Glosse

Lob der schlechten Laune

Nörgeln, Quengeln, Mosern, Maulen, Herumkritteln. Die Deutschen haben fürs Bedenkentragen viele verscheiden Worte.
Schluss mit der Diktatur der Positivität - schlecht gelaunt lebt es sich besser. © picture alliance / dpa / Jens Kalaene
Von Andrea Gerk · 01.01.2016
Schlechte Laune sei viel besser als ihr Ruf, meint Andrea Gerk. Sie sei die Grundtemperatur der unzufriedenen Schnelldenker, der besessenen (Lebens-)Künstler und Alltagsanarchisten von Arthur Schopenhauer bis Charlie Brown. Und ein Schutzschild gegen die Zumutungen der Welt.
Glaubt man der boomenden Ratgeberliteratur, muss das Leben eine einzige Glücks-Spirale sein, die mit dem "Glücklichsten Baby der Welt" beginnt und irgendwann im "Glücksfall Alter" gipfelt. Glück und Zufriedenheit sind zum allgemeinen Pflichtprogramm erhoben – wer da nicht dauernd mitstrahlt macht laut kollektiver Glücksformel etwas falsch.
"Wir leben in der Diktatur der Positivität", schrieb der Journalist Tobias Haberl mal in der Süddeutschen Zeitung. "Alles Dunkle soll hell, alles Gefährliche abgeschafft, alles Triebhafte reguliert, alles Melancholische heiter gemacht werden." Die andere, schlecht gelaunte Hälfte passt nicht ins kollektive Wohlfühlprogramm und ist - wie Heimweh, Sehnsucht oder Langeweile - zu einer altmodischen Angelegenheit für komische Kauze geworden.
Am schönsten ist die grundlose schlechte Laune
Dabei kann schlechte Laune eine Wohltat sein, ein Schutzschild angesichts der Zumutungen dieser Welt. Und die gibt es immer, auch wenn gar nichts Besonderes passiert. Eigentlich ist es dann sogar am allerschönsten, sich dieser Stimmung hinzugeben. Fährt einem der Bus vor der Nase weg, platzt die Einkaufstüte oder steht die betriebsinterne Weihnachtsfeier vor der Tür, ist es kein Kunststück schlecht gelaunt zu sein. Derartige Allerwelts-Ärgernisse animieren allenfalls das unterste, anspruchsloseste Unmuts-Level.
Wer dagegen schon etwas Übung und Ausdauer mitbringt, weiß, dass schlechte Laune gerade dann am schönsten ist, wenn sie sich scheinbar grundlos einstellt: Ein von milder Düsternis durchdrungener Echoraum auf die Beschwernisse des Daseins, ein heimeliger Zustand, geradezu meditativ und - anders als der schlechte Ruf der schlechten Laune nahelegt - häufig sehr erhellend und inspirierend. Genau wie die Langeweile, über die Walter Benjamin schrieb, sie sei "ein warmes graues Tuch, das innen mit dem glühendsten, farbigsten Seidenfutter ausgeschlagen ist".
Wer nimmt eine kichernde Spaßbombe schon ernst?
Abgesehen davon ist schlechte Laune die Grundtemperatur der unzufriedenen Schnelldenker, der besessenen (Lebens-) Künstler und Alltagsanarchisten, die äußerlich zwar griesgrämig, kantig und grau erscheinen mögen, in ihrem Inneren aber von einem funkelnden Feuerwerk angetrieben werden - siehe Arthur Schopenhauer und Thomas Bernhard, Ekel Alfred, Josef Hader, Charlie Brown und - seit Daniel Craig ihn spielt - sogar Geheimagent 007 alias James Bond. All diese (Kunst-)Figuren kommen zwar mürrisch und missmutig daher, sind aber gerade deshalb ungeheuer komisch, meist sympathisch, und immer ausgesprochen schlau.
Deshalb strahlen die meisten mürrische Sturköpfe - besonders wenn sie diesen Habitus über Jahrzehnte mit Leistung, Fleiß und Verdiensten für die Gemeinschaft verknüpft haben - eine ungeheuer positive Autorität aus. Wer würde einer ständig kichernden Spaßbombe schon abnehmen, dass sie weiß, was das Richtige für einen – oder gar für ein ganzes Land – sein soll? Die unendliche Bewunderung, die dem verstorbenen Altbundeskanzler Helmut Schmidt widerfuhr, (der wie ein über jeden Zweifel erhabener Weiser von seinen Untertanen verehrt wurde), hing nicht zuletzt mit seiner brummigen Art zusammen.
In seinem Nachruf schrieb Kurt Kister über Schmidt: "Was viele Menschen auch in seiner engeren Umgebung vor den Kopf stieß, als er noch regierte oder auf dem Weg dorthin war, trug im Alter dazu bei, dass ihn die allermeisten mit einem Anflug von Lächeln als den weisen Brummligen nahezu verehrten. Der alte Schmidt wäre nicht dieser alte Schmidt geworden, wenn er freundlich, versöhnlich, gar nett geworden wäre."
Der Urenkel Schopenhauers an der Supermarktkasse
Wer dieses Potential der "launichten Manier", wie Immanuel Kant die willkürlichen Dispositionen des Gemüts nannte, erst einmal erkannt hat, wird mit anderen Augen durch die Welt gehen, sich womöglich seltener ärgern über die oft unangenehmen Umgangsformen der Mißmutigen und sich stattdessen amüsiert fragen, was in der Giftspritze, die einen akut drangsaliert, womöglich steckt. Sitzt ein Urenkel Schopenhauers an der Supermarktkasse und ist der mürrische Schaffner ein Wahlverwandter Thomas Bernhards?
In diesem Sinne ist schlechte Laune ein kleiner Luxus in unserem ansonsten so reibungslos freundlich verlaufenden Alltag. Wie im Spiel, von dem Schiller sagte, nur darin erfahre der Mensch sein Wesen ganz, kann die schlechte Laune ein Stück Freiheit sein, eine Erfahrung des Menschseins in unserer zweckrationalen, stets effizienten Gesellschaft.