Globalisierung

Das Außenministerium verliert an Macht

Eine Limousine kommt vor dem Bundesaußenministerium an.
Durch die Internationalisierung verschiebt sich auch das Machtgefüge der Ministerien, meint der Politikwissenschaftler Edgar Grande. © picture alliance / dpa / Kay Nietfeld
Der Politkwissenschaftler Edgar Grande im Gespräch mit Dieter Kassel · 02.08.2016
Wenn 40.000 Anhänger des türkischen Präsidenten Erdogan in Köln zu einer Kundgebung zusammenkommen, dann zeigt das auch, dass sich Außen- und Innenpolitik nicht länger trennen lassen. Das geht zu Lasten des Außenministeriums, meint Edgar Grande.
Ob Eurokrise, Flüchtlingskrise oder auch nur die Solidaritätskundgebung von zigtausend Anhängern des türkischen Staatspräsidenten Erdogan in Köln - all das zeigt, wie im Zuge der Globalisierung internationale Probleme immer mehr in die Innenpolitik hineinspielen.
Als Beispiel nennt Edgar Grande, Professor für Politikwissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München, das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei: "Dieses Abkommen zeigt wiederum exemplarisch, dass die Ursachen für massive Probleme, die wir in der Bundesrepublik haben – Stichwort Flüchtlingskrise – nicht in der Bundesrepublik selbst liegen, und – mehr noch – dass die Lösungen für diese Probleme nicht mehr alleine in der Bundesrepublik zu finden sind."

Gewinner sind Kanzleramt und Finanzministerium

Diese Prozesse beeinflussen Grande zufolge auch die klassische Ressortaufteilung der Ministerien:
"Wenn man sich insgesamt das Zuständigkeitsgefüge anschaut, dann stellt man aber fest, dass das Außenministerium in diesem Kontext nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen westlichen Demokratien ganz offensichtlich an Bedeutung verloren hat, und dass die Regierungszentralen – das Bundeskanzleramt in Deutschland – aber auch die Finanzministerien an Bedeutung gewonnen haben."

Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Wenn 40.000 Anhänger des türkischen Präsidenten Erdogan zu einer politischen Kundgebung zusammenkommen, in der sie ja an den gescheiterten Militärputsch erinnern und verkünden, die Regierung Erdogan stehe für Recht und Demokratie, dann gehört das ja eigentlich in den Bereich türkische Innenpolitik. Wenn das aber in Köln passiert, so wie vorgestern, dann ja irgendwie auch nicht mehr, dann ist es ja irgendwie auch Außenpolitik. Oder?
Kann man diese beiden Politikfelder, die ja eigentlich, was Personen, Ministerien und deren Handeln angeht, klar getrennt sind, kann man sie überhaupt noch auseinanderhalten? Darüber wollen wir jetzt mit Professor Edgar Grande sprechen. Er ist der Inhaber des Lehrstuhls für Vergleichende Politikwissenschaft an der Universität München. Schönen guten Morgen, Professor Grande!
Edgar Grande: Einen schönen guten Morgen!
Kassel: Diese Erdogan-Kundgebung vorgestern in Köln, ist das ein klarer Fall der Vermischung von Innen- und Außenpolitik?
Grande: Ja, es zeigt ganz eindeutig, dass die lange Zeit gebräuchliche Unterscheidung zwischen Innenpolitik und Außenpolitik im Zeitalter der Globalisierung nicht mehr funktioniert. Wie Sie völlig zu Recht festgestellt haben, war diese Veranstaltung auf der einen Seite ein innenpolitisches Ereignis der Türkei, und die Tatsache, dass ein türkischer Minister vor zigtausenden von Auslandstürken in Deutschland eine Rede hält, ist sicherlich auch als ein Akt der türkischen Innenpolitik zu werten. Gleichzeitig war es aber auch eine Demonstration in Deutschland, und Adressat dieser Demonstration war sicherlich auch die deutsche Bundesregierung. Also es war beides zugleich. Man kann das so nicht mehr trennen.

Unterscheidung von Innen- und Außenpolitik "nicht mehr zielführend"

Kassel: Nun könnte man natürlich denken, das ist typisch Erdogan, das hat und das hatte ja auch damit zu tun, dass so viele Türken in Deutschland leben – und somit ein sehr spezieller Fall. Das ist, glaube ich, einerseits wahr, aber mir scheint es nicht wahr, wenn man behaupten würde, die Bundesrepublik trenne ihrerseits immer noch sehr strikt. Nehmen wir doch ein auch aktuelles Beispiel, können wir bei der Türkei bleiben: Das Flüchtlingsabkommen der Europäischen Union mit Ankara, das ist doch auch beides zugleich. Als Abkommen mit einem nicht zur Union gehörenden Staat ist es eindeutig Außenpolitik, aber verfolgt werden hier doch innenpolitische Interessen.
Grande: Ja, nun haben Staaten in der Vergangenheit immer internationale Abkommen geschlossen, das wäre jetzt in diesem Zusammenhang gar nichts Neues, aber dieses Abkommen zeigt wiederum exemplarisch, dass die Ursachen für massive politische Probleme, die wir in der Bundesrepublik haben, Stichwort Flüchtlingskrise, nicht in der Bundesrepublik selbst liegen, und mehr noch, dass die Lösungen für diese Probleme nicht mehr allein in der Bundesrepublik zu finden sind.
Deswegen der Versuch, a) europäische Lösungen zu finden und b) Staaten, die nicht Mitglied der Europäischen Union sind, von denen die Bundesregierung aber völlig zu Recht annimmt, dass sie ein Schlüssel sind zur Bewältigung der Flüchtlingsproblematik, systematisch in diese europäischen Lösungen miteinzubeziehen. Also, das Spielfeld, um deutsche Politik zu machen, reicht inzwischen weit über die Bundesrepublik hinaus, und insofern ist auch hier die Unterscheidung zwischen Innen- und Außenpolitik so nicht mehr zielführend.

Angela Merkel war das "Gesicht der Eurokrise"

Kassel: Was natürlich heißt, das ist relativ zwangsläufig, es stellt sich mir aber trotzdem die Frage, die Auflösung dieser klaren Trennung, die ja historisch entstanden ist in eigentlich allen zumindest demokratischen Staaten, ist das grundsätzlich gut, ist es eher schlecht, oder würden Sie sagen, diese Frage stellt sich so gar nicht?
Grande: Die Trennung selbst ist lange Zeit sinnvoll gewesen, weil man davon ausgegangen ist, dass Außenpolitik im Sinne von Diplomatie, im Sinne der Regelung des zwischenstaatlichen Verhältnisses eine eigene Domäne von Politik ist. Das setzt aber voraus, dass es klar abgrenzbare Zuständigkeiten, Interessensphären und so weiter von Staaten gibt, dass Grenzen auch tatsächlich begrenzen und abgrenzen. Das ist immer weniger der Fall, und die Stichworte Transnationalisierung, Denationalisierung, Globalisierung, Europäisierung bringen das zum Ausdruck.
Insofern ist natürlich der Umgang mit diesen neuen Problemkonstellationen eine der wichtigsten Herausforderungen von Politik zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Politik hat sich noch nicht immer auf diese neue Lage eingestellt, und mehr noch: Die Öffentlichkeit, die öffentliche Meinung, die öffentliche Wahrnehmung von politischen Problemen hat sich darauf auch noch nicht wirklich eingestellt.
Kassel: Aber hat sich nicht trotzdem die öffentliche Wahrnehmung doch ein bisschen schon verändert, ist es nicht heute stärker als früher – mit früher meine ich vielleicht vor zehn Jahren, wir müssen gar nicht weit zurückblicken – stärker als früher, sodass die Öffentlichkeit auch außenpolitische Entwicklungen als etwas wahrnimmt, das jeden Einzelnen betrifft?
Grande: Ja, das ist zweifellos so, und es gibt auch viele Beispiele, an denen man sehen kann, wie internationale oder europäische Probleme die politische Aufmerksamkeit und die öffentlichen Debatten bestimmen. Nehmen Sie als Beispiel die Eurokrise, die sicherlich eine internationale Krise war, die aber die Mitgliedsstaaten der Eurozone und andere Länder darüber hinaus ganz massiv betroffen hat und die über längere Zeit hinweg die politische Tagesordnung in den Hauptstädten bestimmt hat. Nehmen Sie als Beispiel, dass Angela Merkel in vielen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union das Gesicht der Eurokrise war und noch immer ist.

Keine zufriedenstellende Lösung für neue Ressortaufteilung

Kassel: Es stellen sich viele Fragen für die Zukunft, die wir vielleicht auch noch ein andermal besprechen, aber lassen Sie mich für heute auch noch mal bitte regelrecht administrativ in die Zukunft schauen. Worüber wir sprechen, das ist ja eine Folge der Globalisierung, so banal das klingt, so richtig ist es in diesem Fall, und es stellen sich doch immer häufiger wirklich Fragen danach, welches Ministerium ist eigentlich zuständig.
Ich kann mich an Dinge erinnern, da war die Frage nicht nur, ist es das Innen- oder das Außenministerium, sondern ist es das Wirtschaftsministerium, möglicherweise das Justizministerium – ich rede hier, Sie ahnen es schon, auch von Regelungen, die das Internet betreffen. Muss man sich regelrecht in Zukunft auch in der Bundesrepublik die Frage stellen, ob und wie man Ministerien überhaupt noch aufteilt?
Grande: Die Frage stellt sich seit Jahren, und damit hat sich im Übrigen zu Beginn der 2000er-Jahre auch eine Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages beschäftigt, die festgestellt hat, dass Aspekte von Außenpolitik inzwischen in den Zuständigkeitsbereich eines jeden Fachministeriums fallen und sich vor diesem Hintergrund grundsätzlich die Frage gestellt hat, wie man eine Regierungsorganisation denn am sinnvollsten darauf aufstellt. Auf diese Frage ist bisher noch keine zufriedenstellende Antwort gefunden worden.
Wenn man sich insgesamt das Zuständigkeitsgefüge anschaut, dann stellt man aber fest, dass das Außenministerium in diesem Kontext nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen westlichen Demokratien ganz offensichtlich an Bedeutung verloren hat und dass die Regierungszentralen, das Bundeskanzleramt in Deutschland, aber auch die Finanzministerien an Bedeutung gewonnen haben.
Kassel: Außenpolitik ist von anderen Politikfeldern längst nicht mehr klar zu trennen, nicht nur von der Innenpolitik nicht – eine Herausforderung, der sich auch die deutsche Politik in Zukunft verstärkt wird stellen müssen, sagt Edgar Grande, Politikwissenschaftler an der Universität München. Professor Grande, vielen Dank für das Gespräch!
Grande: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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