"Glaubwürdigkeitsproblem" der Union

28.03.2011
Der Berliner CDU-Vorsitzende Frank Henkel hat seiner eigenen Partei fehlende Glaubwürdigkeit attestiert. Henkel sagte, es sei der Union nicht gelungen, schwierige Entscheidungen in den letzten Wochen glaubwürdig zu kommunizieren.
Jörg Degenhardt: Einen Tag nach den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz kommen heute die Parteigremien in Berlin zur Wahlauswertung zusammen. Gestern hatten CDU und FDP in Baden-Württemberg nach starken Verlusten ihre Regierungsmehrheit verloren, heute werden die Konsequenzen diskutiert. Auch personelle? Aber wo sind die Alternativen? Frank Henkel hat die Wahl noch vor sich. Er ist der Spitzenkandidat der CDU für die Abgeordnetenhauswahl in Berlin im September. Guten Morgen, Herr Henkel.

Frank Henkel: Guten Morgen!

Degenhardt: Sind Sie froh, dass an der Spree erst in einem halben Jahr gewählt wird? Bis dahin kann sich ja die Union wieder berappeln.

Henkel: Ja. Angesichts der Ereignisse gestern, ja, bin ich froh, dass wir noch ein bisschen Zeit haben.

Degenhardt: Gibt es etwas, was Sie aus der Niederlage Ihrer Parteifreunde in Baden-Württemberg mitnehmen, was Sie anders machen wollen?

Henkel: Na ja, auch wenn wir unterstellen, dass das Wahlergebnis sehr bitter für die Union war und auch bleibt, ich denke, das wird der nachweislich erfolgreichen Arbeit der schwarz-gelben Landesregierung dort unten in keiner Weise gerecht, denn Baden-Württemberg gehört ja zu den Bundesländern mit dem größten Wirtschaftswachstum, der geringsten Arbeitslosigkeit und den besten Ergebnissen etwa in den Bildungsvergleichstests, und insofern hat die Abwahl der Landesregierung ja nichts mit einem zusätzlichen Verdienst einer überzeugenden Oppositionsarbeit der vergangenen Jahre zu tun. Ich glaube, was man aber lernen kann, ist, dass bestimmte Entscheidungen – und es kam ja hier viel zusammen, Stuttgart 21 auf der einen Seite, dann die Debatte um die Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke -, ich glaube, dass große gesellschaftspolitische Ereignisse besser und intensiver kommuniziert werden müssen. Das ist ein Weg, den die Berliner Union schon seit einiger Zeit geht, und ich glaube, wir sind damit auf einem guten Weg.

Degenhardt: Wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann hat die Politik von Schwarz-Gelb in Berlin, also von Frau Merkel und Herrn Westerwelle, den Kollegen in Baden-Württemberg das Ergebnis verhagelt?

Henkel: Ja einfacher hat es sie sicherlich nicht gemacht, denn es ist der Union ganz offensichtlich ja nicht gelungen, schwierige Entscheidungen der letzten Wochen glaubwürdig zu kommunizieren, und dieses Glaubwürdigkeitsproblem, das muss die Union schnellstens abstellen, und ich bin auch fest davon überzeugt, dass das noch sehr intensive Diskussionen in den nächsten Tagen mit sich bringen wird.

Degenhardt: Wenn Sie sagen "die Union", dann meinen Sie natürlich auch zu allererst die Kanzlerin.

Henkel: Dann meine ich "die Union", denn die Partei gewinnt zusammen und die Partei verliert zusammen. Ich sage noch mal: Gleichwohl ich glaube, dass man nach einem solchen Tiefschlag wie in Baden-Württemberg nicht einfach zur Tagesordnung übergehen kann.

Degenhardt: Wie stellt man denn ein Glaubwürdigkeitsproblem ab?

Henkel: Ja, indem man mit den Problemen offen kommuniziert, mit den Menschen kommuniziert, und es ist ja nicht nur so, dass ich, sondern offensichtlich viele Menschen in der Republik den Eindruck hatten, dass Dinge, die beschlossen wurden, noch mal mit dem Makel der Glaubwürdigkeit versehen waren. Es war ja nicht nur die Frage AKW, es war auch die Frage Euro, es war letztlich die Frage, wie ist das Stimmverhalten Deutschlands beim Libyen-Einsatz zu betrachten. Es kamen also viele Dinge zusammen, und das in einer so schnellen Abfolge, dass man offensichtlich mehr Probleme hatte, als vielleicht die eine oder andere Entscheidung ohnehin mit sich gebracht hätte.

Degenhardt: Zu den Gewinnern des gestrigen Tages oder überhaupt die Gewinner des gestrigen Tages waren die Grünen. Sie als Spitzenkandidat der CDU in einer Metropole, schielen Sie jetzt wieder verstärkt auch auf die Partei, auf die Grünen, wenn es darum geht, dass Sie sich Bündnispartner, mögliche Koalitionspartner für die Wahl im September suchen müssen?

Henkel: Darum geht es hier nicht. Unsere Ausgangssituation ist hier eine andere. Wir kommen aus der Opposition, wir sind im Aufflug in den Umfragen betroffen, wir wollen hier einen Politikwechsel, wir wollen Rot-Rot ablösen, eine politische Konstellation, von der ich sage, dass sie der Stadt nicht gut getan hat, und eine Konstellation im übrigen, die ja jetzt menschlich und inhaltlich stark zerrüttet ist. Ich denke an den Streit um den öffentlichen Beschäftigungssektor etwa, oder auch die A100. Also es geht hier nicht darum, nach irgendwelchen Partnern zu schielen, sondern ich will mit der Union gemeinsam einen eigenständigen Wahlkampf führen, ich werde keinen Koalitionswahlkampf führen, sondern ich werde der Stadt ein Angebot machen mit den Dingen, die wir als Union für wichtig und richtig erachten, wenn es um die Zukunft der Stadt geht.

Degenhardt: Bis zur Wahl in Berlin ist noch ein bisschen Zeit. Vielen Dank für das Gespräch. Das war Frank Henkel, der Spitzenkandidat der Christdemokraten für die Abgeordnetenhauswahl in Berlin.


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