Gewissheiten ins Wanken bringen

Von Victoria Eglau |
Eine Plattform von Künstlern für Künstler ist das Projekt "Panorama Sur" in Buenos Aires, bei dem sich Autoren aus Lateinamerika und Spanien über ihre Bühnenstücke austauschen. Auch das Publikum profitiert, die Säle sind immer voll.
Ein Raum mit Spiegelwand, in einem Altbau an der Theatermeile Avenida Corrientes, mitten in Buenos Aires. Wo normalerweise Tango unterrichtet wird, findet zur Zeit ein Intensivseminar für junge Theaterautoren und Regisseure aus ganz Lateinamerika und Spanien statt. Es leitet der bekannte argentinische Dramaturg Alejandro Tantanian im Rahmen des Theaterprojekts Panorama Sur, auf deutsch, "Panorama Süd".

Alejandro Tantanian: "”Dass die lateinamerikanischen Theatermacher schlecht vernetzt sind, war einer der Gründe, weshalb wir Panorama Sur ins Leben gerufen haben. Ich kenne mehr Autoren aus Deutschland und Spanien als aus Kuba oder Bolivien. Wir wollen, dass die Künstler sich begegnen und intensiv austauschen. Ein weiterer Punkt: Buenos Aires ist in Lateinamerika als Mekka des Theaters bekannt. Für jeden spanischsprachigen Autor ist es attraktiv, hierher zu kommen.""

Vier der 20 Dramaturgen sind mit Stipendien des Goethe-Instituts nach Buenos Aires gekommen. Eine von ihnen: die 33-jährige Camila Urioste aus der bolivianischen Hauptstadt La Paz.

"Man merkt, dass diese Theaterplattform von Künstlern für Künstler konzipiert worden ist. Es geht darum, Theater zu sehen, über Theater nachzudenken und selber Theater zu machen. Ein Traum!"

Wie alle Seminarteilnehmer hat Camila Urioste das Stück mitgebracht, an dem sie gerade arbeitet. Es geht um Prostitution, deren Opfer aus Uriostes Sicht Huren und Freier gleichermaßen sind:

"Das Schöne ist, dass meine Kollegen verstanden haben, worauf ich hinaus will, und dass sie das, was ich bisher geschrieben habe, genießen konnten. Ihre Kritik war für mich sehr wertvoll."

Auch für den Spanier Victor Sanchez Rodriguez war das Feedback bereichernd. Er schreibt zur Zeit an einer Art Roadmovie fürs Theater, in dem die Bewegung durch die Sprache erzeugt wird:

"Die Teilnehmer von Panorama Sur urteilen nicht, sondern versetzen sich in die anderen hinein. Jeder hat ja seine eigene Theatersprache, aber wir versuchen, den schöpferischen Antrieb der anderen zu verstehen."

Der 28-jährige Autor und Regisseur ist zum ersten Mal in Buenos Aires und genießt das pralle Theaterleben der argentinischen Hauptstadt in vollen Zügen:

"”Im Vergleich zu Spanien gehen die Leute hier viel ins Theater, die Säle sind immer voll, das ist wunderbar. Auf der anderen Seite: In Spanien wurde noch nie so viel Theater gemacht wie jetzt. Und wir wollen weiter Theater machen, aber es sind keine Mittel da. Ein bisschen lernen wir da von Argentinen, wo Stücke oft mit wenig Geld auf die Bühne gebracht werden.""

[O-Ton: "Discurso de un hombre decente"]

Panorama Sur will zwar kein Theaterfestival sein, aber das argentinische Publikum profitiert auch von dem Projekt. Renommierte Dramaturgen aus Lateinamerika und Spanien halten öffentliche Masterclasses ab und präsentieren ihre Stücke.

Die kolumbianische Kompagnie Mapa Teatro zeigte "Discurso de un Hombre Decente" (Rede eines ehrbaren Mannes). Thema der Performance ist eine Rede, die beim toten Drogenboss Pablo Escobar gefunden wird. Es ist die Antrittsrede eines Präsidenten, in der Escobar seine Vision für ein reiches Kolumbien beschreibt, durch die Legalisierung aller Drogen. Doch die Rede hat es nie gegeben, der Drogenboss bewarb sich nie für das Präsidentenamt.

Heidi Abderhalden, Mitgründerin von Mapa Teatro:

"”Die Worte, aus denen die Rede besteht, sind tatsächlich von Escobar, aber er selbst schrieb keine politische Rede. Wir haben die Wahrheit ein wenig verändert, die Wahrheit seiner Worte. Unser Stück schwankt ständig zwischen realen Begebenheiten und Fiktion. Generell geht es uns nicht darum, dass der Zuschauer überprüfen kann, dass das, was wir auf die Bühne bringen, real und dokumentarisch ist. Im Gegenteil, seine Gewissheiten sollen ins Wanken gebracht werden.""

Informationen von Panorama Sur
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