Glaubenskrieg um ein Schulfach

Von Ellen Häring · 07.04.2005
In Berlin tobt zurzeit ein Glaubenskrieg in der Diskussion um ein neues Schulfach: den Werte-Unterricht. In der rot-roten Koalition wird sich voraussichtlich eine Mehrheit für die Einführung dieses Faches aussprechen. Nun fürchten nicht nur die Kirchen, dass der Religionsunterricht in den Berliner Schulen bald keine Rolle mehr spielen könnte.
Religion ist in Deutschland ein ordentliches Lehrfach und wird von den katholischen und evangelischen Kirchen eigenverantwortlich unterrichtet. In fast allen Bundesländern müssen die Schüler verpflichtend daran teilnehmen, können sich allerdings in der Oberstufe vom Religionsunterricht ohne Zustimmung der Eltern abmelden.

Eine Möglichkeit, die von vielen Jugendlichen wahrgenommen wird - nicht unbedingt weil sie kein Interesse an den Inhalten des Religionsunterrichts hätten, sondern weil eine Freistunde in der Eisdiele um die Ecke lockt.

In Berlin ist der Religionsunterricht auch in der Grundschule nicht verpflichtend, sondern freiwillig. Diese Sonderregelung, die auch Bremen für sich in Anspruch nimmt, ist schon lange in der Kritik. Im Zuge der Debatte um den Werteverfall in unserer Gesellschaft, fordern Eltern, Kirchen, Bildungsexperten und Politiker unisono ein Schulfach, das die Grundwerte unserer Gesellschaft vermittelt.

Aber welches Schulfach sollte das sein?
Die Berliner SPD schlägt das verpflichtende Schulfach "Werteunterricht" vor, an dem alle Schüler ab der 7. Klasse teilnehmen müssen. Das Fach soll Lebenskunde, Ethik und Religion umfassen und von staatlichen Lehrern unterrichtet werden. Philosophische und aktuelle ethische Themen sollen besprochen werden, und die Schüler werden mit den großen Weltreligionen vertraut gemacht macht. Hierbei sollen die Religionsgemeinschaften mit in den Unterricht einbezogen werden - und das bedeutet in Berlin nicht nur die katholischen und die evangelischen, sondern auch die islamischen.

Religionsunterricht unter kirchlicher Führung gäbe es dann nur noch als Zusatzangebot.
Dagegen laufen die Kirchen Sturm. Sie fürchten ein langsames Verdrängen des Religionsunterrichts aus den Schulen und ein Werte- und Religionsunterricht, der keine wirkliche Orientierung gibt, sondern als multikulturelle Soße daherkommt.

Die Angst vor Verdrängung ist nicht ganz unberechtigt. Denn die Berliner Schulpolitiker wollen mit dem neuen Schulfach den ungeliebten Unterricht der Islamischen Föderation
schwächen, einer konservativen Vereinigung, die sich unter Berufung auf die Religionsfreiheit vor Gericht das Recht erstritten hat, Islamunterricht an Berliner Schulen zu erteilen.
Die Kirchen würden damit aber ebenfalls geschwächt.

Ein Kompromissvorschlag liegt auf dem Tisch, der tatsächlich Neues bringen könnte:
das Pflichtfach Werteunterricht wird eingeführt, kann aber alternativ durch Religionsunterricht ersetzt werden. Damit gäbe es zum ersten Mal verpflichtend und versetzungsrelevant für alle ein Unterrichtsfach in Berlin, das die Schüler mit den Werten unserer Gesellschaft vertraut macht.
Und der Religionsunterricht der Kirchen stünde endlich nicht mehr in Konkurrenz zur Eisdiele um die Ecke.