Glaube, Spiritualität und Musik

"Kirchen sind auch Kulturorte"

07:59 Minuten
Ein Pop-Konzert in einer Kirche, mit blauem Licht und tanzenden Silhouetten. Im Hintergrund strahlt ein weißer "Jesus"-Schriftzug.
Musik und Religion sind eng verbunden - auch abseits der klassischen Orgelmusik. © Edward Cisneros / unsplash
Ud Joffe im Gespräch mit Christopher Ricke · 04.08.2019
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Kirchen entwickeln sich immer mehr zu Konzertsälen. Welche Rolle spielt Musik für Religionen? Eine sehr wichtige, sagt Dirigent Ud Joffe. Mit Musik lassen sich auch Ungläubige in Kirchen locken.
Christopher Ricke: Wir beschäftigen uns in dieser Stunde intensiv mit Musik in der Religion und auch mit Religion in der Musik. Ich spreche jetzt mit dem Dirigenten Ud Joffe, seit zehn Jahren Vorsitzender der Synagogengemeinde in Potsdam und seit 20 Jahren künstlerischer Leiter der Musik an der Potsdamer Erlöserkirche. Musik kann Herzen öffnen, kann Seelen erheben, aber zentral ist in der Religion ja immer die Verkündigung des Wortes. Wie viel Platz braucht Musik in einem Gottesdienst, egal in welcher Religion?
Joffe: Das ist sicherlich unterschiedlich, aber in der ursprünglichen Form, glaube ich, dass Wort und Musik, sogar Tanz, integrale Bestandteile der Rituale der Urmenschen waren. Diese Teilung (von Wort und Musik) kam, glaube ich, ein paar Tausend Jahre später mit der Entwicklung, auch mit der Entwicklung der Religionen.
Ricke: Tanz im religiösen Kontext ist relativ selten. Mir fallen vielleicht die Sufis noch ein, im Islam, aber sonst wird eher gesungen.

Beten und singen am Lagerfeuer

Joffe: Ja, aber im Urwald um das Lagerfeuer haben die Menschen sich versammelt, und sie haben auch ihre Ängste, ihre moralische Erwartungen, ihre Werte, alles verbunden mit Wort, Gesang, Bewegung. Das war ihr religiöses und soziales Leben, alles in einem. Danach kam die Entwicklung der Religionen, insbesondere der monotheistischen Religionen mit der Zentralisierung der Riten, Zentralisierung der Glaubensbekenntnisse, und da fing schon diese Spaltung an.
Ricke: Musik, vor allen Dingen gemeinsamer Gesang, vielleicht auch gemeinsamer Tanz, das wirkt ja, aber warum und wie wirkt das auf uns Menschen?
Joffe: Gut. Ich denke, alle, die ihre religiösen Werte verbreiten wollten, waren sich absolut bewusst, dass man mit Kunst Menschen auf eine ganz andere Weise öffnet. Mit Musik auf jeden Fall. Deswegen haben die von vornherein die Inhalte auch musikalisch gebunden. Menschen merken sich auch bestimmte Texte viel besser, wenn sie sie mit einem musikalischen Inhalt versehen. Wie viele Menschen können aus dem Stand heraus ein Gedicht vortragen? Wie viele Menschen können mehrere Schlager hintereinander weg singen? Da sehen Sie, dass Musik wirkt.
Ricke: Das ist was Sinnliches.
Joffe: Ja, natürlich.

Sinnliche Erfahrung im Gottesdienst

Ricke: Ich bin als Katholik ja mit sehr viel Sinnlichkeit im katholischen Ritus aufgewachsen – da gibt es die Orgel, da gibt es den Gesang, das Gloria, Agnus Dei, Weihrauch kommt noch dazu, Glocken, und dann gibt es das neue Lied mit Querflöte und Gitarre. Das ist ja nicht in allen Konfessionen, nicht in allen Religionen so. Wie sind denn Ihre Erfahrungen, wer ist denn besonders musisch offen, und wer hält sich eher zurück?
Joffe: Ich denke, Musik spielt in allen Kulturen eine starke Rolle. Die Frage ist, ob in religiösen Abläufen oder rituellen Abläufen. Im Judentum hat man zum Beispiel das Instrumentalspiel als Arbeit gesehen, und deswegen ist das am Sabbat nicht vorhanden. Das heißt, in der Synagoge fehlt jede Begleitung im orthodoxen Ritus. Mit den Jahren hat sich die Vorbeterrolle entwickelt, sodass der Vorbeter singt und auch die Gemeindemitglieder. In der evangelischen Kirche heute, in der Kirche generell, spielt Musik eine zentrale Rolle. Das ist wie ein roter Faden durch den ganzen Gottesdienst, und das hat meiner Meinung nach auch eine große Bedeutung für die Beliebtheit dieser Gottesdienstform. Dass die Menschen sich beteiligen, selber aktiv, durch singen.
Ricke: Jetzt haben wir ja vor wenigen Minuten über Orgeln in Synagogen, nicht in orthodoxen, sondern in Reformsynagogen berichtet. Der Einbau von Orgeln, war das eine Öffnung für die mehrheitschristliche Gesellschaft oder eine Art Anpassung, Unterwerfung?

Anpassung an die Mehrheitsgesellschaft

Joffe: In Deutschland auf jeden Fall. Das blieb nicht nur bei der Orgel, sondern man hat auch christliche Kompositionen oder weltliche Kompositionen von europäischen Komponisten genommen und die mit hebräischen Texten versehen, um eben in der Synagoge, Reformsynagoge in Deutschland ähnliche Rituale zu haben wie der Nachbar. Aber es gab auch Orgeln in Osteuropa, auch bei orthodoxen Synagogen, die wurden aber nicht am Sabbat benutzt. Sie wurden während der Woche verwendet für andere Sachen: Hochzeiten, Bar-Mizwas und so weiter. Aber klar, in Deutschland war das expliziter Wunsch der assimilierten Juden, sich zu assimilieren.
Ricke: Machen wir mal den Fokus etwas größer auf, verlassen wir die Kirche und die Synagoge und gehen in die Popmusik: Da gibt es auch solche Beispiele, da steht manchmal sogar was an der Spitze der Charts. Zum Beispiel "Halleluja": Kennt wahrscheinlich jeder, von Leonard Cohen, aber wenn wir ehrlich sind, ist das ja kein frommes Lied, sondern da geht es um eine Beziehungskiste, aber eben mit so einem spirituellen Gesangsanteil. Was ist denn das?

Spirituell ist nicht religiös

Joffe: Ja, das haben Sie richtig gesagt, spirituell und nicht religiös, das hat mit Religion nichts zu tun. Er greift natürlich auf eine Vorlage zurück, die vielen Menschen bekannt ist. David. David und seine Harfe, David und seine verbotene Beziehung zu Bathseba. Das ist eine sehr pikante Geschichte aus der Bibel, und darauf baut er auch seine Liebe, seine vielleicht verbotene und ungelungene Liebe. Er nutzt das Schlagerwort: Halleluja. Na ja, mit Halleluja hast du schon das Publikum irgendwie bei dir.
Ricke: Darf der das, ist das gut oder ist das schlecht?
Joffe: Man darf alles. Halleluja heißt nichts anderes als "lobe Gott", und wenn er weiß, warum er das in seinem Lied einbaut, dann ist das okay.
Ricke: Jetzt sind ja in den Kirchen immer weniger, die Gott loben: Die Gläubigen werden weniger in Deutschland, aber die Kirche an sich bleibt natürlich. Viele Kirchen öffnen sich, werden zu Veranstaltungs-, auch zu Konzerträumen oder -sälen. Wie sehen Sie denn diese Entwicklung, ausdrücklich als künstlerischer Leiter der Musik an der Erlöserkirche Potsdam?
Joffe: Natürlich verliert man, "seine Gläubigen", aber das hat eben damit zu tun, dass der Staat generell die jüdisch-christliche Moral übernommen hat. Allein in der deutschen Verfassung sind viele Moralgüter verankert, so dass viele Leute es nicht nötig haben, sich so stark zu bekennen oder zu engagieren für religiöses Leben, weil sie eben nicht von der Grundidee eines Schöpfers motiviert sind. In der Tat haben wir aber auch in Potsdam diskutiert, ob auch Musik in der Kirche stattfinden soll.
Deswegen haben wir zum Beispiel in unserem Verein, der ein Trägerverein ist, "Musik an der Erlöserkirche" und nicht "Kirchenmusik". Es gibt Kirchenmusik und es gibt Musik in der Kirche. Mittlerweile, denke ich, - da bekennt sich auch die evangelische Kirche dazu - sind Kirchen auch Kulturorte. Und das ist auch sicherlich im Sinne der Kirche, dass Menschen, die keine Gläubigen sind, in die Kirche kommen, ihre Hemmschwelle überwinden, erst mal kommen für eine Kulturveranstaltung und dann auch vielleicht mal noch andere Ideen oder Bedürfnisse entwickeln. Also im Sinne der Verkündigungsarbeit soll die Kirche sich natürlich als Kulturort öffnen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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