Globalisierung

Die eine Heimat wird es nicht mehr geben

Ein blaues Straßenschild auf dem in weißen Buchstaben "Daheim" steht.
Wo sollen wir hin? Na klar, nach Hause © imago/ Priller & Maug
Von Simon Schomäcker · 30.11.2016
Was macht Populisten so stark? Eine neue Studie sagt: die Globalisierung. Heimat – das wird ein brüchiges Gefühl. Darüber wurde jetzt in der Bundeskunsthalle in Bonn diskutiert, mit Blick nicht nur auf Deutschland, sondern auch auf Israel und andere Länder.
Etwas über die Hälfte der 500 Plätze sind besetzt, als im Forum der Bundeskunsthalle Bonn ein kurzer Film startet. Zur beschwingten Walzermusik aus Dimitri Schostakowitschs "Jazz-Sinfonie" laufen die Bilder über die Leinwand. Darin leben Menschen unterschiedlichster Nationen scheinbar friedlich miteinander – erst in Jerusalem, dann am See Genezareth und dann in Bonn. Zwischendurch aber reißt die Musik plötzlich ab und wird durch eine völlig andere ersetzt …
… um dann wieder in der Walzermelodie zu münden. Dieses ständige Hin und Her auf der Tonspur und dazu die relativ schnellen Schnitte im Film sollen die Gefühle der gezeigten Menschen transportieren – und auf das Thema der Veranstaltung in der Bundeskunsthalle hinweisen: "Heimat – ein brüchiges Gefühl" ist das Motto des ersten Diskussionsabends der "JerusalemerGesprächeBonn", erklärt Sven Bergmann, Pressesprecher der Bundeskunsthalle:
"Jerusalem ist eben ein Melting-Pot. Das ist etwas, wo das Thema Heimat, Identität, Religion einfach so immanent ist, dass wir sagen, das ist etwas, was das deutsche Publikum eben auch interessiert. Es geht eben um die Koexistenz oder eben Nicht-Koexistenz von Christentum, Juden und Moslems dort. Das ist etwas, was wir eben auch in Deutschland haben und auch die Diskussion führen."

Syrer auf der Suche nach einem neuen Leben

Denn die Heimat als brüchiges Gefühl findet sich gerade in der jüngeren deutschen Geschichte immer wieder: Verfolgte Juden versuchten in der Zeit des "Dritten Reiches" zum Beispiel in den USA eine neue Heimat zu finden. Umgekehrt möchten sich heute die Flüchtlinge, die etwa aus Syrien zu uns kommen, in Europa ein neues Leben aufbauen.
Für die Diskussion haben die Veranstalter fünf Gäste aufs Podium eingeladen, die allesamt auf ein bewegtes Leben zurückblicken können. So auch die israelische Schriftstellerin Lizzie Doron, Tochter einer Holocaust-Überlebenden.
"In vielen Sprachen musst du eben deine eine Heimat wählen. Es gibt, um ehrlich zu sein, drei Orte auf der Welt, zu denen ich mich zugehörig fühle: Der erste ist natürlich Israel, wo ich geboren wurde. Der zweite Ort ist Deutschland, wo meine Mutter geboren wurde. Sie kannte die Sprache, die Kultur, wusste, wie Deutschland riecht und schmeckt. Meine Mutter hat also die Liebe zu Deutschland quasi in mich verpflanzt. Und wenn ich mich wirklich frei fühlen möchte und die Konflikte zwischen Israel und mir und Deutschland und mir mal von außen betrachten möchte, dann ist meine Wohnung im jüdisch geprägten Manhattan der richtige Ort dafür."
Das Phänomen der mehreren Heimaten soll im Laufe der Veranstaltung noch erneut zur Sprache kommen. Doch zunächst geht es darum, den Begriff Heimat auch unter politischen Aspekten zu betrachten. Die Verlagslektorin und Übersetzerin Gila Lustiger greift dazu ein Zitat der Publizistin Hannah Arendt auf.
"Sie sagte: Heimat ist der Ort, an dem wir alle aktiv die Welt wieder einrenken. Das heißt, Heimat ist der Ort, an dem wir uns niederlassen. Und in dem wir als Zivilgesellschaft einen Raum für uns alle schaffen. Es muss einen öffentlichen Raum geben, in dem wir alle, unabhängig von unseren Erfahrungen, Lebenswelten, Sprachen, miteinander auskommen können."

Warnung vor einer politischen Definition von Heimat

Mordechay Lewy war lange Jahre israelischer Botschafter in Deutschland und Thailand. Er warnt vor einer allzu politischen Definition von Heimat:
"Wir sollten eigentlich aus der Geschichte lernen, dass mit Heimat einfach zu viel Unfug als politischer Begriff gemacht worden ist. Die gesamte nationale Idee aus dem 19. Jahrhundert beruht mitunter auf diesem Begriff, der dann eine gewisse Ausschließlichkeit gefunden hat, die schließlich verheerende Folgen hatte. Es ist eben ein Gefühl, das so individuell geprägt ist, dass man es eben nicht verallgemeinern kann und nicht auch für eine gewisse politische Zielsetzung mobilisieren könnte."
Der iranische Musiker Shahin Najafi hält ebenfalls nicht viel davon, den Begriff Heimat einfach zu verallgemeinern. Er ist nach eigenen Angaben ständig auf der Suche nach seiner Heimat, vor allem in seinem Kopf.
"Ich denke, dass jeder Mensch, der nicht nur romantisch denkt, diesen Begriff richtig verstehen kann. Unser Leben ist ständig in Gefahr. Und du musst nur ein Erfahrender sein und immer in Bewegung sein. Und darum beschäftige ich mich mit der Kunst, darum mache ich Musik. Ich kann mich einfach in der Kunst bewegen – freier als in der Sprache, freier als in meinem Verstand."
Bewegung sei auch beim Heimatbegriff selbst ein wichtiges Stichwort, meint der Autor José Oliver, der als Sohn von spanischen Gastarbeitern im Schwarzwald aufgewachsen ist.
"Ich denke, dass der Heimatbegriff sich entwickeln wird. Das stört mich nicht, ich finde ihn wunderschön. Die Generation nach uns wird ihn anders definieren als wir und es auch nicht mehr als Problem bezeichnen. Vielleicht ist Heimat dann etwas, was ich mir noch gar nicht vorstellen kann."

Jugendliche: Mit dem Rucksack durchs Leben

Verlagslektorin Gila Lustiger ist sich aber schon bei einer Sache ziemlich sicher: Die anfänglichen Worte von der Autorin Lizzie Doron mit ihren drei Wohnorten werden in Zukunft immer mehr zur Normalität:
"Die Jugendlichen heute, das ist die Ich-AG. Die ziehen mit dem Rucksack durch das Leben, das sind Nomaden. Und sie sind nicht Nomaden, weil sie es wollen. Sie sind meistens Nomaden, weil sie es müssen. Sie sind Freiberufler, man geht nicht mehr nur in den einen Job und geht dann in Rente. Sie müssen mobil sein heute, sie müssen mehrere Sprachen sprechen. Mit den besten Schulabschlüssen in der Tasche ist es sicher und gewiss, dass sie in mehreren Städten, wenn nicht sogar Ländern leben müssen."
So scheint es am Ende des Abends, dass es die eine Heimat auf Dauer nicht mehr geben wird. und auch kein Leben im gefälligen Walzer-Takt.

*Hinweis: Wir haben ein falsches Wort gestrichen.

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