hat Tannhäuser verziehen. Aber wie für Elisabeth bleibt auch für Tannhäuser kein richtiges Leben im falschen: Auch er stirbt.

Als Giuseppe Collizzi den Film drehte "Gott vergibt, Django nie", wollte er nicht zeigen, dass Päpste manchmal die Rolle des kalten, gnadenlosen Rächers übernehmen. Aber der Papst im Tannhäuser heißt mit heimlichen Beinahmen "Django". Gott vergibt, der Django-Papst nie, - das ist eine befreiende Pointe für die Lebenden und eine bittere Pointe für die Sterbenden in dieser Oper. Aber verstörend ist sie auch – Gott vergibt auch dem, der nicht bereut, sondern - nur - aus Liebe Buße tut. Nachträglich singt er über die Motive seines Ganges nach Rom: "Ich tat's, denn in Zerknirschung wollt' ich büßen, um meines Engels Tränen zu versüßen!"

Regisseur Sebastian Baumgarten interessieren die großen Fragen von erdrückender Konvention und befreiender Vision zu wenig und die Frage nach dem Verhältnis von Sinnlichkeit und Geistigkeit kaum. Sein bester Einfall ist zugleich sein problematischster. Baumgarten lässt eine alles versperrende, alles dominierende Fabrikhalle auf die Bühne stellen. In diesem Monstrum, das alles Leben zu ersticken droht (allerdings auch die Konzentration auf das Innenleben der Figuren), wird Selbsterhaltung durch Selbstvernichtung praktiziert und ein Kreislauf des Todes gezeigt. Die ganze Gesellschaft hängt an einem Tropf, einem sogenannten' Alkoholator. Baumgarten zeigt eine Gesellschaft von Zombies; sie sind schon tot, wissen es nur noch nicht.

Der Science Fiction-Film "Jahr 2022 ... die überleben wollen"(im Original: "Soylent Green") hat das vorgedacht – auf der durch Umweltzerstörung und Überbevölkerung zerstörten Welt wächst nichts Genießbares mehr. Lebensmittel, das ist das düstere von den Herrschenden gehütete Geheimnis, werden durch Leichen- Recycling gewonnen. Und wie die unethischen Biogasanlagen im wirklichen Leben das Lebensmittel Mais verbrauchen, um Energie zu erzeugen, verbraucht der amoralische Biogasreaktor "Wartburg" im Tannhäuser die Lebensenergie der Menschen. Und erzeugt Lustfeindlichkeit, Entsinnlichung und Unterwerfung. Es ist als habe Christoph Schlingensief mit Hand angelegt.

Die Maschinerie verschluckt auch Elisabeth und wandelt sie um – ein Super-Kunstgriff! – in ein schon zu Lebzeiten entsinnlichtes Idol. Enttäuscht vom Erlösung verweigernden Papst geht Elisabeth zum Sterben schließlich in die Biogasanlage und wird verwertet.

Für die Erneuerung der Wagnerinterpretation ist das alles zu wenig. Und für die Erneuerung des Wagner-Gesangs aus dem Geist Mozarts, mit einer an den psychischen Beziehungen interessierten Personenführung und interpretatorischen Tempiwechseln hat die Inszenierung zu wenig gebracht.

Lars Cleveman als Tannhäuser war wacklig und gepresst, Stephanie Friede als Venus einfach eine Fehlbesetzung, Camilla Nylund freilich als Elisabeth singt leise kultiviert mit großem Entwicklungspotenzial und passt zu neuen Wagner-Typen wie Annette Dasch oder Anne Schwanewilms. Michael Nagy als lyrischer Wolfram steht ihr in nichts nach. Thomas Hengelbrock dirigierte - und am 13.August tat es Assistent Peter Tilling ganz im Sinn des Meisters - die langsamen Tempi noch langsamer und die schnellen noch dramatischer und dynamisierte damit die innere Handlung.

Wäre da nur nicht Sebastian Baumgartens Biogasreaktor gewesen, der Alkoholator-Klops, gegen den sich die Musik kaum behaupten konnte. Aber vielleicht ist ja auch das eine Metapher wert – stinkende und versoffene Realität erschlägt musikalische Vision.
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