Golem-Ausstellung im Jüdischen Museum

Superheld oder Monster?

Golem-Statuen im Schaufenster eines Ladens im jüdischen Viertels in Prag.
Golem-Statuen im Schaufenster eines Ladens im jüdischen Viertels in Prag. © EPA / Filip Singer
Von Christiane Habermalz · 22.09.2016
Der Golem - das war die erste Vision von künstlicher Intelligenz, lange bevor es Roboter und Avatare gab. Und schon damals ging es um die menschliche Hybris und die Gefahr durch die Kreatur selbst. Das Jüdische Museum in Berlin spürt der Aktualität der Legende nach.
Man nehme einen Klumpen Lehm und die kabbalistische Zahlenmystik: die zehn Urziffern und die 22 hebräischen Buchstaben. Daraus forme man den Golem nach folgendem Rezept:
"Wenn du den Körper machst, nennst du die Gestalt
aleph mit ihren Buchstaben, wie ich es dir gezeigt
habe. Und wenn du die Eingeweide machst, kombiniere
den Buchstaben mem; und wenn du den Kopf machst,
kombiniere die Gestalt schin; und wenn du den Mund
machst, kombiniere den Buchstaben bet; für das
rechte Auge die Gestalt gimel, für das linke Auge..."
Die Formel stammt aus einer jüdischen Schriftensammlung aus dem 17. Jahrhundert. Eine solches "Golem-Rezept", auf einem Zettel notiert wie ein Kochrezept vom großen Kabbala-Gelehrten Gershom Scholem ist das kleinste gezeigte Objekt der Ausstellung im Jüdischen Museum. Das größte steht gleich am Eingang: eine über vier Meter hohe menschliche Figur aus leuchtenden Lampen, Drähten und Kabeln des tschechischen Künstlers Kristof Kintera: Der moderne Golem als Lichtgestalt, aber auch als menschengeschaffenes Technikmonster.

Programmtipp: Freitag, 23.9.2006, 14:15 Uhr - Wir sprechen über den Golem als Superhelden, als wandelbaren Protagonisten in Comic, Literatur und Musik mit Jonas Engelmann, Autor und Co-Verleger des Ventil-Verlags.

"Bedrohungspotenzial, was diesen Schöpfungen innewohnt"

Mit mehr als 250 Exponaten - darunter auch eigens für die Ausstellung angefertigte Kunstwerke - versucht sich das Jüdische Museum in Berlin dem Phänomen des Golem anzunähern - der faszinierenden jüdischen Legendenfigur, die bis heute die Fantasien beflügelt. Kuratorin Martina Lüdicke:
"Es geht eigentlich immer auch um dieses Bedrohungspotenzial, was diesen Schöpfungen innewohnt. Also um die Ambivalenz, dass das was wir schöpfen auch außer Kontrolle geraten kann und sich auch gegen uns richten kann. Damit wollen wir zeigen, dass die Ausstellung eine große Relevanz hat in der heutigen Zeit. Und dass wir dieses Thema viel präsenter haben als wir vielleicht erst mal annehmen."
Der Golem lebt, so lautet die Botschaft - und die Ausstellung beginnt bewusst in der Gegenwart - mit den Golem-Nachfahren unserer Zeit, Actionfiguren "Made in China" aus zahllosen Rollenspielen - und Fantasyfilmen; mit Computern, Gentechnik und Big Data. Und mit Donald Trump.
"Der Gedanke dahinter war eben, dass man sich einen Retter wünscht, so stellen das seine Anhänger ja dar, und immer mit dem Potenzial, außer Kontrolle zu geraten. Das Interessante fanden wir eigentlich dass das eine Assoziation war die wir hatten und die wir dann aber auf Twitter oder in politischen Kommentaren wiedergefunden haben."
Golems, das zeigt die Ausstellung auf vielen Ebenen, waren die ersten Visionen von künstlicher Intelligenz - lange bevor Computer, Roboter und Avatare auch nur am Horizont der Geschichte auftauchten. Und in der Legende vom Golem steckt eigentlich schon alles drin, was die Debatte auch heute prägt: Die Sehnsucht nach einem künstlich erschaffenen Menschen, der seinem Schöpfer nützlich ist - aber auch die menschliche Hybris und die Gefahr durch die Kreatur selbst. Dabei ging es den jüdischen Mystikern im Mittelalter eigentlich nur darum, Gott durch die Nachahmung des Schöpfungsaktes näher zu kommen, erläutert Co-Kratorin Emily Bilsky.

Der Golem als Diener und Helfer

"Es diente keinem Zweck. Es war ein Ritual, das den Mystikern nur dazu diente, dem Göttlichen möglichst nahe zu kommen. Es ging nur darum, den Golem zu erschaffen und ihn dann wieder zu zerstören. Das war der Ursprung. Später gab es dann die Geschichten von Golems, die für einen bestimmten Zweck geschaffen wurden, als Diener, oder um einer bedrängten jüdischen Gemeinde zu helfen."
Die bekannteste Golem-Legende spielt im Prag des 16. Jahrhundert. Der dortige Rabbi Judah Löw war ein bedeutender Philosoph und Kabbalist seiner Zeit - der Golem, den er geschaffen haben soll, sollte die Gemeinde vor den antisemitischen Anwürfen der Christen beschützen.
Das tat der Riese auch erfolgreich - doch am Ende lief er Amok und brannte das Ghetto nieder. Eine andere Version berichtet, dass die Frau des Rabbis den Golem verbotenerweise zum Wasserholen einsetzte, als sie zum Markt ging, überflutete der seelenlose Gehilfe Haus und Hof - eine Geschichte, die Goethe vermutlich zum seinem Gedicht "Der Zauberlehrling" inspirierte. Rabbi Löw und sein Geschöpf boten die Vorlage zu zahllosen Romanen und Horrorfilmen - allen voran der Stummfilm von Paul Wegener "Der Golem und wie er in die Welt kam" von 1920. Bis heute prägt er das Bild des Golem als erdigem Riesen mit roboterhaften Bewegungen und markanter Prinz-Eisenherzfrisur.

Der Golem als Zukunftsvision

In Wegeners Film wurden zum ersten Mal statt gemalter Hintergründe richtige Kulissen gebaut. Ein Highlight der Ausstellung sind die Original-Skizzenbücher von Hans Pelzig – in denen er für den Film eine Art expressionistische Traumstadt entwirft – oder, wie Wegener es formulierte, eine architektonische Paraphrase zum Thema Golem. Kuratorin Bilsky:
"So stellte er sich die Stadt Prag vor. Und die Formen der Häuser, die er baute, waren unglaublich. Expressionistisch und sehr organisch, man hatte das Gefühl im Inneren des menschlichen Körpers zu sein. Sie hatten also viel mit dem Thema der Geschichte zu tun."
Dem Thema "Verwandlung" ist ein eigener Raum gewidmet, hier geht es vor allem um das Golem-Motiv in der Kunst - als Metapher für kreatives Schaffen und Transformation von Materie. Kontrollverlust über das Monster und Doppelgänger sind weitere Motive der Ausstellung. Und schon ist man wieder mitten im Hier und Jetzt, bei Tanzrobotern und Big Data. Am Ende können die Besucher im Computerspiel Minecraft sogar ihre eigenen Golems kreieren. Die gelungene Ausstellung schließt mit dem Bühnenbild der britischen Theatergruppe 1927, die mit ihrer Golem-Inszenierung durch die ganze Welt gereist sind.
"Die haben sozusagen eine Zukunftsvision geschaffen, dass wir alle irgendwann unseren eigenen Golem im Ohr mit uns herumtragen, und der eben unseren Lebensentwurf bestimmt, unsere Kaufentscheidungen, unsere Gedanke kontrolliert werden durch den Golem, der in unserem Ohr ist."
Diesen Golem aber gibt es schon längst.

Die Programmdirektorin des Jüdischen Museums, Cilly Kugelmann über die Golem-Ausstellung:

Im Vorfeld der Ausstellung hatte das Jüdische Museum in Berlin eine Umfrage auf der Straße gestartet und die Leute nach ihrer Vorstellung von dem Golem gefragt. "Jeder hat das schon mal gehört, aber weiß überhaupt nicht, was sich dahinter verbirgt", sagt die Programmdirektorin des Jüdischen Museums, Cilly Kugelmann. Das Bild von dieser Figur stamme aus einem alten Stummfilm. "Trotzdem hat sich diese Figur eines Pappmache´Prinz Eisenherzes, der sehr groß ist und sehr plump, in dem visuellen Gedächtnis festgesetzt." Das Gespräch mit Cilly Kugelmann (7:40 min.) hören Sie hier:

"Golem" - Jüdisches Museum Berlin, 23. September 2016 bis 29. Januar 2017

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