Glücksmomente mit Musik

Das Geheimnis eines Hits

06:50 Minuten
Eine Frau steht vor einem Zug und hört sichtlich glücklich Musik über Kopfhörer.
Musik macht glücklich. Das weiß jeder. Aber warum genau, das erforschen Wissenschaftler in Leipzig. © Unsplash/Daniela Mota
Von Sven Kochale · 07.01.2021
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Stimme, Melodie und Beat – für einen guten Song muss vieles zusammenkommen. Doch was macht einen Titel zum Ohrwurm? Forscher haben einen überraschenden Hit-Faktor gefunden.
Es sind Charts-Hits wie der Beatles-Klassiker "Ob-La-Di, Ob-La-Da", die die Wissenschaftler aus Leipzig untersucht haben. Und sie waren dabei nicht zimperlich. Sie haben nämlich aus über 700 Popsongs der US-Billboard-Charts das Wichtigste entfernt. Die Melodie, den Text, den Gesang.
Übrig geblieben sind nur Akkorde, erklärt Stefan Kölsch. Im Hintergrund laufe zwar ein Beat, damit sich das Ganze wie Musik anhöre. "Aber es ist keine Melodie mehr dabei und der der Rhythmus ist relativ monoton."

Unbewusst machen wir Vorhersagen

Dadurch waren die Chart-Hits nicht mehr zu erkennen. Gleichzeitig wussten die Forscher aber, welcher Akkord als nächstes kommen wird. Denn genau diese Abfolge hat dabei geholfen, einen Song zum Hit zu machen.
Die Testpersonen hatten dieses Wissen nicht. Dennoch entstanden in ihrem Gehirn konkrete Vorstellungen vom nächsten Ton oder Akkord, sagt der Musikpsychologe. Denn unbewusst machen wir eine Vorhersage, welche Ton als nächstes kommt. Oft sei unser Gehirn dabei sicher, dass diese Vorhersage eintrifft.

Musikalisches Spiel mit Überraschungen

Doch es gibt auch den umgekehrten Fall. "Wenn wir dann gebeten werden, einen Ton zu summen, der kommen könnte, dann können wir zwar einen passenden Ton summen", so Kölsch. Doch die Unsicherheit bleibe, das Gehirn ist kurz verwirrt.
Genau dieses Spiel mit Erwartung und Überraschung ist für einen Hit entscheidend. Die Forscher konnten in ihren Experimenten zeigen, dass wir dabei für einen unerwarteten Ton oder Akkord nur dann offen sind, wenn wir eine stabile musikalische Basis haben. "Also dann, wenn das Gehirn sicher ist, welcher Ton als nächstes kommt."
Dieses Musikstück werde dann als interessant empfunden.

Eingängige Melodien sorgen für Wohlgefallen

Ganz anders sehe es aus, wenn die musikalische Sicherheit fehle. Mit diesem Prinzip arbeitet zum Beispiel "Goodbye Yellow Brick Road" von Elton John. Der Titel erschien auf dem gleichnamigen Erfolgsalbum, das sich millionenfach verkaufte.
Die eingängige Melodie sorgt zunächst für viel Wohlgefallen beim Hörer und kann es sich deshalb leisten, plötzlich umzuschwenken. "Das ist zum Beispiel eine Passage, die aus einer anderen Tonart ist", sagt Kölsch. Von der werde man beim Hören zunächst überrascht.
Allerdings gehe das nur ein paar Takte so, bis der Song in die Ursprungstonart zurückkehrt. Der Wechsel sei deshalb nicht verstörend, sondern werde als überraschend und spannend wahrgenommen.

Das Gehirn als "Spaßmotor"

Am Computer beobachteten die Wissenschaftler, welche Gehirnbereiche bei den Versuchspersonen aktiviert wurden und wie diese reagierten. Eine erhöhte Aktivität war im "Nucleus accumbens" zu erkennen. Dieser Teil des Gehirns wägt ab, ob wir ein Glücksgefühl erwarten dürfen.
Allerdings sprang dieser Hirnbereich nur bei jenen Testpersonen an, die besonders gespannt waren und wissen wollten, wie die Musik weitergeht.
Für Forscher Kölsch belegt das, dass musikalische Vorhersagen nichts rationales sind: "Tief im Gehirn wird eine Reihe von Emotionsstrukturen aktiv, wenn die richtige Mischung von Unsicherheit und Überraschung gefunden wird."
Dazu komme eine Struktur im Gehirn, die der Musikpsychologe "Spaßmotor" nennt. Er meint damit, dass wir wissen wollen, wie ein Titel weitergeht. So, wie bei einem spannenden Buch oder Film.

Altes Wissen im Spiegel der Wissenschaft

Die Versuche zeigen, dass dieses Prinzip auch in der Musik funktioniert. Komponisten wendeten es seit Jahrhunderten mehr oder weniger bewusst an, sagt der Neurowissenschaftler. Die besten Songschreiber hätten genau die richtige Mischung gefunden zwischen Unsicherheit und Überraschung: Ob Mozart in der Klassik oder Elton John in der Popmusik.
Es kommt also auf das richtige Timing an, um das Genusszentrum unseres Gehirns zu erreichen.
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