Gläubige in der DDR

Leben im fremden Haus

Die evangelische Marienkirche an der Karl-Liebknecht-Strasse in Berlin-Mitte, aufgenommen am 18.8.1999.
Die evangelische Marienkirche an der Karl-Liebknecht-Strasse in Berlin-Mitte © picture-alliance / dpa / Mirschel Hansjoachim
Von Étienne Roeder · 02.11.2014
Gläubige Juden, evangelische und katholische Christen im Sozialismus: Die Geschichte der unterschiedlichen Religionsgemeinschaften in der DDR ist umfassend und kompliziert – aber auch von Gemeinsamkeiten geprägt.
"Wir leben in einem Haus, dessen Grundfesten wir nicht gebaut haben, dessen tragende Fundamente wir sogar für falsch halten. Wir tragen gerne dazu bei, dass wir selbst in diesem Haus noch menschenwürdig und als Christen leben können. Aber wir können kein neues Stockwerk darauf setzen, da wir das Fundament für fehlerhaft halten. Dieses Haus bleibt uns ein fremdes Haus."
Das Bild vom Fremden Haus – geprägt 1953 vom Meißner Bischof Otto Spülbeck – charakterisiert eindrücklich das angespannte Verhältnis zwischen den Ansprüchen der Christen und der sich im Aufbau befindenden sozialistischen Gesellschaft in der DDR. Der propagierte antireligiöse Kurs der SED Politik, bei dem die Religion beim Aufbau des Sozialismus nur als Relikt einer bürgerlichen Vergangenheit galt, bedeutete für Christen, dass sie in einem permanenten Spannungsfeld zwischen Überzeugung und Anpassung leben sollten.
Im 25. Jahr nach dem Mauerfall geht die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur mit Sitz in Berlin im Rahmen ihrer Veranstaltungsreihe "Erinnerungsort DDR", der Frage nach, wie die Anhänger verschiedener Glaubensgemeinschaften in der alltäglichen Erfahrung diesen Balanceakt empfunden und gelebt haben. "Fürchtet Euch nicht!" - dieser Imperativ aus dem Matthäus Evangelium war die Überschrift einer Podiumsdiskussion, die jüngst in Berlin stattfand.
Der Theologe Wolfgang Fitschen, Professor für Neuere und Neueste Kirchengeschichte der Universität Leipzig, verwies gleich zu Beginn darauf, dass bei der retrospektiven Darstellung von Glaube versus Sozialismus, Kirche versus Ideologie, das Verhältnis zwischen Glauben und der Religionsgemeinschaft nicht verständlich wird:
"Glaube und Kirche sind nicht deckungsgleich. Katholiken haben eine andere religiöse Praxis als Protestanten. Innerhalb des Protestantismus zeigt sich eine gewisse Diversität zwischen den etablierten Landes- und Freikirchen. Neben Christen gab es auch Juden in der DDR, und im Übrigen durch den Aufenthalt von Arbeitskräften und Gaststudenten arabischen sozialistischen Bruderländern auch Muslime, die allerdings große Schwierigkeiten hatten, ihre Religion zu leben. Wenn man das religiöse Tableau insgesamt aufmacht, wird man sehen, dass der Glaube eine andere religiöse Praxis kennt und auch natürlich andere Inhalte hat."
Unterschiedliche Erfahrungen religiöser Gruppen
Wie unterschiedlich die Erfahrungen religiöser Gruppen in der DDR waren, davon konnte zum Beispiel die Künstlerin und Kantorin der Berliner Jüdischen Gemeinde Jalda Rebling berichten. Mit ihren Eltern kam sie in den 50er-Jahren aus Amsterdam in die DDR. Ihre Mutter, die jüdische Sängerin und Tänzerin Lin Jaldati, wurde mit ihren Interpretationen jiddischer Lieder in der DDR eine Art Aushängeschild jüdischer Kultur.
Jalda Rebling empfand als Tochter einer Auschwitz Überlebenden ihre persönliche Form religiösen Lebens in der DDR somit als Suche nach einem Platz zwischen den Stühlen:
"Die jüdischen Gemeinden in den frühen 50er-Jahren waren Gemeinden von traumatisierten Menschen, die in irgendeiner Art und Weise die Shoah überlebt haben. Es gibt Juden, die sich bewusst für Deutschland entschieden haben. Denn hier waren die Alliierten, die uns bewachen. Es waren geschlossene Gemeinden, geschlossene Freundeskreise. Und innerhalb dieser Freundeskreise gab es Platz für Philosophie, für freies Denken, für alles Mögliche. Und meine Mama hat mich immer gelehrt: 'Verbeug Dich vor niemandem, außer vor Gott!' Denn zwischen den Stühlen ist eine Menge Platz."
Während in der Sowjetunion durch einen von Stalin befeuerten paranoiden Judenhass 1952 die Blüte der jüdischen Intelligenzija umgebracht wurde, gab es in der DDR im gleichen Zeitraum eine Art offizielles jüdisches Kulturleben, und damit auch unterschiedliche Erfahrungen. Die jüdische Kultur, allen voran das jiddische Liedgut, genoss bis zum Sechstagekrieg 1967 eine relative Schonfrist. Als jedoch auch in der DDR alles jüdische Leben unter den Generalverdacht des verhassten Zionismus fiel, war es auch damit vorerst vorbei. Es wurde deutlich, wie belastet und fragil das Verhältnis zwischen jüdischen und nichtjüdischen Bürgern im Nachkriegsdeutschland immer noch war:
"Diese Angst vor den Deutschen hat die Gemeinden in den 50er-Jahren noch sehr geprägt. Also das Kind Jalda mit der Mama an der Hand einkaufen und plötzlich macht die Hand von meiner Mama so und sie sagt: 'Ich will nicht wissen, was der vorher für einen Bonbon an seinem Revers hatte.'"
Musik: Lin Jaldati S´brennt (Mordechai Gebirtig)
"Es brent, briderlekh, es brent.
Undzer orem shtetl, nebekh, brent!
Beyze vintn mit irgazon,
Raisn , Brekhn, un tseblozn,
starkr nopch de vilde Flamen
Un ir shteyt un kukt,
Azoy zikh, mit farleygte hent.
Oy, ir shteyt un kukt
Azoy zikh, vi undzer shtetl brent."
Auch in der DDR gab es im Rahmen der Arbeitsgemeinschaft Kirche und Judentum einen interreligiösen Dialog - ein notwendiger, auch und besonders gerade weil - wie in Jalda Reblings Erinnerung deutlich wird - durch beleidigende Telefonanrufe oder diffamierende Schmierereien Antisemitismus auch in der DDR von Kindesbeinen an zu ihrem Leben dazugehörte.
Balanceakt des Abwägens
"Unsere sozialistische Gesellschaft bietet jedem Bürger unabhängig von Alter und Geschlecht, Weltanschauung und religiösem Bekenntnis, Sicherheit und Geborgenheit."
So beschrieb der Staatsratsvorsitzende Erich Honecker im Jahre 1976 das Verhältnis zwischen Staat und Kirche vor Vertretern der Konferenz der evangelischen Kirchenleitungen. Und tatsächlich gab es Mitte der 70er-Jahre im Vergleich zu den 50er-Jahren offiziell die Bemühungen, die Ziele des real existierenden Sozialismus und der Kirche offiziell entspannter zu sehen. Der Vorsitzende des Kirchenbundes, der berlin-brandenburgische Bischof Albrecht Schönherr, relativierte die zitierte Einschätzung Honeckers und verwies darauf, dass "das Verhältnis von Staat und Kirche so gut ist, wie es der einzelne christliche Bürger in seiner gesellschaftlichen Situation vor Ort erfährt."
"Und genau das markierte das Problem, das sozialistische Staatsbürger christlichen Glaubens - wie das im staatlichen Jargon hieß - hatten. Mit der Kirche ging das irgendwie offiziell, aber einzelne Christen und ihre Kinder hatten es schwer."
Wie schwer gerade der Balanceakt des Abwägens war, beschrieb Ellen Ueberscher, die in Ost-Berlin aufwuchs:
"Die Angst spielte schon eine große Rolle. Und ich zum Beispiel wollte Abitur machen. Ich wollte eine gute Ausbildung machen. Ich war an einer Schule, wo wir mehr Sprachunterricht hatten – früher Russisch, früher Englisch und der Preis war: Diese Schule war in Strausberg. Und Strausberg war Garnisonsstadt. Und außer meinen Eltern waren alle anderen nicht nur Genossen, sondern auch in der NVA. Das war die Realität in der ich aufgewachsen bin, wo ich mir schon überlegen musste, jeden Tag, wie groß sind die Kompromisse, die ich mache. Und ich stehe dazu, Kompromisse gemacht zu haben. Weil man manchmal das Gefühl hat, alle DDR-Christen waren heldenhaft im Widerstand. Ich war kein Widerständler, wir waren stinknormale Gemeindechristen. Und dann waren Dinge wie die Friedenswerkstätten diese Räume der Freiheit."
Die Friedenswerkstätten in der Ost-Berliner Erlöserkirche – eine Zusammenarbeit verschiedenster Friedensgruppen und der Evangelischen Landeskirche - waren in den 80er Jahren ein Sammelbecken für Friedensinitiativen, die auch systemkritische Positionen bezogen. Auch kritische Autoren wie Stefan Heym oder der Liedermacher Gerhard Schöne waren Gäste der Friedenswerkstatt. Der Versuch, ein Leben zwischen Pragmatismus und Widerstand zu gestalten, begleitete auch ihn zeitlebens durch seine Texte:
Musik: Gerhard Schöne: Lied von der zu früh aufgestandenen Wahrheit
"Am Montagmorgen, es war noch dunkel,
ist eine Wahrheit zu früh erwacht.
Sie schlief im Hirne von einem Sänger
und hat den Mann um den Schlaf gebracht.
Der schrieb sie nieder in einer Strophe
und sang das Liedchen dann vor sich hin,
jedoch der Zensor im gleichen Kopfe
rieb sich bedenklich das fette Kinn."
Katholiken in der Parallelgesellschaft
Und wie ging es den Katholiken? Der Magdeburger Bischof Gerhard Feige sah die Katholiken in der DDR noch am privilegiertesten innerhalb der osteuropäischen Blockstaaten:
"Wir haben wie in einer Parallelgesellschaft gelebt. In großer Distanz zur Gesellschaft. Man hat so eine Insel der Seligen gebildet, und ein Großteil des Lebens vollzog sich innerhalb der Gemeinde."
Als 1978 der Wehrunterricht an den Schulen der DDR eingeführt wurde, sollte die Ablehnung der Christen demgegenüber dann den ökumenischen Funken auslösen, der auch die Katholiken dazu brachte, sich noch intensiver in gesellschaftlichen Fragen zu artikulieren – an der Seite der evangelischen Kirchen. Dass es innerhalb der verschiedenen Kirchen, ob Freikirchen oder bei den Katholiken, auch Zuträger und sogar informelle Mitarbeiter der Staatssicherheit gegeben hat, ist ein offenes Geheimnis und der Umgang mit dieser problematischen Vergangenheit einiger weniger Gläubiger schwankt zwischen Verdrängung und konkreten Schritten der Aufarbeitung.
Es bleibt die Erkenntnis, dass in diesem fremden Haus - der DDR, in der eben vieles Realität war, außer der Sozialismus – auch Christen und andere Gläubige durchaus leben konnten. Jedoch nur mit dem Gefühl des geduldeten Untermieters.
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