Glück im Unglück im Glück

Rezensiert von Pieke Biermann · 08.09.2005
Ram Mohammed Thomas wird in der Altkleidertonne der katholischen Kirche St. Mary in Delhi gefunden und dieser Beginn seines Lebens ist kennzeichnend für seinen weiteren Verlauf. Vikap Swarup schildert in "Rupien! Rupien!" das bewegte Leben eines vom Schicksal Gebeutelten, der doch immer wieder aufsteht und sein Glück sucht.
Glück im Unglück im Glück. In der Altkleidertonne der katholischen Kirche St. Mary in Delhi landet ein Neugeborener. Er kommt ins angegliederte Waisenhaus, aber zwei Jahre lang will ihn niemand haben. Dann endlich adoptiert ihn Dominic Thomas, der Gärtner der Pfarrei, "damit das Leben seiner Frau ausgefüllt sei". Nur: Philomenas Leben ist längst vom Damenschneider des Viertels ausgefüllt, weshalb sie den Gatten sitzen lässt, samt Baby. Und er es zu Father Timothy schleppt, samt Wiege.

Der nennt es Joseph Michael Thomas und wird die ersten Lebensjahre sein Vater. Der Name allerdings hält nur sechs Tage, dann kommt das "All-Glauben-Komitee" – ein Moslem und ein Hindu. Der an sich dazugehörige Sikh ist verhindert. Die religionsübergreifende Mission will selbstverständlich nur das Beste für Kirche und Kind, also nicht, dass "der Pöbel" die Kirche niederbrennt, weil die ein Hindukind getauft hat. Oder einen kleinen Moslem.

So kommt der Held von Vikas Swarups Roman "Rupien! Rupien!" zu seinem grotesken Namen: Ram Mohammad Thomas. Ram wie der Hauptgott der Hindus, Mohammad wie der Prophet Allahs, Thomas wie sein irdischer Fehlvater. Nur gut, "dass Mr. Singh an diesem Tag aufgehalten wurde." Sonst hätte er vier Namen.

Ram Mohammed Thomas' Leben wird eine Kette aus Glück und Unglück, und immer dringt das eine ins jeweils andere ein, wenn es allzu kitschig zu werden droht oder allzu utopisch oder allzu dystopisch.

Man weiß nicht, was irrwitziger ist - soviel Massel oder soviel Grausamkeit, soviel ohnmächtiges Leid, schreiende Ungerechtigkeit, herzzerreißende Gewalt, Tod. Er wird gefoltert, bekommt fast die Augen ausgestochen, ein Freund wird vergewaltigt, ein anderer stirbt den furchtbaren Tollwuttod, die Kindheitsfreundin wird vom Vater angefallen, die Geliebte fast umgebracht. Ihm wird das mühsam erarbeitete Geld gestohlen. Er stiehlt selbst und bringt jemanden um und geht doch durch sein achtzehnjähriges Leben wie eine liebenswerte Unschuld vom Slum. Ein Forrest Gump, der schreien kann wie Oskar Matzerath und über dessen "Kopf stets eine Monsunwolke schwebt".

Am Ende, also am Anfang des Romans, der dieses Leben in chronologisch mäandernden Rückblenden erzählt, ist er der erste und letzte Gewinner der neuen Super-TV-Show "Wer wird Milliardär?" Er gewinnt die Milliarde, aber damit ist die Produktionsfirma pleite und hetzt ihm die folternde Polizei auf den Hals. Im Gefängnis findet er eine Rechtsanwältin. Und alles wird gut.

Die Kapitel sind nach den zwölf Fragen der Milliardärs-Show sortiert, und wer diszipliniert genug ist, nicht jeweils die Kapitel-Enden zuerst zu lesen, kann freudig miträtseln: Welches Detail wird diesmal zur Frage? Es gibt nämlich für jede Antwort, die dieser angeblich ungebildete, arme Waise richtig beantwortet, eine plausible Erklärung. Er hat alles am eigenen Leib erfahren. Was für ein Trost: Man kann Milliardär werden mit lauter zufällig im Überlebenskampf aufgeschnappten Spezialkenntnissen.

"Rupien! Rupien!" - der im Original "Q & A" heißt, Questions and Answers, kurz: Quiz - ist ein Großstadtroman, ein Entwicklungsroman, ein Roman über Freundschaft, Anstand, Liebe. Der einem ganz leicht und nebenbei kostbare Lektionen über Leben und Sterben in der größten Demokratie der Welt mitliefert, über Indiens Kulturen und (Aber-)Glauben, den dritten indisch-pakistanischen Krieg von 1971, den größten Slum Asiens in Mumbai und das Taj Mahal, australisches Englisch, Spione, Auftragskiller und Bollywood. Und einen mit einem Hollywood-Märchen-Ende belohnt. Dort wird er auch verfilmt werden.


Pieke Biermann!
Roman. Deutsch von Bernhard Robben
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2005
330 Seiten, 19,90 Euro