Glosse - Deutsche Gastfreundschaft

Garstig statt gastlich?

Eine junge Frau schaut verärgert in die Kamera
"Jetzt leck mich am Arsch!" wird von den Schwaben als ein freudiger Ausruf des überraschenden Wiedersehens verwendet © Autumn Goodman / Unsplash
Von Philipp Maußhardt · 31.08.2017
Die Deutschen lieben Gastfreundschaft. Vor allem, wenn sie auf Reisen sind. Wieder daheim sagt der Deutsche gerne: "Gäste und Fische fangen nach drei Tagen an zu stinken." Hat die "Willkommenskultur" daran etwas geändert?
Es gibt nicht viele Wörter im deutschen Sprachschatz, die allein durch ihren schönen Klang die reine Sympathie verströmen. Gastfreundschaft ist so ein Wort mit drei Silben. Wer ist nicht gerne Gast, wer möchte nicht gerne Freund sein?
Aus dem Urlaub zurück, haben viele eine Geschichte mit im Gepäck, die von erlebter Gastfreundschaft handelt. Eine Reifenpanne gehabt – und bei wildfremden Menschen zum Abendessen eingeladen worden. Sich in den Bergen verlaufen – und bei einem Bauern in der Stube übernachtet.
Es gibt Länder, da ist die Gastfreundschaft sprichwörtlich, ja geradezu heilig. "Ein Gast wird von Gott geschickt", heißt beispielsweise ein Sprichwort in Georgien, einem Land, in dem man sich als Fremder der Zuneigung seiner Bewohner nur schwer entziehen kann.

Die Schwaben – garstig statt gastlich?

Wie aber sieht es mit der Gastfreundschaft hierzulande aus? Offenbar nicht ganz so gut, wenn man dafür schon ein neues Wort erfinden muss: die Willkommenskultur. Das klingt schon weniger freundlich, eher nach Pflicht als nach innerer Überzeugung.
Doch mal ganz davon abgesehen, wie wir derzeit mit den vielen Fremden in unserem Land umgehen: die Gastfreundschaft ist regional ganz unterschiedlich ausgeprägt.
Dem Volksstamm der Schwaben, dem ich zum Beispiel angehöre, wird nachgesagt, dass er zunächst eher abweisend, ja mürrisch bis unfreundlich auf jeden Nicht-Schwaben reagiere. Ja sogar garstig anstatt gastlich zu ihm sei und erst nach langem Abwarten auf sogenannte "Rein-geschmeckte" zugehe.
Nur ein paar Kilometer weiter, im Badischen, pflegt man dagegen ein ganz anderes Selbstbild: Gastfreundschaft wird dort quasi als Teil des badischen Erbguts begriffen.

Gastfreundschaft, da kann schon einiges schief gehen

Ob es auch eine saarländische Gastfreundschaft, eine ostfriesische oder niedersächsische Variante gibt, ist mir nicht bekannt. Es wird sie geben, denn sie ist wahrscheinlich in der menschlichen DNA verankert. In allen Kulturen. Ein universelles Menschengut. Nur die Form ist nicht überall dieselbe.
Und um auf die Schwaben zurück zu kommen: Sie werden oft missverstanden. In einer Gegend, wo der Ausdruck "Jetzt leck mich am Arsch!" als ein freudiger Ausruf des überraschenden Wiedersehens verwendet wird, können Außenstehende die Zeichen der Gastfreundschaft nicht immer als solche erkennen.
Wie jener Hamburger, der zwei Einheimische nach dem Weg fragt und keine Auskunft bekommt. Er fragt ein zweites Mal auf Englisch, dann noch auf Französisch. Die beiden schweigen beharrlich und der Fremde läuft weiter.
"Der hat drei Sprachen gesprochen", sagt der eine Schwabe und nickt anerkennend mit dem Kopf. "Aber geholfen hat es ihm nichts", sagt der andere.
Heute wird Gastfreundschaft zunehmend mit Gastlichkeit verwechselt. Der zahlende Gast im Schwarzwälder Luxushotel Hotel wird sehr freundlich empfangen, der bettelnde Roma in der Stuttgarter Fußgängerzone dagegen böse angeknurrt.
Eine ökonomisierte Gastfreundschaft, die auf Leistung und Gegenleistung beruht und von ihrem eigentlichen Wortsinn sehr entfremdet ist.

Gastfreundschaft hat ein Verfallsdatum

Dabei geht es bei der Gastfreundschaft ja um viel mehr als nur um eine billige Übernachtung oder ein kostenloses Essen. Gastfreundschaft hat noch eine andere, nicht materielle Seite: Der Einheimische ist neugierig auf den reisenden Gast. Er will wissen: Woher kommst du? Was hast du zu erzählen? Gastfreundschaft ist eben ein Geben und ein Nehmen. Wobei sie auch ein natürliches Verfallsdatum hat: Gäste und Fische fangen nach drei Tagen an zu stinken.
Darum schwingt immer auch die Frage mit: Wie lange will ein Gast bleiben? Wann geht er wieder? Da wiederum bewährt sich eine alte schwäbische Regel, Gäste, ja selbst Familienmitglieder kostensparend zu sich Nachhause einzuladen: "Kommt nach dem Kaffee, dann seid ihr zum Abendessen wieder Daheim."
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