Gewinne zum Großteil von Süchtigen

Jobst Bönig im Gespräch mit Marcus Pindur · 21.10.2010
Der Vorsitzende des von den Ländern eingerichteten Fachbeirats Glücksspielsucht, Jobst Böning, hat die Ministerpräsidenten aufgefordert, die Auflagen des Europäischen Gerichtshofs zum Glücksspielmonopol streng einzuhalten und nur ein staatlich kontrolliertes Glücksspielsystem ohne Ausnahmen zulassen.
Marcus Pindur: Es ist ein Pokerspiel um sieben Milliarden Euro, so viel nehmen die staatlichen Lottogesellschaften jährlich ein. Und die Beute teilen sie sich mit den Ländern, die kassieren 40 Prozent davon. Und das sind bei Weitem noch nicht alle Gewinne, die beim Glücksspiel in Deutschland erzielt werden. Aber das Glücksspielmonopol in seiner jetzigen Form kann nicht bestehen bleiben, das hat der Europäische Gerichtshof gekippt.

Die Begründung: Wegen der erheblichen staatlichen Werbung diene das Glücksspielmonopol nicht mehr der Bekämpfung der Spielsucht, und außerdem verstoße dieses Monopol gegen die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit. Heute und morgen kommen die Ministerpräsidenten in Magdeburg zusammen, um über einen neuen Glücksspielstaatsvertrag zu reden. Und wir wollen jetzt sprechen mit Professor Jobst Böning, er ist der Vorsitzende des Fachbeirates Glücksspielsucht. Guten Morgen, Herr Professor Böning!

Jobst Böning: Guten Morgen, Herr Pindur!

Pindur: Herr Professor Böning, wie viele Leute zunächst einmal sind von der Spielsucht betroffen und wer wird allen Ernstes vom Lottospielen abhängig?

Böning: Ja, also wir haben in den letzten Jahren drei etwas noch methodisch wackelige Studien, und danach müssen wir damit ausgehen, dass wir derzeitig mindestens bis 300.000 wirklich krankhafte, süchtige Spieler haben und einen genau so hohen Teil, die Problemspieler sind. Und der Fachbeirat hat eine, vor anderthalb Jahren eine unabhängige neue Studie an ein Institut vergeben, das zu Beginn des Jahres veröffentlicht wird, und da hoffen wir, wirklich valide Zahlen zu haben, mit denen dann auch die Politik arbeiten kann.

Pindur: Und welche Glücksspiele sind das, von denen Menschen besonders abhängig werden?

Böning: Ja wir wissen, dass ungefähr aus den Behandlungen von Glücksspielsüchtigen in den letzten Jahren, dass vor allen Dingen etwa drei Viertel der behandelten Süchtigen aus dem im Staatsvertrag eben nicht erfassten gewerblichen Automatenmarkt stammen. Und wir wissen auch, dass gerade dieser Markt durch eine zunehmend optimierte Spielstruktur, durch veränderte Spielbedingungen ein hochgradiges Suchtpotential hat. Und gerade dieses wichtigste Marktsegment wird nicht erfasst im Staatsvertrag, und das hat meines Erachtens der Europäische Gerichtshof völlig zu Recht moniert. Es war die Werbung an zweiter Stelle, aber gerade, dass der größte Glücksspielmarkt nicht systematisch kohärent geregelt ist in Deutschland.

Pindur: Im Volksmund werden die ja Spielhöllen genannt. Dafür ist also der Bund zuständig. Kommt er da seiner Regulierungspflicht Ihrer Ansicht nach nach?

Böning: Ja, da muss man schon deutlich alles, was wir wissen, sagen, dass er tatsächlich seiner Bundestreue den Ländern gegenüber nicht gerecht wird. Denn es ist, das weiß man ... Durch eine äußerst starke Industrielobby – das soll die stärkste Lobby sein wie in anderen Geschäftsfeldern unserer Republik ja auch – und durch einen ja marktorientierten, durch ein marktorientiertes Gewinnstreben hat man zuletzt die Spielverordnung im Gewerberecht, die diese Spiele reguliert, so gelockert, so modifiziert, dass einmal das Spiel sehr viel anreizender, süchtiger geworden ist; und zweitens hat man eine Expansionspolitik betrieben über die Gemeinden und Länder, sodass die Spielhöllen wie Pilze aus dem Boden geschossen sind und dass sich auch die Zahl der Spielgeräte zum Beispiel innerhalb von drei Jahren von 183 auf derzeitig 225.000 gesteigert hat. Und die Gemeinden können nur über ein kenntnisreiches Baurecht etwas gegen die Spielhallen tun.

Pindur: Also kommen wir jetzt mal weg von den Automaten hin zu Lotto und Sportwetten: Die sind ja durch den Glücksspielstaatsvertrag geregelt. Geht es den Ministerpräsidenten denn Ihrer Ansicht nach eher um die Eindämmung der Spielsucht tatsächlich oder um den Erhalt ihrer Einnahmen? Denn das ist ja eine ganze Menge Geld, die da jährlich abkassiert wird!

Böning: Sie sehen ja schon, wie die einzelnen Länder unterschiedlich reagieren. Schleswig-Holstein sieht nur das Geld, sieht nicht den ganz wichtigen Aspekt, dass bei den unterschiedlichen Spielen teilweise bis über die Hälfte das eingespielte, das verdiente Geld auf Kosten von Kranken geschieht. Es wird also auf dem Rücken von Kranken abkassiert, bei den gewerblichen Spielen sind es 56 Prozent, bei der Sportwette Odset sind es 52 Prozent, bei den gemittelten Spielbankangeboten sind es immerhin 36 Prozent der Bruttospielgewinne stammen von kranken Süchtigen. Es wird aufgrund von Kranken abkassiert.

Das war früher vielleicht noch schlimmer und einige verantwortliche Bundesländer sehen das schon und möchten ein sehr rigides Gesetz machen, dass man auch durch gesetzliche Vergaben von Lizenzen besser kontrollieren kann, als wenn das freie Anbieter tun, die ja immer beim Geschäft verständlicherweise verdienen müssen. Aber nun ist dieser elende Kompromiss, man muss sich einigen.

Und Sie wissen ja auch, dass eine Regierungsfraktion eigentlich für die völlige Liberalisierung ist. Und da muss man befürchten, dass hier wieder ein Kompromiss rauskommt, dem der EuGH auch seine Front entgegenzeigen wird. Und ich bin also skeptisch, ob die wirklich den Schutzgedanken in der Fülle eingesehen haben und immer noch glauben, man kann gleichzeitig viel verdienen und gleichzeitig schützen. Das geht nicht!

Pindur: Letzte Frage mit der Bitte um kurze Antwort: Was sollten die Ministerpräsidenten beschließen, um die Spielsucht einzudämmen?

Böning: Ja, sie sollten sich streng an die Auflagen des Europäischen Gerichtshofes wenden, sie sollten ein staatlich kontrolliertes – und das ist auch noch verbesserungsfähiges – System zulassen, und sie sollten keine Ausnahmen machen und selbst die Angebote der Sportlobby, die ja riesengroß ist, die mit Sportwetten wetten, müssen sie wissen, dass auch Sportwetten dann im Internet ein ungewöhnlich hohes Suchtrisiko haben. Auch da wissen sie aus Marktanalysen, dass etwa 60 Prozent dieser Gewinne bereits jetzt durch illegales Spielen von kranken süchtigen Spielern sind. Wenn sie das nicht kapieren, dann, fürchte ich, wird das Urteil in Brüssel genau so ausfallen wie jetzt.

Pindur: Herr Böning, vielen Dank für das Gespräch!

Böning: Ja gerne!

Pindur: Professor Jobst Böning, Vorsitzender des Fachbeirates Glücksspielsucht.