Gewandhausorchester mit Jiří Bělohlávek

Musik statt Mord

Blick in das Gewandhaus Leipzig auf das Gewandhausorchester, das am 11.03.2015 zur Eröffnung der Leipziger Buchmesse spielt.
Das Gewandhausorchester Leipzig © dpa / picture alliance / Hendrik Schmidt
14.07.2015
Böhmisch-amerikanische Musik: Es muss nicht immer Dvořáks Sinfonie „Aus der Neuen Welt" sein. Dieses Programm mit dem Leipziger Gewandhausorchester unter Jiří Bělohlávek verspricht einige Entdeckungen.
Als Chefdirigent der ehrwürdigen Tschechischen Philharmonie ist Jiří Bělohlávek heute der wichtigste Statthalter der großen böhmischen Musikkultur. Aber der 1946 geborene Prager mit dem für Nicht-Tschechen schwer auszusprechenden Namen ist auch ein international vernetzter Musiker, der beispielsweise in Großbritannien und in den USA sehr geschätzt wird. Als erster Nicht-Muttersprachler dirigierte er in London die „Last Night of the Proms" – und wurde für zwei weitere Auftritte bei diesem überaus populären Konzert engagiert. Beim Gewandhausorchester gastierte Bělohlávek erstmals 1978; dieses Konzert ist sein 35. Programm mit den Leipzigern.
Darin werden die böhmische und die angelsächsische Sphäre miteinander verbunden, jedoch ohne die sattsam bekannte Neunte Sinfonie Antonín Dvořáks, der stattdessen mit seiner weniger oft gespielten Sechsten zu hören ist. Einen noch größeren Seltenheitswert hat der erste Teil, in dem Bohuslav Martinů und Aaron Copland aufeinander treffen. Für Martinů setzt sich Bělohlávek besonders ein; dessen flammende Tondichtung nach Fresken von Piero della Francesca ist ein Beispiel für die Weiterentwicklung der impressionistischen Musik nach 1945. Martinů schrieb das Werk in Frankreich – nach seiner Rückkehr aus den USA, wohin er vor dem Nationalsozialismus geflohen war.
Wenige Jahre zuvor hatte Martinů im amerikanischen Tanglewood die Gelegenheit, Aaron Copland kennenzulernen, der damals – dank seiner patriotischen Dritten Sinfonie – der berühmteste und einflussreichste amerikanische Komponist war. Der Sohn litauischer Einwanderer konnte sehr eingängig schreiben, wenn er es wollte, aber sowohl in seinen frühen Jahren als auch in seinem Spätwerk komponierte er markant avantgardistisch. Mit Anfang Zwanzig schrieb er die motorische, jazz-inspirierte Orgelsinfonie, die mit seiner Lehrerin Nadia Boulanger als Solistin uraufgeführt wurde. Die Premiere – 1925 in New York – wurde als modernistischer Schock empfunden, so dass sich der Dirigent Walter Damrosch mit folgenden Worten ans Publikum wandte: „Meine Damen und Herren, sicherlich werden Sie mir zustimmen, wenn ich sage, dass ein junger Mann, der mit 23 Jahren so eine Sinfonie schreiben kann, in fünf Jahren bereit ist, einen Mord zu begehen." Wie gut, dass Copland seine Energie auch danach ausschließlich der Musik widmete!
Gewandhaus zu Leipzig
Aufzeichnung vom 2. Juli 2015
Bohuslav Martinů
„Die Fresken des Piero della Francesca" für Orchester
Aaron Copland
Sinfonie für Orgel und Orchester
Antonín Dvořák
Sinfonie Nr. 6 D-Dur op. 60
Michael Schönheit, Orgel
Gewandhausorchester Leipzig
Leitung: Jiří Bělohlávek