Glücksspielstaatsvertrag in Niedersachsen

Zocken um die berufliche Existenz

Spielautomaten stehen am 04.09.2014 in einer gewerblichen Spielhalle in Garbsen (Niedersachsen). Vielen Spielhallen in Niedersachsen droht aus Sicht der Betreiber wegen verschärfter Regeln das Aus. Foto: Ole Spata/dpa (zu lni "Verband warnt vor Spielhallensterben in Niedersachsen") | Verwendung weltweit
Prinzip Zufall: Spielhallen in Niedersachen werden per Losverfahren geschlossen. © dpa
Von Hilde Weeg · 29.08.2017
Seit Juli müssen tausende Spielhallen in Deutschland schließen. In Niedersachsen entscheidet das Los, wen es trifft. Was zu einer Klagewelle der Betreiber geführt hat.
Sandra Roddewig schüttelt den Kopf und lächelt. Die Juristin des Wirtschaftsministeriums in Hannover ist schon seit Jahren mit der Umsetzung des Glücksspielstaatsvertrags beschäftigt und kennt ihre Pappenheimer, die Spielhallenbetreiber. Nein, die Klagewelle vor den Verwaltungsgerichten im Land, von Stade bis Göttingen und Osnabrück bis Braunschweig, habe sie nicht überrascht, im Gegenteil: "weil wir nicht davon ausgehen können, dass irgendein Verfahren anerkannt wird. Es ist doch völlig klar, dass es um eine berufliche Existenz geht. Das sehen wir auch - und deshalb ist klar, dass der betroffene Betreiber, der einen Bescheid bekommt, auch klagen wird. Deswegen sind wir überhaupt nicht überrascht. Egal, welches Verfahren sie wählen - es werden anzahlmäßig genauso viele Hallen schließen müssen."
Nämlich 950 Spielhallen, genau die Hälfte derer, die bis zum Auslaufen der Übergangsfrist am 30.6.2017 in Niedersachsen in Betrieb waren. Was den Streit zuspitzt, sind die hiesigen Ausführungsbestimmungen. Mindestens 100 Meter Luftlinie Abstand muss gegeben sein zwischen zwei Hallen. Pro Betreiber nur noch eine Konzession, keine Ausnahmen. Vor allem aber: Wen die 100 Meter Regel trifft oder welche Halle bei Mehrfachbetrieb, entscheidet das Los. Sachkriterien werden nicht berücksichtigt, anders als in allen anderen Bundesländern. Die Betreiber und ihre Anwälte treibt das vor die Gerichte.
Jeder führt ein Gesetz anders aus. Das Losverfahren ist ein anerkanntes Mittel, wenn ein Überangebot da ist. Zum Beispiel Weihnachts- und Jahrmärkte, auch im Schulbereich, wenn zu viele Kinder auf dieselbe Schule wollen. Dieses Verfahren ist im Spielhallenbereich neu - aber ein bewährtes Verfahren in der Juristerei. Wir haben anerkannt, dass sind Spielhallen, die seit Jahren auf dem Markt sind und nur das Pech haben, zu nah an einem Konkurrenten zu sein.

Das Prinzip Zufall fällt auf die Betreiber zurück

Das Prinzip Zufall der Branche fällt damit auf sie selbst zurück. Die Betreiber wollen aber nicht um die eigene Existenz zocken. Die Frage, was nun für wen rechtens und zumutbar ist, beschäftigt deshalb die Gerichte, 150 Verfahren liegen allein beim Oberverwaltungsgericht. Es sind so viele Verfahren, weil pro Entscheidung gleich mehrere Verfahren ausgelöst werden können: gegen das eigene Los und weil man glaubt, dass einem die Härte einer Schließung nicht zuzumuten ist.
Gegen den Losentscheid für den andern. Oder weil man weitermachen will, bis das Gericht entschieden hat. Der zweite Grund ist: Geld. Ein Geldspielautomat ist eine Art Gelderntemaschine: Wenig Aufwand, hoher Ertrag. Durchschnittseinnahmen pro Automat pro Jahr: 20.000 Euro, macht 240.000 Euro pro Konzession. Davon konnte ein Betreiber bisher gleich mehrere besitzen, also etwa 24 oder 36 Automaten aufstellen. Bingo! So ein Geschäft gibt keiner kampflos auf.
Der Gewerberechtler und Berater des niedersächsischen Automatenverbandes, Prof. Florian Heinze, kritisiert vor allem die Schließungen und Stilllegungen, bevor die Gerichte entschieden haben: "Man hätte schlicht abwarten können, bis das OVG das klärt. Kann doch kein Schaden sein. Hätte man insbesondere der Justiz eine hohe Zahl von Eilverfahren ersparen können."
Denn außer Gerichten und Betreibern sorgt das Gesetz auch in den kommunalen Verwaltungen für eine Menge Ärger und Arbeit. Beispiel Hameln. Im Gewerbegebiet am Stadtrand steht zwischen Möbelhäusern und Supermärkten auch die Spielothek des bundesweit größten Spielhallenbetreibers Gauselmann. Wer reingeht, kann Raum und Zeit vergessen: die Räume sind fensterlos und warm beleuchtet. Im Raum stehen zwölf Automaten, immer zu zweit mit bequemen Sesseln davor.
Um 10 Uhr vormittags daddelt hier nur ein junger Typ mit Baseballmütze, sein Blick klebt am Monitor vor ihm: Dort regnet es auf Knopfdruck Zitronen, Trauben oder Orange. Wenn mehrere von einer Sorte in einer Reihe landen, gibt’s Punkte - also Geld. Er setzt Centbeträge, die sich schnell aufaddieren, bis zu maximal 80 Euro pro Stunde, dann ist gesetzlich geregelt Pause, zur Sicherheit. Alkohol gibt es nicht. Abgesehen von den Daddelgeräuschen und der Fahrstuhlmusik ist es ruhig hier - und das liegt nicht nur an der Tageszeit.

Verluste von 60 bis 80.000 Euro pro Spielhalle im Jahr

Ja, es kommen weniger Gäste. Die haben das mitbekommen und weichen aus, auf andere Spielotheken oder aufs Internet, ich weiß es nicht. Sagt Alexandra Naß, eine der elf Beschäftigten. Das, was die Gäste mitbekommen haben, ist die Schließung der beiden andern Räume. Von drei Räumen wird nur noch einer bespielt, von 33 Spielhallen in ganz Hameln sollen nur 16 bleiben dürfen. Was heißt das für die Beschäftigten?
"Wir sind natürlich definitiv zu viele Mitarbeiter hier für eine Konzession." Noch hat niemand eine Kündigung erhalten. In einem der stillgelegten Räume stehen Gauselmann-Pressesprecher Mario Hoffmeister und Filialleiter Jens Barthelmes beieinander. Barthelmes schüttelt den Kopf: Noch hoffe man auf positive Entscheidungen der Gerichte, wie Hoffmeister erklärt: "Niedersachsen hat mit Abstand die schlechteste Regelung: Einmal, dass man dieses absurde Losverfahren eingeführt hat, wo ich sagen kann, der Staat sollte nicht würfeln."
Und weil das Land keinen Härtefall anerkennt. Erste Entscheidungen zeigen unterschiedliche Bewertungen; Rechtssicherheit gibt es noch nicht. Die Folge: mal dürfen Betriebe weiterlaufen, mal wird geschlossen. Bis zur endgültigen Klärung können noch Monate vergehen. Da muss man jetzt abwarten, wie die nächsten Instanzen – in dem Fall das OVG in Lüneburg entscheidet, und wie es danach weitergeht.
Für die Stadtkasse in Hameln könnte die Schließung bis zu eine Million Euro kosten - die Einnahmen aus der Vergnügungssteuer. Janine Herrmann, Sprecherin der Stadt: "Man kann schon sagen, wir haben pro Spielhalle einen Verlust von 60-80.000 Euro im Jahr. Aber wir gehen davon aus, dass es in der Peripherie von Hameln zu neuen Beantragungen kommt."
Also erst schließen und dann ein paar Meter weiter wieder zulassen? Abgesehen vom Aufwand macht, das auch mit Blick auf das Ziel des Gesetzes, keinen Sinn, das Spiel- und Wettsucht verhindern soll. In Hannover waren bis zu diesem Sommer 146 Spielhallen in Betrieb. Die Zahl der Automaten und die Einnahmen hatten sich in den letzten zehn Jahren verzehnfacht, von 1,7 auf 15,6 Millionen Euro. Jetzt laufen 130 Klageverfahren gegen die Stadt.
Einnahmen aus Spielhallen sind für viele Kommunen wichtig geworden. Über den Verlust und das Gesetz ärgert sich offen der Erste Stadtrat von Barsinghausen, Thomas Wolf. Zum Gebiet gehören zwei große Autohöfe an der A7 mit großen Spielhallenkomplexen. Er schreibt in einer Mail: "Deswegen möchte ich auch klar kritisieren, dass der Gesetzgeber die Folgen seiner Regelung offensichtlich nicht bedacht hat. Rechnet man die Ertragseinbußen hoch, kommen immense Summen zustande, die den deutschen Städten und Gemeinden fehlen. Niemand wird die Ziele zum Schutz der Spieler und zur Vermeidung von Spielsucht in Frage stellen. Wenn ich aber angesichts der Verdrängung des tatsächlichen Spiels aus den Spielhallen ins Internet dieses Ziel nicht wirklich erreichen kann, wird die finanzielle Belastung der Kommunen umso unverhältnismäßiger."

Verdrängung in den nicht geregelten Sektor im Internet

Wolf benennt das Hauptproblem, das nicht nur das Landesgesetz, sondern den zugrunde liegenden Glücksspielstaatsvertrag betrifft: Es schützt die Spielsüchtigen und Gefährdeten nicht effektiver, sondern verstärkt die Verdrängung aus einem reglementierten Bereich in den nicht geregelten Sektor im Internet. Das ist auch der Hauptkritikpunkt der Opposition im niedersächsischen Landtag.
Der Fraktionsvorsitzende Christian Dürr, FDP: "Die Spieler werden nun abgedrängt, wo niemand zuschaut, gespielt wird leider trotzdem. Hier wird das Spiel entprofessionalisiert ... Es wäre mir lieber gewesen, wenn Niedersachsen den Weg der anderen Bundesländer gegangen wäre. Mein Eindruck ist, dass fast alle erkannt haben, dass der Staatsvertrag so nicht funktioniert. So wird nicht reguliert, noch wird besteuert, noch Spielerschutz betrieben."
Das Hessische Innenministerium hatte den Staatsvertrag mit Blick auf die Folgen in den Jahren 2013-15 bewerten lassen. Im Oktober 2015, noch vor der Verabschiedung des Landesgesetzes in Niedersachsen, hatte man allen Ministerpräsidenten die Ergebnisse vorgelegt. Die Bilanz ist vernichtend mit Blick auf das Ziel des Gesetzes: Als Fazit lässt sich feststellen, dass der Ansatz von einer Begrenzung des Spielangebots, entgegen den Zielen des GlüStV, sehr wohl zu einer Ausbreitung von unerlaubten Glücksspielen in Schwarzmärkten geführt hat. (...) Die aktuelle Lage und die Entwicklung des deutschen Glücksspielmarktes seit Inkrafttreten des GlüStV 2012 lassen den Schluss zu, dass diese Ziele des GlüStV verfehlt wurden.
Das Marktvolumen der Online-Angebote ist allein von 2013 bis 2015 um 46% gewachsen, der deutsche Markt sei für rund 200 Anbieter zum Eldorado geworden. Sogar die EU-Kommission sieht den Spielerschutz in Deutschland als nicht ausreichend gewährleistet an und mahnt Nachbesserungen an: Online-Casino und Online-Poker müssten einbezogen, gefährdete Spieler in einer zentralen Sperrdatei registriert- und eine Regulierungs- und Aufsichtsbehörde für alle Online-Glücksspiele eingerichtet werden.
Davon aber ist man auf Bundes- und Landesebene weit entfernt. In der Anwendung eines schlechten Gesetzes ist Niedersachsen besonders konsequent, Nachbesserungen kommen im plötzlich aufbrechenden Wahlkampf für den Landtag vollends zum Erliegen. Die Folgen müssen Kommunen und Betreiber austragen. Und die Beschäftigten. Die Kunden weniger. Was der Hamelner Filialleiter Jens Barthelmes von seinen Stammgästen erfährt:
Meine Gäste fahren weiter nach Nordrhein-Westfalen, das ist nur 10km entfernt, da gibt es noch durchaus Mehrfachkonzessionen, und einige Gäste gehen ins Internetspiel, sicherlich werden auch illegale Spielstätten entstehen und ich denke, dass auch einige Gäste dorthin abwandern werden.
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