Goethes erste Verlobte

Von Julia Bastian · 23.06.2008
Als Goethes erste Verlobte ging Anna Elisabeth Schönemann, genannt Lili, in die Literaturgeschichte ein. Die geistvolle und lebensfrohe Frankfurter Bankierstochter aus bestem Hause brachte Goethe in leidenschaftliche Unruhe. Doch die Liebe des Dichtergenies zu der schönen Frankfurterin wurde von ihrer Familie nicht gerne gesehen.
"Im holden Tal, auf schneebedeckten Höhen
War stets dein Bild mir nah:
Ich sah’s um mich in lichten Wolken wehen,
Im Herzen war mir’s da.
Empfinde hier, wie mit allmächt’gem Triebe
Ein Herz das andre zieht,
Und daß vergebens Liebe
Vor Liebe flieht."


Diese Zeilen schrieb Johann Wolfgang Goethe Lili Schönemann in ein Exemplar seines Stückes "Stella" - zu einem Zeitpunkt, als er längst von ihr getrennt und bereits in Weimar war. Sie war seine große Liebe - der Anlass für "leidenschaftliche Unruhe und innerliche Entzweiung", wie er einmal sagte, und für nachdenkliche Rückblicke im Alter. Seine Frauengestalten Stella und Dorothea schuf er nach ihrem Vorbild, in seinen "Lili- Gedichten" verarbeitete er die aufreibende Romanze mit seiner Verlobten.

Anna Elisabeth wurde als Tochter eines vermögenden Bankiers am 23. Juni 1758 in Frankfurt am Main geboren. Ihre Eltern ließen sie nicht nur in den musischen Fächern unterrichten, sondern auch in Geschichte und Geografie. Früh verstand sie es, sich auf dem gesellschaftlichen Parkett ihrer Familie zu bewegen.

Im Januar 1775 lernte die Sechzehnjährige den jungen Goethe bei einem Konzert im Hause ihrer Eltern kennen. Sie fassten enge Zuneigung zueinander, Goethe erinnerte sich später in "Dichtung und Wahrheit":

"Ein unbezwingliches Verlangen war eingetreten, ich konnte nicht ohne sie, sie nicht ohne mich sein."

Es folgte ein stürmisches Jahr voller Höhen und Tiefen. Lili wirkte mit einer starken Anziehungskraft auf den bereits durch die Veröffentlichungen des "Werther" und des "Götz von Berlichingen" berühmten Goethe - ein lebensfrohes blondes Mädchen mit Talent und Charakter. Unbeschwert heiter waren die Stunden, die Goethe mit Lili bei den Verwandten ihrer Mutter und im geselligen Kreis guter Freunde im benachbarten Offenbach verbrachte.
Doch die Liebe des Dichtergenies zu der schönen Frankfurterin wurde von ihrer Familie nicht gerne gesehen. Von Lili erwartete man, dass sie sich einen finanzstarken Geschäftsmann zum Gatten nehme. Und Goethe selbst fühlte sich in den profitorientierten Bankierskreisen unwohl und beengt. Um eine offizielle Verbindung der Liebenden stand es nicht gut, bis schließlich eine Hausfreundin der Schönemanns vermittelte und die Einwilligung für eine Verlobung erhielt.

"'Gebt euch die Hände!' rief sie, mit ihrem pathetisch gebieterischen Wesen. Ich stand gegen Lilli über und reichte meine Hand dar, sie legte die ihre, zwar nicht zaudernd, aber doch langsam, hinein, nach einem tiefen Atemholen fielen wir einander lebhaft bewegt in die Arme."

Goethe jedoch, auch von Unsicherheit und Zweifel bedrängt, entschloss sich im Mai 1775 zu einer Reise in die Schweiz, um seine Gefühle zu prüfen. Zwar konnte er seine Gedanken nicht von Lili lösen, doch zurück in Frankfurt sah er sich erneut vor Probleme gestellt:

"Einige Monate gingen hin in dieser unseligsten aller Lagen; alle Umgebungen hatten sich gegen diese Verbindung gestimmt; in Ihr allein glaubt’ ich, wußt’ ich, lag eine Kraft die das alles überwältigt hätte."

Lili war tatsächlich bereit, für Goethe ihre damaligen Lebensverhältnisse aufzugeben. Er aber, unfähig sich zu binden, entschloss sich "abermals zur Flucht", trennte sich von ihr und folgte im Oktober 1775 der Einladung des Herzogs Carl August von Sachsen-Weimar. Lili blieb in Frankfurt zurück.

Drei Jahre später heiratete sie Bernhardt Friedrich von Türckheim, Sohn eines angesehenen Straßburger Bankiers, den sie liebevoll den "Freund ihres Herzens" nannte. Ihm stand sie in den Wirren der Französischen Revolution treu zur Seite. Türckheim, der 1792 zum Bürgermeister von Straßburg ernannt worden war, konnte rechtzeitig vor seiner Verhaftung fliehen und Lili, als Bäuerin verkleidet, sich und ihre Kinder über die Grenze nach Heidelberg retten.

Nach einer langen, entbehrungsreichen Zeit kehrte sie nach Straßburg zurück. Sie starb am 6. Mai 1817 mit 59 Jahren. Im Alter erinnerte sich Goethe:

"Sie war in der Tat die Erste, die ich tief und wahrhaft liebte. Auch kann ich sagen, daß sie die Letzte gewesen."