Glotz kritisiert Schröders EU-Politik

Moderation: Birgit Kolkmann |
Nach Ansicht von Peter Glotz (SPD), Professor für Medien und Kommunikationsmanagement und ehemaliges Mitglied im EU-Verfassungskonvent, ist Bundeskanzler Schröder mitverantwortlich für das Scheitern des EU-Gipfels. Der britische Premier Blair habe Recht gehabt mit seiner Kritik, dass fast 50 Prozent des Haushalts für Agrarmittel ausgegeben würden, sagte Glotz.
Birgit Kolkmann: Na dann, good luck, sagte Polens Ministerpräsident Belka von Warschau aus an die Adresse Tony Blairs. Das war nicht ohne Ironie gemeint, nach dem grandios gescheiterten Gipfeltreffen von Brüssel. Ganz zuletzt hatten sich noch die zehn neuen Mitglieder unter Führung Polens in die Bresche geworfen und angeboten, auf einen Teil der Finanzierungshilfen zu verzichten. Retten konnten sie damit einen Kompromiss über die zukünftige EU auch nicht. Nun wird allenthalben die Krise beschworen, nachdem schon der Ratifizierungsprozess der Verfassung ausgesetzt ist. Steht Europa vor der Spaltung? Mitglied im EU-Verfassungskonvent war der SPD Politiker und Medienprofessor Peter Glotz, mit ihm sind wir jetzt verbunden. Einen schönen Guten Morgen in Deutschlandradio Kultur.

Peter Glotz: Guten Morgen.

Kolkmann: Herr Glotz, sehen Sie die Zukunft Europas nun auch sehr düster?

Glotz: Es ist zweifellos die ernsteste Krise, die wir seit langem haben. Das liegt insbesondere an der gescheiterten Verfassung, weil die Prozeduren, die notwendig sind, um eine so große Zahl von Mitgliedern zu integrieren, nun eben abgelehnt worden sind oder jetzt nicht ratifiziert werden und das Dokument, das wir da produziert haben, vermutlich tot ist. Aber auch die Haushaltsentscheidung zeigt natürlich, dass die Situation psychologisch zwischen den Staaten sehr festgefahren ist.

Kolkmann: Stehen wir nun tatsächlich vor der Entscheidung: Quo vadis Wirtschaftsgemeinschaft, Freihandelszone oder politische Union?

Glotz: Ich fürchte, dass das zuerst einmal so ist. So wie der Status Quo ist, wird daraus kein politisches Europa, aber nun muss man abwarten, ob es im Lauf des nächsten Jahres nicht neue Initiativen gibt, von denen, die wirklich politisch vertiefen wollen. Der Vorschlag von Villepin, eine deutsch-französische Union in den Bereichen Verteidigungs-, Sicherheits- und Sozialpolitik zu konstituieren, ist ja schon einmal eine erste Idee. Die ist nicht ganz neu, aber die kann man ja weiterentwickeln, da kann man auch andere einbeziehen. Ich will jetzt nicht Apokalypse machen, aber die Gefahr, dass das Ganze zu einer Freihandelszone verläppert, ist jedenfalls nicht von der Hand zu weisen.

Kolkmann: Es gibt ja Europaexperten, die sagen, erst dann wird sich wirklich etwas bewegen, jetzt in der Krise, wenn neue Akteure auf dem politischen Parkett erscheinen. Also, wenn Tony Blair nicht mehr Premier in England ist, wenn Gerhard Schröder nicht mehr Bundeskanzler und Jacques Chirac nicht mehr Präsident von Frankreich ist. Sehen Sie das ähnlich?

Glotz: Natürlich haben sich die Akteure festgefahren. Nehmen Sie mal den Haushalt. Da hat Blair im Prinzip Recht. 50 Prozent des Haushaltes der EU geht für Agrarmittel hinaus. Das heißt, wir subventionieren jede Kuh mit 70.000 Euro oder so was. Das ist völlig absurd. Und dass das so ist, hängt nun an dem engen aneinander klammern zwischen dem Bundeskanzler und dem französischen Präsident. Da war früher Deutschland gelegentlich in der Lage, zwischen den Franzosen und den Briten zu vermitteln. Das ist Schröder jetzt nicht. Insofern spricht einiges dafür, dass unter Umständen, wenn George Brown in Großbritannien regiert und wenn es auch anderswo Regierungswechsel gibt, dass sich da was auflockern kann. Allerdings werden strukturelle Probleme dadurch nicht weggewischt, zum Beispiel das strukturelle Problem, dass die Osteuropäer eigentlich, oder viele Osteuropäer eigentlich keine Vertiefung wollen, weil sie ja ewig an Moskau hingen und nun nicht an Brüssel hängen wollen.

Kolkmann: Nun haben aber gerade die zehn neuen Mitglieder in Brüssel gezeigt, dass sie noch mal versucht haben, obwohl sie ja selbst eigentlich die Ärmsten sind, noch auf etwas zu verzichten, gerade um die politische Union zu retten.

Glotz: Na ja, um den Haushalt zu retten, an diesem Punkt. Ob sie damit die politische Union gerettet hätten, das ist eine andere Frage. Da geht es ja nun eher um die Frage der doppelt Mehrheit von Bevölkerung, die wirklich die Möglichkeit gäbe, dass man 80 Prozent der Entscheidungen durchbringt und nicht nur 20, wie jetzt. Und es geht um die Parlamentarisierung, das heißt also, um die stärkere Rolle des Europäischen Parlamentes und um die Mitentscheidung zwischen Rat und Parlament. Davon war ja beim Haushaltskompromiss nicht die Rede. Trotzdem finde ich diese Aktion der zehn neuen Länder bemerkenswert.

Kolkmann: Es gibt ja auch einige politische Beobachter, unter anderem Wolfgang Schäuble bei der Union, die sagen, in dieser Krise liegt auch durchaus eine Chance, was den Haushalt - und das ist ja ein sehr wichtiger Teil - angeht - wahrscheinlich erst mit einer möglichen Einigung im nächsten Jahr unter österreichischer Präsidentschaft. Also wenig Erwartungen an die Ratspräsidentschaft der Briten jetzt ab Juli?

Glotz: Das kann ich nicht beurteilen. Wir hatten häufiger schon mal so eine Situation, wo wir sagten, "die übernächste Ratspräsidentschaft", da muss man auch abwarten, welchen Ehrgeiz Blair entwickelt. Aber er ist natürlich ein Beteiligter und insofern spricht manches dafür, dass er als Beteiligter die Kompromissvorschläge nicht machen kann. Ich bedauere nur den armen Jean-Claude Juncker, der sich da zu Tode vermittelt und nicht zum Ergebnis kommt.

Kolkmann: Nun geht es auch um die Erweiterung der Europäischen Union, auch Günter Verheugen, der als Erweiterungskommissar dieses sehr stark vorangetrieben hat, rudert nun ein bisschen zurück, und sagt, das muss man alles ein bisschen langsamer machen, vor allem auch im Hinblick auf die Türkei. Ist das tatsächlich etwas, was die Menschen und die Union als solche überfordert hat?

Glotz: Ja, ganz eindeutig. Ich meine, die Osterweiterung hat bei den Menschen ja nicht negativ gewirkt, weil sie die Gefahr mit sich bringt, dass ein politisches Europa nicht entsteht. Das ist für die Mehrheit der Menschen nicht so wichtig. Die haben halt Angst vor - wie sich Herr Lafontaine ausdrückt - "Fremdarbeitern". Ich drücke mich so nicht aus. Also wir haben halt Angst, zum Teil unberechtigte Angst zum Teil berechtigte Angst, vor Billiglohnkonkurrenz, also zum Beispiel vor dieser Dienstleistungsrichtlinie der EU, die der Bundeskanzler und der französische Präsident ja blockiert haben. Aber ganz besonders Angst haben wir vor der Türkei. Das ist klar und in dieser Angst steckt auch ein rationaler Kern. Das ist ein sehr großes Land und nicht, wie die meisten der zehn jetzt aufgenommenen Länder, ein kleineres Land und es ist ein Land mit einer inneren politischen Struktur, die doch eben ganz anders ist, als die der europäischen Demokratie.

Kolkmann: Gibt es da aus Ihrer Sicht Möglichkeiten, Chancen, die Bürger in Europa doch mitzunehmen auf diesem Weg?

Glotz: Also ich würde diese Chance nicht haben wollen. Ich war immer gegen die Aufnahme der Türkei, ganz einfach deshalb, weil je größer der Laden wird, desto mehr verläppert er und ich verspreche Ihnen, wenn sie die Türkei aufnehmen, müssen Sie übermorgen die Ukraine aufnehmen und dann haben Sie kein Europa mehr, sondern eben eine Freihandelszone. Das hat überhaupt mit den Türken nichts zu tun. Das hat zu tun mit dem Problem der Überdehnung eines politischen Bundes oder Förderbundes und das haben vor allem die Deutschen nicht richtig begriffen, als sie auf den Druck der Amerikaner sich zum Anwalt der Türken machten.

Kolkmann: Zur Zukunft Europas war das Peter Glotz, SPD-Politiker und Medienprofessor in St. Gallen, ehemals Mitglied des EU-Verfassungskonvents.