Glosse

Kalkulierte Kommunikation

Eine Gruppe von Flüchtlings-Aktivisten hat die sieben weißen Gedenkkreuze für die Mauertoten am Spreeufer neben dem Reichstag entfernt. Zu der Aktion bekannte sich am Montag eine Gruppe, die sich «Zentrum für politische Schönheit» nennt. Die Gedenkkreuze waren von einem privaten Verein zur Erinnerung an die Opfer der deutschen Teilung aufgestellt worden.
Die leeren Halterungen für die Gedenkkreuze der Mauertoten am 03.11.2014 neben dem Reichstagsgebäude an der Spree in Berlin. © picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka
Von Jochen Stöckmann · 04.11.2014
Aktivisten vom "Zentrum für politische Schönheit" hatten sieben Kreuze der Berliner Gedenkstätte für die Mauertoten entwendet und an den EU-Außengrenzen wieder aufgestellt - eine dreiste Aktion und keine Kunst, meint Jochen Stöckmann.
Auf Kongressen oder in Gesprächsrunden "etwas sagen" zu weltweit 48 Millionen Flüchtlingen, am grünen Tisch "einen politischen Plan" entwerfen gegen deren anonymes Elend – das ist mehr oder weniger seriöses Alltagsgeschäft von Medienintellektuellen und Berufspolitikern, keine Kunst. Klammheimlich die Kreuze für die Mauertoten in einem stillen Winkel des ansonsten doch so überaus geschäftig tuenden Berliner Regierungsviertels entwenden, sie dann in den Händen farbiger boat people im Lager Melilla wieder auftauchen zu lassen, das ist eine dreiste Aktion – aber auch nicht gerade Kunst. Eher eine solide Abschlussarbeit im Fach Kommunikationsdesign.
Afrikanischer Flüchtling auf Seite Eins
Zum einen wird den Gedenkroutiniers vor Augen geführt, wie sehr der eigentliche Anlass für jährlich wiederkehrende Festakte und Rituale aus dem Sinn, ja aus dem öffentlichen Bewusstsein geraten ist. Zum anderen bringt es das Porträt eines bis dato unbekannten afrikanischen Grenzverletzers effektvoll auf die Seite eins, weil er das Kreuz von "Ingo Müller, gestorben am 10.12. 1961" in die Kamera hält. Dem Ostkreuz-Fotografen Julian Roeder gelingt es zwar immer wieder, den ebenso undurchdringlichen wie vielerorts unsichtbaren Frontex-Schleier aus Satelliten, Drohnen und Infrarotüberwachung nüchtern und analytisch ins Bild zu setzen – aber genau diese künstlerisch-konzeptionelle Arbeitsweise beeindruckt kaum jemanden. Es ist eine Fotokunst der visuell eher leisen, dafür lang nachhallenden Töne.
Im Zentrum des politischen Berlins tut Klamauk not!
Laut und schrill, mit den Paukenschlägen des Agitprop inszeniert das Zentrum für politische Schönheit seine Interventionen. Am liebsten direkt vorm Reichstag oder am Bundeskanzleramt, also im öffentlichen Raum rund ums Brandenburger Tor, dessen politische Symbolik im Lärm der kommerziellen Events unterzugehen droht. Genau dort tut "Klamauk" not, gegen den der Ästhetikprofessor Bazon Brock nun grob und rabulistisch polemisiert. Auch das ist nicht die feine Art, doch vom Stil her angemessen für den einstigen spiritus rector politischer Aktionskunst. Die keineswegs graue, eher quecksilbrige Eminenz aus Zeiten der Studentenrevolte sieht sich umringt von einer jüngeren Generation – die sich doch erst einmal auf den Hosenboden setzen, die einschlägigen Begriffe pauken soll.
Besser: Schweigen, die Stille wirken lassen
Diese Denkfiguren einer längst akademischen Ästhetik sind allerdings ins Wanken geraten, die Kategorien der Kunstkritik durcheinandergeschüttelt. Und die allfälligen Debatten rufen nach dem Reiz-Reaktion-Schema nur noch Schlagworte hervor – etwa Bazon Brocks Unterstellung, das "Zentrum für politische Schönheit" sei den faschistischen Bildstrategien einer Leni Riefenstahl erlegen.
Alle wollen uns weismachen, was wir zu sehen haben. Selbst die Aktionisten, wenn sie in martialischem Sprachbildern von 30.000 Toten reden, die an den "Außenmauern der EU gekentert" seien. Das aber wäre Kunst und nicht nur kalkuliertes Kommunikationsdesign: schweigen, die Stille wirken lassen – und die Bilder im Kopf. Gedanken, politische Pläne, die werden dann schon folgen.
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