Glaube und Brot

Vom Blut an der Hostie

Die Hostie bei einem Abendmahl
Die Hostie bei einer Messefeier. © CTK / Jan Halady
Von Kirsten Serup-Bilfeldt · 11.06.2017
Abendmahl - was da passiert, ist letztlich Glaubenssache. Katholische ebenso wie protestantische Theologen haben darüber ziemlich unterschiedliche Ansichten. Ganz speziell sind Legenden von blutenden Hostien - diese gibt es in rund 100 Städten. Was steckt dahinter?
Wochenlang war er auf staubigen, beschwerlichen Pilgerwegen unterwegs, bis er an einem Sommertag des Jahres 1263 in dem kleinen italienischen Marktflecken Bolsena in der Region Latium ankommt. Dort flieht er vor dem lärmenden Trubel überfüllter Pilgerherbergen in die kühle Stille der Kirche Santa Christina, um die Messe zu lesen. Und dann bricht ihm aus Versehen die Hostie entzwei. Blutstropfen fließen aus der Bruchstelle. Sie sickern durch das Altartuch bis auf den Marmorboden.
Den Priester Petrus von Prag durchfährt ein eisiger Schreck. Kann das die Strafe dafür sein, dass er die Lehre von der Transsubstantiation angezweifelt hat? Dass er nicht glauben wollte, dass sich in der Messe Brot und Wein in Leib und Blut Jesu Christi verwandeln? Denn genau diese Frage hatte ihn ja überhaupt erst zu der Pilgerfahrt aufbrechen lassen.
Wie ein Lauffeuer verbreitet sich die Nachricht vom "Bluthostienwunder von Bolsena" überall in Europa. Unter dem Eindruck dieses Wunders lässt Papst Urban IV. das Fest Fronleichnam, also das Hochfest der Eucharistie in den Kirchenkalender aufnehmen.

Jubelveranstaltung für die Offenbarung

Der Historiker Olaf Rader, Autor eines Buches über "Bluthostien" sagt: "Und dieses Fest 'Corpus Christi', wie es ja eigentlich heißt, ist eine Art Jubelveranstaltung für die Offenbarung dieser tatsächlichen Verwandlung. Man kann sehr deutlich sehen, dass das eine europaweite Verbreitung gefunden hat."
Die alte Legende um Petrus von Prag gilt als erste "Dokumentation" einer blutenden Hostie. Unzählige weitere folgen: "Eine blutende Hostie wird in einer Kirche in Utah als Wunder bejubelt. Die Gläubigen geben zu Protokoll, dass das Hostienblut im Anschluss an die Heilige Kommunion in der Kirche des Heiligen Franz Xaver in Kearns, nahe Salt Lake City noch drei Tage lang aus der Hostie floss …"
Über 750 Jahre liegen zwischen dem Blutwunder in Bolsena und dem im amerikanischen Bundesstaat Utah. Und ebenso lange beflügeln solche Ereignisse die Fantasie der Frommen, schlagen Geschichten und Legenden rund um die Bluthostien die Gläubigen in ihren Bann. Obwohl es natürlich durch die Jahrhunderte auch immer wieder Kritiker dieses "Aberglaubens" und scharfe Spötter gegeben hat. Hielt doch etwa der Geheimrat Goethe solche Geschehnisse für nichts weiter als "Hokuspokus":
Olaf Rader: "Nur wenige Menschen wissen, dass das Wort "Hokuspokus" eigentlich eine Verballhornung der Worte "hoc est corpus" oder vollständig "hoc est corpus meum" bedeutet…"
"Nehmet und esset. Dies ist mein Leib…" - Es sind die Worte Jesu beim letzten Abendmahl.

Überreich an Blutwundergeschichten

Die hoch- und spätmittelalterliche Eucharistiefrömmigkeit ist überreich an Blutwundergeschichten. In ihnen bluten die Hostien nicht nur, sondern manchmal verwandeln sie sich am Altar in blutige Fleischstücke oder auch wie in den Darstellungen der Gregorsmessen in das oft blutüberströmte Christuskind.
Das Interesse, das hinter diesen "Wundern" steht, ist immer der Wunsch nach einem handfesten Beweis für die reale Gegenwart des Leibes Christi in der Hostie: "Das hängt zusammen mit der Überlegung, dass, wenn man diese Hostie verletzt, sie dann auch bluten müsse. Und da gibt es eine Geschichte, die stereotyp ist, mit unterschiedlichen Versatzstücken immer wieder in Europa anzutreffen, man kann von einer vagabundierenden Geschichte sprechen."
Weit über hundert solcher Blutwunder-Orte gibt es in Europa: Neapel, Amaseno, Madrid, Wilsnack, Sternberg, Walldürn…
Zu dem Blutwunder kommt dann für jeden dieser Orte ein Wirtschaftswunder hinzu. Es fließen Geld- und Pilgerströme; Herbergen, Kapellen und Klöster werden gebaut. Der Handel blüht.
"Berlin, 30. Oktober 1848. Stellen Sie sich vor: Die dunkel-blutroten Flecken bilden eine Gallerte auf den Speisen", schreibt der Mikrobiologe Christian Gottfried Ehrenberg an seinen Freund, den Naturforscher Alexander v. Humboldt. "Es ist nicht wie Schimmel, sondern ein Haufen kleiner roter Tierchen. Feuchte Orte, Mehlteig, warme Luft im Sommer begünstigen ihren Aufenthalt auf Hostien."

Im gallertartigen Stoffwechselprodukt einer Mikrobe

Ehrenberg weist nach, dass im gallertartigen Stoffwechselprodukt des "Bacteriums Prodigiosum" der rote Farbstoff Anilin enthalten ist. Es ist ihm die Enthüllung der Zusammenhänge zwischen den "blutenden" Hostien und den dafür verantwortlichen Erregern gelungen. "Man wusste über Jahrhunderte nicht, dass, wenn rote Blutflecken überhaupt natürlich entstanden sind, die mit einem Mikrobenbefall zu tun haben", sagt Olaf Rader.
Es ist eine kleine Sensation! Und - des Rätsels Lösung. Also ist man nun jahrhundertelang zu einem Bakterium gewallfahrtet? War alles nur "Hokuspokus"? - Eine Antwort darauf hat vielleicht der Kunsthistoriker Oliver Seifert, ehemaliger Mitarbeiter am "Museum für Brotkultur" in Ulm, wenn er schreibt: "Dem Gläubigen wird es allein darauf ankommen, wofür die veränderte Hostie steht. Die Mikrobiologie reicht in diese Sphäre nicht hinein. Sie beschreibt lediglich die Wirkung chemischer Substanzen, deutet diesen Prozess aber nicht im Hinblick auf ein religiöses Heilsgeschehen."
Mehr zum Thema