Gott und Glauben

Moderation: Maria Riederer · 21.03.2008
Wie kommt es, dass Bücher über Religionen seit einigen Jahren immer wieder Bestsellerlisten erobern? Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit Hans-Joachim Simm, Leiter des Verlages der Weltreligionen, und Manfred Lütz, Arzt und Autor des Buches: "Gott. Eine kleine Geschichte des Größten".
Maria Riederer: Herzlich willkommen bei Lesart Spezial. Heute geht es um das Thema Religion. Bücher über Religion erobern seit einigen Jahren immer wieder die Bestsellerlisten. Das geht von Hape Kerkelings Buch über den "Jacobsweg", über "Jesus" von Papst Benedikt XVI. bis hin zu Richard Dawkins "Gotteswahn", ein Buch gegen die Religion. Diese Bücher werden gekauft und gelesen und auch öffentlich diskutiert, ein spannendes Feld, dem wir uns heute mit einigen konkreten Beispielen zuwenden wollten.

Ich bin Maria Riederer und als Gäste begrüße ich heute zum einen Hans-Joachim Simm, Leiter des Inselverlages und des noch jungen Verlages der Weltreligionen. Er ist aus Frankfurt zugeschaltet, guten Tag, Herr Simm.

Hans-Joachim Simm: Guten Tag, Frau Riederer.

Riederer: Mit mir im Studio ist Manfred Lütz, Arzt und Autor mehrerer Bücher. Zuletzt erschienen ist der Titel: "Gott. Eine kleine Geschichte des Größten".

Manfred Lütz: Grüß Gott.

Riederer: Herr Lütz, 100.000 Exemplare sind verkauft worden. Hätten Sie das erwartet?

Lütz: Man hat mich mal gefragt, ob ich einen Bestseller schreiben wollte. Dann habe ich gesagt: Wenn ich für einen Menschen hätte schreiben wollen, hätte ich einen Brief geschrieben. Also, tatsächlich war die Absicht, die Frage nach Gott mal populär zu beschreiben und für ein breiteres Publikum. Das war die Absicht. Dass es dann 100.000 wurden, damit habe ich natürlich nicht gerechnet.

Riederer: Im Kladdentext steht, Sie seien "Arzt, Theologe und Kenner der Philosophie". Wer hat denn nun dieses Buch geschrieben, der Arzt oder Naturwissenschaftler, der Theologe oder der Kenner der Philosophie?

Lütz: Ich will Ihnen mal sagen: der Mensch. Ich glaube, bei der Frage nach Gott kann man sich persönlich dann doch nicht raushalten - glaubte ich jedenfalls. Man kann darüber natürlich religionswissenschaftlich schreiben. Das kann man auch sehr seriös. Aber Ziel des Buches war einfach, ich habe mir überlegt, ich bin jetzt 53 Jahre alt, ich habe Verschiedenes studiert, ich habe ein bisschen Lebenserfahrung. Und wenn mir auf der Straße ein Mensch begegnen würde, der mir sagen würde, hören Sie mal, ich habe gehört, Sie sind Christ, was gibt es denn für Argumente für Gott oder gegen Gott, kann ich ja auch nicht erst mal in meine Bibliothek gehen und sagen, in ein paar Monaten komme ich wieder, sondern da muss ich ihm Rede und Antwort stehen können.

Mein Eindruck war, wir reden in den letzten Jahrzehnten immer wieder von der Gottesfrage, aber es gibt eigentlich kein Buch, was man einem normalen Menschen in die Hand drücken kann und sagen, da sind die wesentlichen Argumente drin. Es ist nicht zu dick, ist auch ein bisschen unterhaltsam und allgemeinverständlich geschrieben.

Ich habe das Buch dann von einem Metzger und einem Philosophen lesen lassen. Die haben das beide verstanden und fanden das gut. Das war so ein bisschen Ziel des Projekts.

Riederer: Gottesbeweise und Argumente für seine Existenz, das wird ja jetzt wieder sehr gerne und sehr viel gemacht. Macht das Sinn, etwas zu argumentieren oder Beweise für etwas zu suchen, was nicht beweisbar ist? Oder macht es auch ein bisschen Spaß?

Lütz: Es hat natürlich Spaß gemacht das Buch zu schreiben. Das war überhaupt nur dadurch möglich, dass ich in Urlaub gefahren bin und gar kein anderes Buch mitgenommen habe. Wenn ich in meiner Bibliothek gesessen hätte, wäre ich da nie dazu gekommen, weil das ein riesiges Thema natürlich ist. Für jemanden, der Theologie studiert hat, der auch selbst ein gläubiger Mensch ist, ist natürlich die Gottesfrage eine ganz zentrale Frage. Da neigt man dazu, zehn Bände zu schreiben, aber das wäre nicht sehr originell. Das haben viele andere Leute auch schon versucht. So hat das - glaube ich - nur funktioniert, indem ich in Urlaub gefahren bin, nur ein einziges Buch mitgenommen habe, eine "Geschichte des Atheismus" von Georges Minois, brillant geschrieben von einem Franzosen. Und dann habe ich mir einen gescheiten Atheisten vorgestellt und überlegt: Was würde ich dem sagen?

Ich glaube, das Besondere dieses Buches ist eigentlich mehr oder weniger die Form. Der Inhalt, über Gott zu schreiben, das haben viele schon versucht. Und die Frage nach Gottes Beweisen? Ja, da haben wir schon ein Sprachproblem. Die Leute stellen sich dann vor, das sind so mathematische Beweise. Das sind sie natürlich nicht, aber sie sind nicht weniger wichtig. Ich habe das mal so zusammengefasst: Gottes Beweise sind wie Liebesbeweise. Sie sind nicht zwingend, aber es sind vielleicht die wichtigsten Beweise unseres Lebens.

Riederer: Wer ist Ihr Gegenüber, wenn Sie sagen, das ist so eine Art Gespräch. Haben Sie da ein bestimmtes Gegenüber im Auge?

Lütz: Ja, einen gescheiten Atheisten, einen interessierten Atheisten, nicht so einen Ideologen, so einen Fundamentalisten. Richard Dawkins zum Beispiel habe ich gelesen. Ich sollte auf der Buchmesse in Frankfurt mit ihm in der ARD diskutieren. Da hat er sich geweigert, wie alle Fundamentalisten, die ja nicht gerne diskutieren. Aber ich habe dadurch in der Vorbereitung das Buch sehr ausführlich gelesen. Das war ein Phänomen für mich, was ich überhaupt nicht kannte. Fundamentalistischen Atheismus kannte ich eigentlich gar nicht. Ich habe eigentlich Atheisten bisher kennen gelernt als sehr diskursfähige Menschen und das hat mir immer sehr viel Spaß gemacht, eigentlich mehr Spaß gemacht, mit denen über Gott zu diskutieren, als mit Christen - ehrlich gesagt.

Riederer: Wir kommen nachher noch mal auf den Atheismus. Ich möchte jetzt mit Herrn Simm sprechen. Sie haben uns auch ein Buch mitgebracht, das im Verlag der Weltreligionen erschienen ist. Es heißt "Gotteslästerung" und ist ein Essay des Niederländers Jean-Pierre Wils. Ist Gotteslästerung ein modernes Thema?

Simm: Gotteslästerung ist ein ganz aktuelles, ein vielfältiges Thema. Denken wir an den Karikaturenstreit, an vieles andere. Dieses Buch versucht sozusagen die Geschichte der Gotteslästerung auf verschiedenen Ebenen oder in verschiedenen historischen Epochen vorzustellen, also sozusagen eine Entwicklung der Gotteslästerung von einer religiösen, einer theologischen Gotteslästerung bis hin zu einer - sagen wir - bürgerlichen Gotteslästerung und den entsprechenden, auch staatlichen Möglichkeiten und Unmöglichkeiten diesem zu begegnen.
Jean-Pierre Wils ist ein Theologe aus Nimwegen, der dieses Thema - glaube ich - doch ziemlich erschöpfend behandelt hat.

Riederer: Ist denn die Angst vor Gotteslästerung heute ein Problem des Islam?

Simm: Ich denke, das ist nicht nur ein Problem des Islam, aber im Islam wird es eben politisiert, wird es sehr viel stärker wahrgenommen. Das liegt sicher auch daran, dass der Islam eben keine Aufklärungsgeschichte hat oder nur in Teilen eine Aufklärungsgeschichte hat, anders als das Christentum.

Riederer: Aber die Gotteslästerung, ich habe mich bei der Lektüre des Buches gefragt, wird da überhaupt Gott gelästert oder wird da einer Macht gelästert? Gegen wen oder was richtet sich die Gotteslästerung überhaupt noch?

Simm: Die Gotteslästerung richtet sich, so wie der Jean-Pierre Wils das darstellt, jetzt nicht mehr gegen Gott, sondern gegen eine Gemeinschaft oder auch gegen den Einzelnen. Das sind so die Etappen. Also, Gotteslästerung als Lästerung Gottes in der Tat, dann die Lästerung einer religiösen Gemeinschaft, das ist die nächste historische Etappe. Die dritte ist sozusagen die persönliche, die Lästerung des persönlichen Glaubens, also die Individualisierung der Gotteslästerung. Das ist - wenn man so will - eine Kulturgeschichte der Gotteslästerung.

Aber ich denke, im Christentum spielt das keine so große Rolle, jedenfalls an der Oberfläche, im Einzelnen ganz sicher, einfach deswegen, weil hier eine andere Aufklärungsgeschichte stattgefunden hat.

Riederer: Jean-Pierre Wils ist ja Professor für Kulturtheorie der Moral im besonderen Hinblick auf die Religion, ein relativ sperriger Titel. Ist der akademische Anspruch auch ein Teil Ihrer Verlagsphilosophie? Machen Sie die Bücher für Experten im Verlag der Weltreligionen?

Simm: Lassen Sie mich so einleiten: Ich bewundere Manfred Lütz und das Buch "Gott. Eine kleine Geschichte des Größten". Er hat da wirklich auf eine rhetorisch oder stilistisch brillante Weise - und deswegen sind auch 100.000 Exemplare verkauft worden - ein Thema vielen nahe gebracht. Insofern sind wir auf derselben Seite, aber vielleicht auf verschiedenen Ebenen. Der Verlag der Weltreligionen hat natürlich auch den Anspruch, wie jeder Verlag, Bücher zu verkaufen. Und die Autoren sind froh, wenn ihre Bücher verkauft werden. Was wir aber wollen, ist sozusagen die Bereitstellung von Basismaterial, ist die Bereitstellung von Texten, die die Kenntnis der verschiedenen Religionen ermöglichen. Insofern, um auf Ihre Frage zurückzukommen, ist natürlich der akademische Anspruch, den Wils und andere Autoren, die in der Essay-Reihe des Verlags publizieren, durchaus beabsichtigt.

Riederer: Aber Sie haben ja nicht nur Essays, Sie fördern eine fundierte Kenntnis der Heiligen Schriften mit Ihren Verlag. Das ist, glaube ich, auch die Absicht. Es gibt zum Beispiel eine Neuauflage der 40 Hadithe, eine Art Katechismus des Islam. Wer kauft so was?

Simm: Also, eine Neuauflage der 40 Hadithe ist das nicht. Es gibt zwar in islamischen oder muslimischen Verlagen reine Textausgaben, auch deutsche Textausgaben für einen relativ günstigen Preis. Aber diese Textausgaben sind nicht kommentiert.

Insofern ist das eine Erstausgabe der Hadithe, die sowohl den Text bringt, als auch historische Kommentare aus derselben Zeit, also muslimische Kommentare, als auch dann einen sehr umfassenden Kommentar eines westlichen Editors. Diese Kombination - insofern ist diese Ausgabe der Hadithe ein Modellfall für uns - von historischen Texten und ihrer gegenwärtigen Kommentierung, auch ihrer Kommentierung unter interreligiösen Aspekten, das ist ein Ziel des Verlags und steht im Zentrum. Insofern stehen auch die gesamten Editionen zunächst im Zentrum und in der zweiten Reihe dann die Essay-Bände, bestimmte Aktuelle wie Jean-Pierre Wils mit der "Gotteslästerung" oder Peter Sloterdijk mit dem "Kampf der Monotheismen" u. a. oder Georges Agamben oder gerade auch Michael Hochgeschwender. Auf diesen möchte ich gerne ganz kurz noch eingehen, weil das ein ganz wichtiges Thema ist.

Wir sprechen immer vom Islam und fundamentalistischen Strategien. Ich denke, dass wir viel zu wenig wissen. Das kommt zwar jetzt über die Medien und vielleicht auch durch den Wahlkampf in Amerika ein bisschen herüber, dass wir aber viel zu wenig wissen über den amerikanischen Fundamentalismus, den Evangelikalismus, die Pfingstler-Bewegung usw. Dazu haben wir eben auch einen aktuellen Essay-Band von dem Münchner Amerikanisten Michael Hochgeschwender vorgelegt.

Aber noch einmal: Im Zentrum stehen die Texte, und zwar eben nicht nur als reine Texteditionen und Übersetzungen, sondern ausführlich kommentiert. Das gilt für den Rigweda beispielsweise, den ursprünglichsten, einen der frühesten Religionstexte, der eine ungeheure Wirkung nicht nur auf den folgenden Hinduismus und anderes in Asien ausgeübt hat, sondern auch noch auf die westliche Kultur über die Rezeption in der Romantik bis heute. Diese Ausgabe des Rigweda, also der ältesten wedischen Heiligen Schriften einer frühen Kultur, wird umfangreich kommentiert. Das sollen vier Bände werden. Das sind im ersten Band 350 Seiten Text und 500 Seiten Kommentar. Dieser Anspruch ist uns wichtig und diesen Anspruch wollen wir durchhalten.
Es hat sich auch herausgestellt, dass in der Presse, dass beim Leser, beim Publikum - wir haben erstaunlich gute Verkäufe schon im ersten Vierteljahr gehabt -, auch bei breiterem Publikum angenommen wird, freilich nicht in Hunderttausenden.

Riederer: Wie kommt es überhaupt, dass das Interesse an religiösen Schriften oder auch an religiösen Büchern oder Büchern über Religion im Moment so groß ist - eine Frage an Sie beide.

Simm: Beginnen wir alphabetisch, Herr Lütz?

Lütz: Ich glaube, das hat natürlich verschiedene Ursachen. Sicherlich ist der 11. September eine Ursache, dass der Westen aufgewacht ist und überhaupt erstmals richtig mitgekriegt hat, was da eigentlich zum Teil abläuft, und jetzt auch interessiert ist, das differenzierter wahrzunehmen.

Andererseits geht es nicht nur darum, dass man Kenntnis hat vom Islam, sondern auch die eigenen Wurzeln - glaube ich - sind wieder interessant. Ich bin persönlich Christ, bekenne mich auch dazu, tue das auch in dem Buch, weil ich finde, da kann man keinen Etikettenschwindel betreiben. Da ist man dann auch selbst gefragt. Aber es ist für meine Begriffe wichtig, dass man das auch sozusagen rational argumentieren kann. Wenn man sagt, es gibt Gott tatsächlich und es gibt diese Ursehnsucht des Menschen, eigentlich seit Bestehen der Menschen gibt es Ahnungen vom Göttlichen oder von Gott, dann bricht sich das irgendwann wieder Bahn.

Ich habe daran gedacht, als ich jetzt eben von dem Buch über Gotteslästerung hörte, dass ich mal eine Fernsehdiskussion darüber gehabt habe, wo einfach die Grenzen bei uns sein sollen. Ich habe mich dann mit der Frage von Veralberung des Christentums in Comedy-Shows mal ein bisschen beschäftigt, wo dann Jesus mit Dornenkrone und Kreuz in der Gegend rumhopsen und so etwas, was ich nicht besonders witzig finde. Mir ist dabei der Gedanke gekommen, dass Kabarett im Grunde immer gegen die Macht war. In den 50er Jahren musste man sicherlich auch Kirche und Christentum auf die Schippe nehmen. Da hatte sie noch Macht. Und das war Kabarett von links.

Heute habe ich den Eindruck, dass man im Christentum das Fremde veralbert. Man weiß gar nicht mehr, was das ist. Man weiß gar nicht mehr, was Kirche ist. Man veralbert es einfach, wie das Fremde, wie man früher zum Beispiel das Jüdische veralbert hat. Und das war Veralberung von rechts. Also, das war im Grunde eine Form von Fremdenfeindlichkeit, wenn man das mal so sagen soll. Das ist natürlich nicht gleich Gotteslästerung, wenn man sich über einen Bischof lustig macht, aber ich finde, das Niveau des Diskurses in einer Gesellschaft hängt auch ein bisschen damit zusammen, wie man die eigenen Wurzeln kennt.

Deswegen finde ich das Projekt des Verlags der Weltreligionen außerordentlich spannend. Ich habe "Gotteseifer" von Sloterdijk wirklich mit Spannung gelesen. Ich habe mit ihm dann darüber diskutiert im Fernsehen. Das ist eine sehr gute Analyse. Die Frage, die mich dann natürlich bei Sloterdijk interessiert hat, ist: Was glauben Sie selbst? Das war dann ganz spannend. Es ist natürlich dann so, dass er letztlich auf der Loge bleibt und nicht auf die Bühne geht mit dieser Frage.

Simm: Herr Lütz spricht eine ganz wichtige Frage an. Ich bin da auch öfter gefragt worden. Was glauben Sie selbst? Was will der Verlag der Weltreligionen mit diesen Editionen machen - nur bereitstellen, nur philologische Arbeit? Alles sehr schön, seriös, aber was wollen Sie eigentlich bewirken? Ich denke, das muss dann jeder Leser selbst entscheiden. Man kann von einem Verlag nicht erwarten, dass er sozusagen ein Bekenntnis ablegt und dass er von allen Lesern erst mal ein Glaubensbekenntnis verlangt, bevor sie die Bücher zur Hand nehmen. Das ist eine andere Sache, als wenn ein Autor ein Buch schreibt und sein Bekenntnis oder seine Ideen vorträgt. Für einen Verlag gilt, dass wir etwas bereitstellen. Wir können also nicht irgendwelche Personalabsichten mit einem Verlag propagieren. Sloterdijk ist eine andere Frage.

Ich möchte vielleicht etwas provokativ noch mal auf die Frage der Gotteslästerung zurückkommen, wenn ich darf. Ich will es mal so sagen: Ich glaube, wir müssten vielleicht ein bisschen Gotteslästerung wieder einüben. Herr Lütz hat von Veralberung gesprochen. Veralberung ist eine Abwehrhaltung, das hat er auch gesagt, eine ganz klare Abwehrhaltung - ich will mich damit eigentlich gar nicht beschäftigen, während Gotteslästerung doch tiefer geht. Sie zeigt eine viel größere Nähe zum Gegenstand. Das ist mein Eindruck. Insofern sind wir in der westlichen Welt, indem wir unsere Religionen, die christliche Religion insbesondere, ironisieren, eigentlich schon in eine viel schlechtere Richtung gedrängt worden, indem wir es gar nicht mehr recht ernst nehmen.

Ich denke, da ist die Aufgabe des Verlags der Weltreligionen, sozusagen zu zeigen, nehmt das doch wieder ernst. Verlag der Weltreligionen gehört zum Suhrkamp Verlag, zum Inselverlag, es geht uns auch um Literatur. Das sind große literarische Texte, es sind aber Texte, die auch Spiritualität vermitteln, die jedem eigentlich etwas sagen können, der das wieder ernst nehmen möchte.

Riederer: Also, ernst nehmen, auch wieder einen Wert verleihen, ich glaube, darauf legt der Verlag auch Wert. Ich hatte neulich ein Erlebnis. Ich war im Supermarkt und da lag auf einem Wühltisch zwischen Tiefkühlpizza und Akkubohrer eine Bibel für 4,95 € oder was.

Simm: Ich finde das wunderbar.

Riederer: Ist das wunderbar oder läuft hier irgendwas falsch. Also, welchen Wert haben diese Schriften denn dann noch, wenn ich sie im Supermarkt kaufen kann und noch nicht mal in den Buchladen gehen muss? Sie finden das wunderbar?

Simm: Ich finde das wunderbar insofern, als überhaupt ein Signal damit gesetzt wird, auch wenn vielleicht an der falschen Stelle. Aber es trifft doch dann die Leute, die eben vermutlich sowieso nicht in die Buchhandlung gehen und sich diese wissenschaftlichen philologischen Editionen kaufen oder das Buch von Herrn Lütz kaufen. Insofern ist das doch zumindest ein Ansatz.

Ein anderer Punkt ist mir noch wichtig. Ich möchte noch mal zurückkommen auf Veralberung usw. Es wird in den Religionen, in unserer Religion viel zu wenig gelacht. Und ich möchte Herrn Lütz gerne einladen, einen Essay-Band bei uns zu schreiben über das Lachen in den Religionen. Da fällt mir im Augenblick nur das Osterlachen ein, aber es gibt vieles andere. Asiatische Religionen sind da, glaube ich, viel offener. Ich meine nicht das chinesische Lächeln, sondern ich meine wirklich das Lachen mit Religion als Thema. Also, seien Sie herzlich eingeladen.

Lütz: Spontan würde ich fast schon zusagen, weil ich das als katholischer Rheinländer eine ganz wichtige Frage finde. Humor hat ja auch immer etwas damit zu tun, das man sich selbst infrage stellen kann. Und damit ist man sogar sofort schon bei irgendetwas Höherem.

Der Ansatz meines Buches war aber: Christentum klingt ja immer so ein bisschen nach Beerdigung. Wenn Christentum in der Öffentlichkeit vorkommt, dann ist irgendeine Katastrophe passiert und Leute sind tot und ein Bischof sagt, er versteht das jetzt auch nicht genau. Ich finde, das reicht natürlich nicht. Von daher finde ich erst mal wichtig, dass der Verlag der Weltreligionen hier mehr Kenntnis auch vermittelt.

Es gibt ein so dämliches Klischee vom Christentum. Ich kann mal persönlich sagen, ich bin in die Medien gegangen, auch in Talk-Shows gegangen, weil ich mich einfach geärgert habe über das dämliche Klischee über katholische Kirche, also Zölibat, Frauenpriestertum, Pille, das war’s dann, wenn es darauf rauskommt, zumal eigentlich das katholische Christentum vielleicht die sinnlichste Form von Religion überhaupt ist. Das wissen die Leute aber überhaupt nicht. Die halten die Kirche für eine Institution zur Verhinderung sexueller Freude. Dann ärgert mich das einfach und dann finde ich, hier muss Aufklärung sein, Aufklärung sicherlich auch bei diesem Buch "Gott", das ich jetzt geschrieben habe, über das Mittel eines unterhaltsamen Stils. Wobei mir sehr wichtig war, das haben fünf Theologieprofessoren gelesen, dass es trotzdem stimmt. Das Problem ist ja bei Popularisierung, dass es dann häufig schief wird. Das darf schon nicht sein.

Meine These ist ein bisschen: Die Frage nach Gott ist entweder eine Frage für alle oder eine Frage für keinen. Und dann muss man darüber auch, finde ich, unterhaltsam schreiben können. Das Buch ist eigentlich für Atheisten geschrieben. Im Grunde müsste jeder Atheist dieses Buch kaufen und jeder Christ, der seinem atheistischen Nachbarn mal den Glauben argumentativ erklären will. Warum soll sich ein Atheist abends mit Gott ins Bett legen, wenn das nicht wenigstens unterhaltsam und wenn es zu dick ist? Das war ein bisschen der Ansatz. Und ich finde es überhaupt nicht verboten, unterhaltsam über sehr Ernstes zu reden.

Ich halte häufig Vorträge, die am Anfang etwas kabarettartig sind, aber nachher sehr ernst enden. Ich finde, wenn ich selbst lache, bin ich bereit meine Meinung mal zu ändern. Dann relativiere ich das, was ich bisher mit pathetischem Ernst vielleicht gesehen habe. Mein Buch "Gott." soll ein bisschen Türöffner sein für die Fragen, aber ich finde, um sich zu bilden, auch über die Religionen der Welt, sind Werke, wie Sie die jetzt publizieren, höchst verdienstvoll.

Ich werde häufig gefragt, ich glaube, das ist hier auch bei der Sendung ein bisschen der Anlass: Haben Sie den Eindruck, der Trend Religion oder die Frage nach Gott kommt wieder? Ich muss jetzt mal sagen: Ich bin 53 Jahre alt. Ich verfolge das mit wachem Bewusstsein seit 35 Jahren. So etwa alle vier Jahre steht in der Kirchenzeitung im Sommer: Die Religion kommt wieder. Man ist dann nach 35 Jahren in der Frage ein bisschen abgestumpft und sagt, ja gut, mal wieder Saure-Gurken-Zeit.
Mein Eindruck ist aber tatsächlich, dass sich spätestens - nicht nach dem 11. September, sondern eigentlich nach der Pauls-Kirchen-Rede von Habermas - die Atmosphäre geändert hat. Wir haben wieder eine intellektuelle Debatte über die Frage nach Gott.

Riederer: Also nicht nur, wir sind Papst.

Lütz: Ja. Es geht nicht nur auf dieser popularisierten Form, wo viele Bilder sind, also Sterben Johannes Pauls II. Das war existenziell hoch bedeutsam, glaube ich, aber wenn es nur dabei bleibt, schöne Bilder, Emotionen, dann wäre mir das auch zu wenig. Und dass wir eine intellektuelle Debatte haben, das finde ich beeindruckend. Aber dazu braucht man auch wieder sozusagen Substanz, sodass man nicht nur abstrakt über Religiosität redet, wie das Habermas in seiner Pauls-Kirchen-Rede noch tut, sondern nach der Lektüre der Publikationen des Verlags der Weltreligionen, wird Habermas jetzt künftig sicherlich auch noch sehr viel substanzieller zu diesen Dingen reden, was nicht heißt, dass das bisher unintelligent war.

Simm: Vielleicht kann man noch eins anfügen: Wenn man mit Buddhisten oder mit Hinduisten spricht und ihnen sagt, in Europa kehrt die Religion zurück, dann lachen die nur. Denn diese Rückkehr der Religion ist wirklich ein europäisches Phänomen. Immer wieder ist sie totgesagt worden und selbst Dawkins u.a. werden sie nicht tot kriegen. In anderen Ländern oder in anderen Kulturen ist Religion immer ein Phänomen gewesen, was nie verloren gegangen ist. Es ist dann dort nicht nur ein intellektuelles Phänomen oder ein Phänomen der Auseinandersetzung, sondern es ist ein Lebensphänomen.

Ich will Ihnen nur ein witziges Beispiel zur Bagavadgita, dem berühmten heiligen Gedicht, dem berühmten heiligen Text des Hinduismus, sagen. Vor Kurzem hat eine Frau in Indien die Bagavadgita geheiratet, ein Buch geheiratet, was dort offenbar möglich ist. Das geht also ganz tief bis in den Alltag hinein. Und heute noch werden Rituale bei Hochzeiten, bei Begräbnissen verwendet. Das Ganze ist dort viel tiefer.

Wir haben hier einen Bruch durch die Aufklärung, wenn man so will, erlebt, einen Bruch, der jetzt möglicherweise dazu führt, dass zwei Diskurse wieder zusammengebracht werden können. Das scheint mir jetzt ein Zeichen sozusagen der letzten Jahre zu sein. Das wollen wir eben mit dem Verlag der Weltreligionen, auch so wie Habermas das ja auch im Gespräch mit Ratzinger gesagt hat, wir wollen diese beiden Diskurse zusammenführen und wollen nicht Religionstexte, Bekenntnisschriften sozusagen hinter der Aufklärung bringen, sondern wollen sie auf der Höhe der reflexiven Moderne bringen. Das ist das Ziel des Religionsverlags. Ich glaube, das ist ganz wichtig.
Riederer: Wird es im Verlag der Weltreligionen auch ein Buch über die neue Religion Atheismus geben? Der so genannte "neue Atheismus" äußert sich ja schon in einer Form, inklusive Missionierungsdrang, wie eine Religion. Herr Lütz hat das gerade "fundamentalistisch" genannt. Wird es so was geben?

Simm: Ja, das Spektrum ist sehr weit. Das haben wir bewusst so weit gezogen. Es wird im nächsten Programm ein Buch von Daniel Dennett erscheinen. Das ist so ein William-James-Nachfolger, ein amerikanischer Soziologe, der fragt, inwieweit Religion der Naturwissenschaft standhalten kann. Inwieweit kann sie naturwissenschaftlich erklärt werden? Religion ist ein menschliches Phänomen. Das ist unbestritten. Viele andere menschliche Phänomene werden naturwissenschaftlich untersucht, halten Stand, halten nicht Stand. Was ist die Religion? Wie steht die Religion dazu? Das ist also ein sehr religionskritisches Buch, aber wir würden niemals Bücher machen, die einen platten Atheismus verfolgen.

Riederer: Herr Lütz, Sie sprechen in Ihrem Buch auch von sogenannten "Plastikreligionen". Das ist, habe ich den Eindruck, so eine Art zusammen gemischte Ersatzreligion. So, wie Sie jetzt hier sitzen, denke ich, dass Sie beide dagegen auch anschreiben, gegen solche Plastikreligionen.

Lütz: Ja, wobei ich nicht böse auf die Plastikreligionen bin, sondern ich bin traurig, wenn ich erlebe, dass Menschen sich da so ein Potpourri zusammenkochen, das nachher in existenziellen Situationen eben nicht trägt. Ich bin ja Psychotherapeut, übrigens kein Kinder- und Jugendpsychiater, sondern Erwachsenenpsychiater, und da haben wir natürlich mit solchen existenziellen Krisensituationen zu tun. Ich glaube, wir brauchen wieder Substanz und nicht solche Plastikreligionen, wo ein Funke östlicher Weisheit mit einer Fülle westlichem Schwachsinn untrennbar verschweißt markttauglich angeboten wird, wie man das heute so in Esoterikregalen erlebt.

Was ich, um vielleicht auf diese Atheismusdebatte noch mal zurückzukommen, bedenklich finde: Der Dawkins war natürlich für mein Gott-Buch ideal, weil damit beides medienmäßig Thema war, Atheismus und auch wieder Gottesglaube. Aber ich fand dieses Buch inhaltlich erschreckend, weil jede Gegenposition bei Dawkins - ich habe es ganz gründlich gelesen - entweder lächerlich, böswillig oder geistesgestört ist. Der Ansatz von Dawkins selbst ist im Grunde so eng und wissenschaftstheoretisch wirklich Stand des 19. Jahrhunderts, dass das nicht diskursfähig ist. Dawkins ist nicht wirklich diskursfähig.

Was der Verlag der Weltreligionen versucht, ist, auf einer intellektuellen Ebene tatsächlich zwischen religiös-musikalischen und religiös-unmusikalischen Menschen einen auch respektvollen Diskurs hinzubekommen. Der kann auch humorvoll sein. Ich habe eine Diskussion mit verschiedenen, auch atheistischen Philosophen geführt, sehr sensibel - mit Herbert Schnädelbach zum Beispiel in Frankfurt, der inzwischen einen Aufsatz über "frommen Atheismus" geschrieben hat, der damals "Der Fluch des Christentums" in der ZEIT geschrieben hatte und jetzt sehr nachdenklich ist, sodass er zwar sagte, "ich kann nicht glauben", aber er hat eine Sensibilität und er muss aus der Matthäuspassion von Bach rausgehen, weil ihm die Tränen in die Augen kommen. Das, finde ich, sind Gespräche, die mich außerordentlich berührt haben, auch auf einem hohen Niveau. Ich glaube, wir brauchen - auch für die Zukunft unserer Gesellschaft - die Möglichkeit eines respektvollen Diskurses zwischen religiösen und nichtreligiösen Menschen.

Riederer: Ich hatte Sie in einem Vorgespräch gebeten, uns auch was mitzubringen, noch einen Buchtipp gegen Ende der Sendung zu geben, vielleicht auch, um sich ein bisschen noch besser zu orientieren in diesem großen Angebot von Büchern. Herr Simm, was haben Sie uns da mitgebracht.

Simm: Ich habe Ihnen etwas mitgebracht, was jetzt erscheint, was nicht ein eigentliches Religionsbuch ist. Es handelt sich um das Buch von Rolf Landua. Rolf Landua ist einer der Direktoren des CERN, des großen Forschungsinstituts in Genf. Diese Buch heißt "Am Rand der Dimensionen - Gespräche über die Physik am CERN" und es geht um eine wunderbare, klare Einführung in die Elementarteilchenphysik mit der Frage, dort wird das so genannte HIX-Teilchen gesucht, ob dieses nun das Gottteilchen ist, was man sozusagen vor dem Urknall noch situieren kann.

Lütz: Ich habe zu empfehlen das Buch von Arnold Angenendt "Toleranz und Gewalt - das Christentum zwischen Bibel und Schwert". Das ist für mich das eindrucksvollste theologische Buch, das ich seit 30 Jahren gelesen habe. Seit 30 Jahren warte ich darauf. Da sind all die Fragen, die sonst in Talk-Shows diskutiert werden, die ganzen Klischees über Inquisition, Galileo Galilei, Kreuzzüge, also die ganzen Klischees über Christentum mal auf dem heutigen Stand der Wissenschaft reduziert und richtig gestellt, dass die Römische Inquisition so viele Todesurteile hatte, wie Mao Tse-tung in 39 Minuten hat über die Klinge springen lassen, und das in 317 Jahren. Solche Fakten werden da einfach mal deutlich. Und es wird auch philosophisch deutlich gemacht, also wirklich ein brillantes Buch: "Toleranz und Gewalt - das Christentum zwischen Bibel und Schwert" von Arnold Angenendt, Verlag Aschendorf.

Riederer: Herr Simm, den Verlag haben wir bei Ihnen auch noch nicht.

Simm: Der ist ganz einfach. Der heißt Suhrkamp Verlag.

Riederer: Das war Lesart Spezial mit dem Thema Bücher über Religion, ein sehr interessantes, wie ich finde, viel zu kurzes Gespräch mit Hans-Joachim Simm vom Verlag der Weltreligionen und Manfred Lütz, Autor des Buches "Gott. Eine kleine Geschichte des Größten".


Buchtipp von Manfred Lütz:
Arnold Angenendt: Toleranz und Gewalt - das Christentum zwischen Bibel und Schwert, Verlag Aschendorf, Münster 2008

Buchtipp von Hans-Joachim Simm:
Rolf Landua: Am Rand der Dimensionen - Gespräche über die Physik am CERN, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main
Rolf Landua: Am Rande der Dimensionen. Gespräche mit Physikern des CERN.
Rolf Landua: Am Rande der Dimensionen. Gespräche mit Physikern des CERN.© edition unseld
Arnold Angenendt: Toleranz und Gewalt
Arnold Angenendt: Toleranz und Gewalt© Aschendorff