Glaubensfragen

Zu Gast: Karl-Josef Kuschel und Michael Schmidt-Salomon · 25.04.2009
Ein Streit spaltet Berlin: Soll es bei dem bisherigen gemeinsamen Ethikunterricht für alle Schüler bleiben? Oder soll - wie es die Initiative "Pro Reli" verlangt - Religion ein gleichberechtigtes Wahlpflichtfach werden? Über diese seit langem diskutierte Frage entscheiden die Berliner am Sonntag, den 26.April in einer Volksabstimmung.
Bisher ist der Ethikunterricht Pflicht von der siebten bis zur zehnten Klasse, Religion ein freiwilliges Zusatzangebot. Setzt sich die Initiative "Pro Reli" durch, müsste sich jeder Schüler zwischen Ethik oder Religion entscheiden.

Ein Glaubensstreit ausgerechnet im säkularen Berlin, in dem nicht einmal jeder dritte Einwohner einer Kirche angehört?

Michael Schmidt-Salomon verfolgt diese Kontroverse mit Spannung. Für den bekennenden Nichtgläubigen wird es Zeit, dass offen über Glauben und Nichtglauben diskutiert wird.

"Ich bin ein Humanist und Naturalist. Ein Humanist glaubt an die Selbstbestimmung des Menschen und dass der Mensch prinzipiell in der Lage ist, seine Lebensbedingungen zu ändern. Ein Naturalist ist der Meinung, dass im Universum alles mit rechten Dingen zugeht und dass keine Dämonen oder Geisteswesen in unsere Natur eingreifen."

Der freischaffende Philosoph und Schriftsteller ist Vorstandsprecher der 2004 gegründeten Giordano Bruno Stiftung, einer "Denkfabrik für Humanismus und Aufklärung, die unterschiedliche Menschen zusammenbringt, Philosophen, Wissenschaftler und Künstler, die sich gegenseitig befruchten und deren Ziel es ist, Alternativen zur Religion zu geben".

Er setzt sich ein für einen "freien und offenen Zugang zur Wirklichkeit, einen erwachsenen Zugang, anstelle eines Glaubens an eine ewige Wahrheit. Allein die Tatsache, dass es so viele verschiedene Glaubensvorstellungen gibt, macht viele Leute skeptisch. Welchem Heilsversprechen soll ich vertrauen? Es gibt viele Anbieter auf dem religiösen Markt und es können doch nicht alle gleichzeitig Recht haben!"

Man müsse nicht religiös geprägt sein, um Werte zu leben:

"Unsere Werte sind viel stärker durch die frühe Aufklärung geprägt. Vieles, was wir als christliche Werte feiern, wurde durchgesetzt von Deisten, von Agnostikern, von Freimaurern. Das Christentum hat über Jahrtausende verhindert, dass diese Werte in die Welt kommen."

Seine Überzeugung:"Wer Wissenschaft, Philosophie und Kunst besitzt, braucht keine Religion."

Der katholische Theologe Prof. Dr. Karl-Josef Kuschel kann sich dagegen eine Welt ohne Gottesglauben oder Religion nicht vorstellen.

"Religionen sind Bindeglieder, sie haben die Gesellschaften zusammengehalten über Jahrtausende, dazu gehören Ethos, Riten, Gebete, Spirituelles, Ethisches, Mythisches – Religionen bieten umfassende Erlebnisse. Der religiöse Mensch stellt sein Leben unter eine Gesamtorientierung und das hat auch eine intellektuelle Ebene. Deshalb ist die Religion eine ganzheitliche Lebenssicht."

Der Direktor für Theologie der Kultur und des interreligiösen Dialogs an der Universität Tübingen sieht ein wachsendes Bedürfnis nach religiöser Orientierung:

"Ich glaube, es ist auch ein unbefriedigt Sein. Es existiert ein postideologisches Vakuum nach der Auseinandersetzung mit den Ideologien, mit dem Sozialismus, dem Fortschrittsglauben bis hin zur Börsenkrise und dem Zusammenbruch der Finanzarchitektur. Es herrscht eine tiefe Unzufriedenheit, ein Bedürfnis nach Dingen, auf die man sich verlassen kann und dazu zählt auch der Glaube. Wir haben so viel verschlissen in unserer säkularen Welt, dass man sich fragt, was ist dauerhaft, was bleibt? Was bindet unsere Gesellschaft? Und da kommt man um die Religion nicht herum."

Der Theologe diskutiert häufig mit Kirchenkritikern und Atheisten.

"Ich sage ja auch nicht, dass man an Gott glauben soll. Umgekehrt könnte man eher sagen, dass derjenige, der an Gott glaubt, im Nachteil ist. Da halte ich es mit Ellie Wiesel: An Gott zu glauben, ist anstrengend, weil man Rechenschaft ablegen muss."

Seine Überzeugung:

"Die Atheisten betrügen die Menschen um Gott!"

"Glauben oder nicht glauben - Wozu brauchen wir Religionen?"
Darüber diskutiert Dieter Kassel heute von 9 Uhr 05 bis 11 Uhr mit Prof. Dr. Karl-Josef Kuschel und mit Dr. Michael Schmidt-Salomon. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der kostenlosen Telefonnummer 00800–22542254 oder per E-Mail unter gespraech@dradio.de.

Informationen im Internet
Prof. Dr. Kuschel
Dr. Schmidt-Salomon
Giordano Bruno Stiftung