"Gimmick"-Forschung

Der Charme des Trivialen

Eine junge Frau mit "Rentiergeweih" im Haar
Gimmick zur Winterzeit - eine junge Frau mit "Rentiergeweih" im Haar © picture alliance / dpa / Daniel Bockwoldt
Von Andreas Baum · 13.01.2015
An einer Theorie des "Gimmicks" arbeitet die Literaturwissenschaftlerin Sianne Ngai. Dabei geht es um Dinge, die wir begehren oder die uns abstoßen - in jedem Fall aber besessen werden wollen. Spuren davon findet sie auch in Romanen von Jonathan Franzen oder Thomas Mann.
Dass Sianne Ngai ihren Vortrag über das Gimmick im Berliner Kulturlabor ICI hält, ist kein Zufall. In diesem privaten Institut, soll wissenschaftlich zusammenfinden, was viel zu oft getrennt gedacht wird: Physik und Literatur, Kunst und harte Ingenieurswissenschaften.
Weshalb hier, im obersten Stockwerk einer restaurierten Brauerei im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg, schon Debatten geführt wurden zur Ästhetik Stehender Gewässer mit ihren Stauungen und Stockungen, aber auch von paradoxen Gelüsten die Rede war und von Bewegung, Trägheit und Lebensnot.
Sianne Ngai spricht eine Stunde lang über das Gimmick, das im Deutschen nur unzureichend mit "technischem Kniff" oder "witziger Beilage" übersetzt werden kann. Mitschnitte sind nicht erlaubt, aber immerhin, nach dem Vortrag, ein Interview.
"Das Gimmick ist ein ästhetisches Objekt, das uns zurückstößt, vor dem wir sogar Ekel und Abscheu empfinden können. Und es beinhaltet ein ästhetisches Urteil, durch das wir diese Abscheu ausdrücken. Es ist also ein stoffliches, körperliches Ding, aber auch unser subjektives, gefühltes Urteil darüber."
Ästhetik, so wie Sianne Ngai sie versteht, bezieht ausdrücklich alles Unästhetische mit ein. Weshalb die Wissenschaftlerin schon über hässliche Gefühle publiziert hat, und Bücher geschrieben hat, in denen unsere Vorliebe für das Schöne kritisiert wird. Das Hässliche, Hassenswerte, selbst das Exkrement und der Auswurf nach durchzechter Nacht kommen in Kunst und Kunstgeschichte zu kurz, sagt sie.
Objektophilie in zeitgenössischen Romanen
Aber zurück zur Theorie des Gimmicks, die Sianne Ngai während ihres einjährigen Aufenthalts am Wissenschaftskolleg in Berlin weiter ausarbeiten wird.
"Das wirklich Interessante an Gimmicks ist, dass obwohl wir an sie meist im Kontext von Werbung oder Massenmedien denken, wir sie in den Kunstformen finden, die bei uns das höchste Prestige erlangen. So ist zum Beispiel philosophische Roman unter Umständen etwas 'gimmicky' …"
Und es ist nicht zu bestreiten, dass die Romane zeitgenössischer amerikanischer Autoren von Louis Begley über Philip Roth bis Jonathan Franzen randvoll sind mit Objekten, die von den handelnden Figuren begehrt oder abgestoßen, in jedem Fall aber besessen werden wollen – Gimmicks eben. Und Thomas Mann hat seinen "Zauberberg", so sagt Ngai, nur geschrieben, um sich seitenlang über Gimmicks auszulassen, die Handlung pro forma drumherum gestrickt, um der Objektophilie des Autors und seiner Leser eine Bühne zu geben. Am besten zur Geltung kommen Gimmicks aber im Science-Fiction-Roman.
"Gimmicks stören uns, sie gehen uns auf die Nerven, weil sie nicht mit der Zeit gegangen sind. Niemand würde so etwas heute noch kaufen oder benutzen. Gimmicks wirken aber auch 'gimmicky', wenn sie zu futuristisch daher kommen. Science Fiction ist eins der literarischen Gattungen in dem Fragen der Zeit, aber auch der Zeitmäßigkeit ständig thematisiert werden. Von allen Genres der Literatur, in denen Gimmicks eine Rolle spielen, ist Science Fiction eins der interessantesten."
Menschen mit Gimmick-Charakter
Und es gibt, so weist sie nach, sowohl bei Thomas Mann als auch bei Stanislaw Lem und Philip K. Dick Personen, die plötzlich Gimmick-Charakter bekommen, allerdings auch Gimmicks, die sich wie Personen aufführen – in der Literatur wie im Leben.
"Gimmicks scheinen manchmal wie Personen zu sein. Sie wollen, dass wir uns mit ihnen beschäftigen. Darum gehen sie uns so auf die Nerven."
Wenn also sogar Menschen Gimmicks sind, stellen sich existenzielle Fragen plötzlich neu: Wo sind die Grenzen der Theorie vom Gimmick? Ist am Ende das ganze Universum ein Gimmick? Ist am Ende Gott ein Gimmick? Sianne Ngai lacht im Gepräch immer dann, wenn sie glaubt, dass sie verstanden worden sei, und wenn sie fürchtet, dass sie unverstanden bleibt, dann lacht sie auch. Erinnern wir uns, sagt sie, da wo es unschön wird, da wird die Ästhetik interessant.
"Ich interessiere mich eigentlich für Dinge, die zwiespältig sind. Dinge, die uns gleichzeitig anziehen und abstoßen. Ich suche eigentlich nicht so sehr, was ästhetisch ungut ist, sondern was interessant ist. Und die Kategorie 'interessant' beinhaltet einen gewissen Zwiespalt. Aber ich rede lieber über etwas, das interessant ist, als über etwas, das schön ist. Das Interessante ist interessanter."
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