Glaubensbekenntnis

"Ein starker Text"

Moderation: Kirsten Dietrich · 24.05.2014
Seit ihrem Entstehen streiten christliche Kirchen über Glaubensbekenntnisse. Gerade mal 80 Jahre alt ist die Barmer Theologische Erklärung. Der Theologe Wolf Krötke erklärt im Deutschlandradio Kultur, warum sie noch immer wichtig ist.
Kirsten Dietrich: Um Glaubensbekenntnisse ringen die christlichen Kirchen praktisch seit ihrem Entstehen. In den ersten vier Jahrhunderten entstanden grundlegende Texte. Nachdem jahrhundertelang über deren Auslegung gestritten wurde, wurde die Reformationszeit des 16. Jahrhunderts zu einer neuen Hochzeit des Genres. Die neu entstandenen protestantischen Kirchen formulierten ihr Selbstverständnis im Glauben. Und dann gibt es eine Bekenntnisschrift, die im Vergleich zu ehrwürdigen Schriften wie dem apostolischem Glaubensbekenntnis oder der Confessio Augustana extrem jung ist – 80 Jahre nur.
Und trotzdem ist auch sie das Bekenntnis einer Kirche in großer Bedrängung zu dem, was ihre Grundlagen ausmacht: die Barmer Theologische Erklärung, verabschiedet von der evangelischen Bekennenden Kirche bei deren erster Bekenntnissynode in Wuppertal-Barmen Ende Mai 1934. Evangelische Kirchen in Deutschland erinnern gerade an diesen Jahrestag. Was das für ein Text ist, darüber habe ich mit Wolf Krötke gesprochen. Er war bis zu seiner Emeritierung Professor für systematische Theologie in Berlin, und er hat sich immer wieder mit der Barmer Theologischen Erklärung beschäftigt. 80 Jahre ist der Text alt, er spricht auch deutlich die Sprache einer vergangenen Zeit. Ich wollte von Wolf Krötke wissen, warum die Barmer Theologische Erklärung immer noch wichtig ist.
Wolf Krötke: Ja, es ist der Text, mit dem sich die Evangelische Kirche in Deutschland gegen den Einbruch der Naziideologie in die Kirche im Jahre 1934 gewehrt hat. Als Hitler an die Macht gekommen war, gab es schon eine sogenannte Glaubensbewegung, die deutschen Christen. Und die zielten darauf, ein arisches Christentum, das rassisch begründet wurde, in der Kirche zur Herrschaft zu bringen, und das haben sie tatsächlich auch geschafft. Im Juli 1933 fanden Kirchenwahlen statt, und da haben die deutschen Christen mit überwältigender Mehrheit – mit Unterstützung von Hitler übrigens – gesiegt. Und das hatte zur Folge, dass alle Gemeindekirchenräte, Konsistorien und Kirchenleitungen jetzt mit Leuten dieser Richtung besetzt wurden.
Es gab drei Landeskirchen – da hatten die deutschen Christen nicht gesiegt, die blieben unabhängig, aber hier in Berlin war es so, dass die Mehrheit der kirchenleitenden Stellen von deutschen Christen besetzt wurde. Und demgegenüber hat sich dann unter der Führung von Martin Niemöller hier in Berlin ein sogenannter Pfarrernotbund gegründet, dem also bald Tausende von Pfarren beigetreten sind, und überall in Deutschland entstanden Bekenntnisgemeinschaften. Und zusammen mit den intakten Landeskirchen, also wie zum Beispiel Bayern oder Baden-Württemberg, auch Hannover, haben die sich dann zu einer Bekenntnisbewegung zusammengeschlossen und beschlossen, eine bekennende Kirche in Deutschland der Reichskirche entgegenzusetzen. Und dafür brauchte es eine theologische Grundlage, und eben das ist die Barmer Theologische Erklärung.
Widerstand gegen Hitler
Dietrich: Das heißt, das ist eigentlich der Sammlungstext einer Widerstandsbewegung gegen das Hitler-Deutschland?
Krötke: Ja, eine politische Widerstandsbewegung kann man nicht sagen. Es ging um die Reinerhaltung der Kirche, wie man damals gesagt hat. In der Präambel der Barmer Theologischen Erklärung steht, man wendet sich gegen die, die Kirche vor wüstenden Irrlehren der deutschen Christen, aber zugleich wird in der Erläuterung zur Barmer Theologischen Erklärung gesagt, man wendet sich nicht gegen den neuen Staat. Das wird heute also sehr problematisch gesehen, dass zum Beispiel in der Barmer Theologischen Erklärung nicht zur beginnenden Judenverfolgung Stellung genommen wird, dass es also rein um die Selbsterhaltung der Kirche ging. Aber indem es darum ging, hatte es natürlich auch politische Implikationen, die zum Beispiel so ein Mann wie Dietrich Bonhoeffer ganz stark gemacht hat, der die Kirche vor die Entscheidung gestellt sah, entweder Christ oder Nationalsozialist. So weit ist Barmen selbst nicht gegangen.
Dietrich: Muss man den Text vielleicht auch so ein bisschen zwischen den Zeilen lesen, hat man sich da vielleicht auch gar nicht getraut, so offen zu werden. Immerhin kann man ja vielleicht zwischen den Zeilen dann doch auch natürlich Widerständiges lesen, wenn man sich dagegen verwehrt, dass zum Beispiel die Kirche irgendeinen besonderen Führer neben Christus haben könnte. Also das steckt schon drin, aber natürlich für die, die schon Bescheid wissen, oder? Es ist kein offener Text.
Krötke: Nein, also die deutschen Christen waren ja eine religiöse Variante der Naziideologie. Die hatten ja den Führerkult in der Kirche installiert mit ihrem Reichsbischof, und die erhoben den Anspruch, dass der nationalsozialistische Staat alle Bereiche des Lebens zu durchdringen habe, sodass sich also die fünfte These der Barmer Theologischen Erklärung dagegen wehrt, dass der Staat zur einzigen und totalen Ordnung des ganzen Lebens werden dürfe. Das wandte sich aber alles gegen die kirchlichen Leute, die deutschen Christen, die das vertreten haben, das wandte sich nicht direkt an die Politik. Und so kann man also auch von allen diesen Verwerfungen sagen, es geht um Haltungen, die von dieser religiösen Variante der Nazis vertreten wurden.
Dietrich: Sie sagen Verwerfungen, vielleicht müssten wir noch mal kurz über die Struktur dieser Barmer Theologischen Erklärung reden. Das ist eigentlich ein relativ kurzer Text – sechs Thesen, beginnen immer mit einem oder zwei Zitaten aus dem Neuen Testament, dann kommt eine Aussage darüber, wie die Kirche sein soll, und dann eine Verwerfung einer falschen Lehre, wie die Kirche eben nicht sein soll. Warum diese Struktur?
Krötke: Ja, die Voranstellung dieser Bibelzitate will sagen, dass das, was in der These gesagt wird, im Höheren auf das Zeugnis der Bibel gesagt wird, dass es also nicht irgendeine theologische Spezialmeinung ist, die da vertreten ist, sondern eben die Treue zum Zeugnis der Schrift, wie es damals hieß. Alle Thesen wollen Antwort auf das Zeugnis der Bibel sein, und sie grenzen sich von daher eben gegen Irrlehren ab, die auf anderes hören als die Schrift eben, zum Beispiel auf die Stimme des deutschen Volkes oder auf die Stimme des Blutes, auf Rasse, Blut und Boden, wie es damals hieß. Und in dieser Struktur der Barmer Theologischen Erklärung heißt es dann zum Schluss: Darin gründet die Freiheit der Kirche, dass sie sich nicht an solche Meinungen bindet, sondern dass sie alleine in der Freiheit des Höheren, auf das Wort in der Bibel verstanden werden will.
Kampf der Interpretationen
Dietrich: Ist das dann ein Kampf der Interpretationen, der da geführt wird?
Krötke: Ja, das hat sogar noch eine kompliziertere Variante. Das waren ja lutherische Kirchen, reformierte Kirchen, unierte Kirchen, freie Bekenntnisgemeinschaften, einzelne bekennende Christen, also eine bunte Truppe, die alle eigentlich unterschiedliche theologische Voraussetzungen hatten. Die Lutheraner waren zum Beispiel der Meinung, man könne nicht mit den Reformierten zusammen ein gemeinsames Bekenntnis ablegen. Und das "Wunder von Barmen", wie die das dann selber verstanden haben, bestand darin, dass die sich tatsächlich zusammengerauft haben und einen Text formuliert haben, in dem sich Menschen zusammenfanden, die unter dem, was da gesagt wurde, Verschiedenes verstanden. Und das ist also ein Problem der Barmen-Interpretation bis heute.
Dietrich: Sie sagen, es ist ein Text, der eine Gruppe von ganz verschiedenen Ausprägungen des evangelischen Bekenntnisses vereinte. Wenn man den heute liest, diese ganzen Feinheiten, die werden wahrscheinlich von den allermeisten gar nicht mehr mitgehört. Ist dieser Text trotzdem heute noch wichtig?
Krötke: Wir müssen mal unterscheiden: Er ist in der Geschichte der Kirche nach 1945 jedenfalls ein wesentlicher Text gewesen zunächst mal, er war also zum Beispiel ein theologisches Band zwischen der Kirche in der Bundesrepublik und in der DDR während der Zeit der deutschen Teilung. Und das Stichwort, unter dem das passiert ist, war Freiheit. In der zweiten Barmer These heißt es ja, dass der Anspruch Jesu Christi uns freimacht von den gottlosen Bindungen dieser Welt zum freien dankbaren Dienst an Gottes Geschöpfen, und gerade diese Freiheit wollte die Kirche in der DDR unter den Bedingungen einer Diktatur, wie das damals war, bewahren. Es gibt jetzt einen sogenannten Reformprozess der Evangelischen Kirche in Deutschland, der ist überschrieben "Kirche der Freiheit", und das bezieht sich also genau auf diesen Freiheitsanspruch der Kirche gegenüber dem, was sie also in der Welt mit Autorität, mit Macht oder wie immer binden will.
Dietrich: Sie selber sind als Theologe in der DDR groß geworden, haben studiert, waren dann Lehrbeauftragter, waren auch im Gefängnis während ihres Theologiestudiums. Was hat für Sie in dieser ganzen Zeit die Barmer Theologische Erklärung bedeutet?
Krötke: Ach, also ich bin mit dieser Erklärung erst verhältnismäßig spät in Berührung gekommen, als ich angefangen habe, Dozent im kirchlichen Lehramt zu sein, 1973. Ich wusste durch das Studium und so weiter davon, aber eine intensive Beschäftigung mit der Barmer Theologischen Erklärung hat da eingesetzt. Und da war für mich eben genau das Entscheidende, dass die Barmer Theologische Erklärung Richtungen angibt, an denen man sich orientieren kann. Denn in einem diktatorischen Staat zu leben, bedeutet ständig genötigt zu sein, irgendwelche Kompromisse mit ihm zu machen. Wir haben ja auf unabsehbare Zeit unter diesen Verhältnissen gelebt, und da ist es schon gut, wenn man also in einer solchen großen Gemeinschaft, wie die Kirche ist, einen solchen Orientierungsmaßstab an der Hand hat, nach dem man sich richten kann. Und das war für mich schon wichtig.
Kirche als Gemeinde von Brüdern
Dietrich: Das Verhältnis zum Staat, das ist etwas, das kann man auch auf verschiedene politische Verhältnisse zumindest übertragen, zumindest sich davon anregen lassen von der Barmer Theologischen Erklärung. Das Bild der Kirche, das die Barmer Theologische Erklärung zeichnet, das ist eigentlich eine Kirche, die hat relativ wenig mit dem zu tun, wie die evangelische Kirche sich gerade präsentiert, oder? Das ist ja eine Kirche, in der zum Beispiel die Mitgliedschaft nicht infrage steht, in der nicht infrage steht, dass man um die einzelnen Mitglieder werben muss, dass man gar nicht genau weiß, wer da noch dazugehört, unter welchen Bedingungen, mit welcher Nähe. Kann eigentlich die Kirche selber noch sich auf die Kirche der Barmer Theologischen Erklärung beziehen?
Krötke: Ja, sofern die Kirche da – und das ist neutestamentlich – ganz von der Gemeinde ja verstanden wird. Die dritte These der Barmer Theologischen Erklärung sagt ja, die Kirche ist eine Gemeinde von Brüdern – die Schwestern sind vergessen, müssten noch hinzugefügt werden –, die Gemeinde aber ist eine Versammlung von Menschen, die das Evangelium hören, die nach den Geboten Jesu Christi leben, das ist also eine lebendige Gemeinschaft. Und das ist im Grunde genommen der Grundbestand der Kirche auch heute – wenn es das in unserer Kirche nicht gebe, dann wäre gar keine Kirche da. Also insofern ist das eine Orientierung sozusagen am Kern dessen, was eine christliche Gemeinde ist.
Dietrich: Knapp 80 Jahre ist es her, dass die Barmer Theologische Erklärung verabschiedet wurde. Was ist sie heute, so eine Quasireliquie aus Widerstandszeiten oder ein gelebtes Bekenntnis?
Krötke: Also für die Kirche selber, für die verfasste, die institutionalisierte Kirche ist es ein Maßstab ihres Handelns, jedenfalls unserer Kirche hier in Berlin-Brandenburg und alle Kirchen der evangelische Kirche in der Union. Bei den Lutheranern ist das schwieriger. Die wollen nur die Verwerfungen anerkennen von damals, aber haben mit den positiven Thesen aus bestimmten Gründen Schwierigkeiten, während bei uns die Barmer Theologische Erklärung in der Grundordnung unserer Kirche steht. Und jede Pfarrerin und jeder Pfarrer wird darauf ordiniert und muss also vor Gott versprechen, dass er seine Verkündigung und seinen Dienst in der Kirche nach im Höheren auf das Zeugnis der Barmer Theologischen Erklärung ausrichtet.
Ob die Pfarrerinnen und Pfarrer das wirklich machen, das ist die Frage, es kontrolliert ja auch keiner. Davon zu unterscheiden ist eben ein Leben mit der Barmer Theologischen Erklärung. Also für diejenigen, die das verinnerlicht haben, ist es schon ein starker Text, mit dem sich eine dauernde Beschäftigung lohnt, wenn es um die Frage geht, was ist die Identität der Kirche und was soll und kann die Kirche in unserer Gesellschaft ausrichten.
Dietrich: Vor 80 Jahren wurde die Barmer Theologische Erklärung verabschiedet. Ich sprach mit Wolf Krötke. Er war zuletzt Professor für systematische Theologie an der Berliner Humboldt-Universität.
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