Giorgio Agamben: "Stasis. Der Bürgerkrieg als politisches Paradigma"

Terrorismus als weltumspannender Bürgerkrieg

Schlacht von Fort Sanders im amerikanischen Bürgerkrieg 1863
Giorgia Agamben betrachtet Bürgerkriege historisch (hier die Schlacht von Fort Sanders im amerikanischen Bürgerkrieg). © imago/StockTrek Images
Von Michael Opitz · 24.11.2016
Jeder Mensch ist in einen "Weltbürgerkrieg" verwickelt. In seinem Buch "Stasis" geht der Philosoph Giorgio Agamben auf die Ursprünge von Bürgerkriegen ein - zurück bis in die Antike.
In zwei Seminaren, die Giorgio Agamben 2001 an der Princton University gehalten hat, hat sich der in Venedig und Paris lehrende Professor mit der Bedeutung des Bürgerkriegs und der Rolle des Volkes im modernen Staat auseinandergesetzt. In der Vorbemerkung zu seinem neuen Buch "Stasis" sollen nun die Leser beurteilen, ob die von ihm vor fünfzehn Jahren aufgeworfen Fragen noch aktuell sind. Beide Texte - "Stasis" und "Leviathan und Behemoth" - sind nun als vorletzter Band seines "Homo sacer"-Projektes in deutscher Sprache erschienen, ein Jahr nach dem sie in Italien veröffentlicht wurden.

Das Leben nicht als Besitz, sondern zum Gebrauch

Der 2002 erschienene Band "Homo sacer. Die souveräne Macht und das nackte Leben" sorgte nach seinem Erscheinen für Aufsehen, weil Agamben nach den Voraussetzungen fragt, die es ermöglichen, einen Menschen in einem Staat mit einem funktionierenden Rechtswesen töten zu dürfen, ohne mit strafrechtlicher Verfolgung rechnen zu müssen. Dass ihn dieser theoretische Ansatz, der sich aus dem römischen Recht herleitet, zur Frage des Rechts in den Konzentrationslagern führte, war naheliegend. Aber Agamben war in den danach erschienen Veröffentlichungen im Rahmen seines Projektes immer wieder auch für Überraschungen gut, weil er sich mit seinen theoretisch hoch ambitionierten Studien auch in weniger naheliegende Bereiche vorwagte. Etwa, wenn er 2011 eine Untersuchung zum Mönchtum vorlegte, in der ihn die innige Verbundenheit des Lebens mit seiner Lebensform interessiert. Das Leben, so heißt es bei Agamben, soll als eine Form gedacht werden, die einem "nicht als Besitz, sondern zum Gebrauch gegeben ist".

Der Bürgerkrieg als Schwelle

Wenn Agamben sich nun dem Bürgerkrieg zuwendet, dann geschieht das vor dem Hintergrund des Terrorismus, den er als einen weltumspannenden Bürgerkrieg definiert. Doch wie bei Agamben üblich, gehen solchen Befunden Analysen voraus, in denen der Autor weit zurück in die Antike geht. In der Auseinandersetzung mit den Ursprüngen hofft er, Antworten auf aktuelle Fragestellungen zu finden. Der Bürgerkrieg markiert für ihn eine Schwelle. Er reicht sowohl in die Privatsphäre hinein, denn hervorgegangen ist er aus einer Familienfehde, zugleich greift der Bürgerkrieg aber auch in den Bereich der Öffentlichkeit ein, wenn familiäre Auseinandersetzungen nicht auf die Privatsphäre begrenzt bleiben. Damit verbunden ist sowohl eine Politisierung des privaten Bereichs als auch einer Entpolitisierung der polis. Der Bürgerkrieg lässt Drinnen und Draußen, Haus und Stadt, Bruder und Feind ununterscheidbar werden.

Kein Rückzug in die Privatsphäre möglich

Der Autor schlussfolgert daraus, dass das Leben an sich "zum Gegenstand der Politik geworden ist". Mit den bekannten Folgen für unser gegenwärtiges Leben, zu dem der weltweite Terrorismus inzwischen gehört. Jeder ist in diesen "Weltbürgerkrieg" involviert. Agamben zeigt, wie aktuell seine Analyse ist, denn der Rückzugsraum in die Privatsphäre ist uns seit dem 11. September 2001 nicht mehr möglich, weil es ihn nicht mehr gibt.

Giorgio Agamben: Stasis. Der Bürgerkrieg als politisches Paradigma
Aus dem Italienischen von Michael Hack
Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2016
93 Seiten, 20 Euro

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