Gewaltorgie hinterm Comic-Mäntelchen

Vorgestellt von Hans-Ulrich Pönack · 03.09.2008
In "Wanted" soll ein frustriertes Büro-Bübchen in die Fußstapfen des Vaters treten, der ein berühmter Auftragskiller ist. "Wanted" gerät schnell zum Gewaltstreifen der Superlative. Andreas Dresen hat mit "Wolke 9" einen zarten Alters-Liebesfilm gedreht.
"Wanted"
USA 2007. Regie: Timur Bekmambetov. Darsteller: Angelina Jolie, Morgan Freeman, James McAvoy. 110 Minuten, ab 12 Jahren

Timur Bekmambetov ist ein russischer Filmemacher, 1961 in Kasachstan geboren. In den 90er arbeitete er zunächst als Werbefilmer und schaffte es mit zwei Low-Budget-Streifen in die Kinos. Mit dem Fantasy-Thriller "Wächter der Nacht – Nochnoi Dozor" gelang ihm 2004 der Durchbruch. Mit der Fortsetzung "Wächter des Tages – Dnevnoi Dozor" übertraf Bekmambetov den kommerziellen Erfolg des ersten Teils (der Film spielte allein in Russland an der Kinokasse über 30 Millionen Dollar ein und stellte hier einen neuen Kassenrekord auf).

"Wanted" ist nun Bekmambetovs erster Hollywoodfilm, kostete 75 Millionen Dollar und basiert auf der gleichnamigen Comic-Minireihe von Mark Millar. Im Mittelpunkt steht das schmächtige wie frustrierte Büro-Bübchen Wesley Gibson. Ein sanftmütiger Loser-Typ, der ständig nur gemobt wird: Von seiner zickigen Freundin ebenso wie von seiner Schikane-Chefin.

Doch dann lernt er die attraktive Fox kennen. In einer Apotheke, wo es auch sogleich zu einem gigantischen Schusswechsel kommt. Der Grund: Wesley ist der Sohn eines berühmten Auftragskillers und soll nun in dessen Fußstapfen treten. Bis es allerdings soweit ist, muss er trainiert werden. Also sitzt er "fest" auf einem Stuhl und kriegt permanent "die Fresse dick" geprügelt. Dann ab ins kalte Wasser, um sogleich die Prozedur zu wiederholen. Bis "der Kleene" endlich RICHTIG abgehärtet ist und für die Bruderschaft ins Killer-Feld ziehen kann. Das Motto dieser vermeintlich "gütigen Organisation": Um Stabilität in einer instabilen Welt zu erzeugen, werden Einzelne getötet, damit Tausende weiterleben können.

Vergessen wir Sinn, Inhalt, Logik, Spaß oder etwa Ironie. Dies hier ist ein bitter-ernster, bitterböser, dauer-blutiger Gewalt-Thriller, der über die Alibi-Schiene 'Comic' einzig und allein daran interessiert ist, lustvoll vorzuführen, wie schön Gewalt ist. Menschen, Autos und Züge werden in aufwendigen Action-Szenen explodierend durch die Luft katapultiert, währenddessen unerschöpfliche Mengen von Blut fließen.

Brutalitäten allerorten: exzessiv, viehisch, gemein und höchst spekulativ. Wie schön ist es doch, Menschen zu verhackstücken, zu massakrieren und leiden zu sehen, sie ab- bzw. auszuschlachten, anzuschießen oder zu töten. Moralische Skrupel sind weder gestattet noch erlaubt. Völlig humorfrei läuft diese Menschen-Vernichtungsmaschinerie ab, mal in Zeitlupe stilisiert, mal schreiend-real. Eine Orgie der Gewaltverherrlichung, eine Ekel-Show der Superlative – abstoßend, widerlich, dämlich.

Um das auch verkaufen zu können, wurden Stars wie Angelina Jolie, Morgan Freeman und der 30-jährige Schotte James McAvoy ("Der letzte König von Schottland", "Abbitte") engagiert. Doch für sie heißt es ständig nur, sich der riesigen Technik-Maschinerie und der Dauer-Ballerei unterzuordnen. Ihre Figuren sind und bleiben ebenso leer wie hölzern und doof. Ein mieser Genre-Film.

<im_46330>"Wolke Neun" (NUR IM ZUSAMMENHANG MIT DEM FILMSTART)</im_46330>"Wolke 9"
Deutschland 2008. Regie: Andreas Dresen. Darsteller: Ursula Werner, Horst Westphal, Horst Rehberg, Steffi Kühnert. 98 Minuten, ab 16 Jahren

Andreas Dresen – ein wirklich ehrenwerten Regisseur: Der 45jährige Geraer, Sohn des Theater-Regisseurs Adolf Dresen und der Schauspielerin Barbara Bachmann, absolvierte ein Volontariat im Defa-Studio für Spielfilme und war Regie-Assistent bei Günter Reisch ("Anton, der Zauberer"). Es folgte ein Regie-Studium an der Hochschule "Konrad Wolf" in Potsdam-Babelsberg. Seit 1992 arbeitet Dresen als Autor und Regisseur. Nach den vielbeachteten Fernsehfilmen ("Kuckuckskinder" 1994, "Die Polizistin" 2000) entstanden die Kinofilme "Halbe Treppe" (2002) und "Sommer vorm Balkon" (2005). Andreas Dresen wurde mit Preisen überhäuft. Im vergangenen Jahr adelte ihn der Bundespräsident schließlich mit dem "Bundesverdienstkreuz am Bande".

Dresen ist der gewitzte Lobbyist der "kleinen", der "normalen" Geschichten und Leute im Kino. "Wolke 9" hatte seine Welturaufführung im Frühjahr bei den Filmfestspielen von Cannes. Hier stieß er auf großes Interesse und bekam viel Lob. Denn das Thema ist ein im Kino lange vernachlässigtes: Liebe, Sex, Leidenschaft und Zuneigung im Alter. Der Film spielt jenseits der "werberelevanten Körper- und Fratzen-Kultur", die tagtäglich auf uns niederprasselt. Nach "Kirschblüten - Hanami" von Doris Dörrie und "Elegy" von Isabel Coixet nun also "Wolke 9":

Inge und Werner, ein Berliner Rentner-Ehepaar, seit 30 Jahren verheiratet. Sie ist Mitte 60, er über 70. Die alltäglichen Lebensgewohnheiten sind ebenso eingespielt wie genügsam. Werner liebt Bahn fahren und hört schon mal Schallplatten mit dem spezifischen Rattern und Zischen der unterschiedlichsten Dampfloks. Die Wohnung der beiden riecht in Sachen Möbel und Tapeten nach 70er Jahre-Look.

Als der 76-jährige Karl auftaucht, überfällt es Inge wie ein Erdbeben. Wie ein Teenager ist sie plötzlich wieder verliebt. Selbst staunend, fühlt sie, erlebt sie, macht sie. Die Ehe hält diesem Gefühlsansturm nicht stand. Auch, weil Inge nicht lügen kann, nicht lügen will. Ein feiner Film, lange Zeit. Bei dem man auch streiten darf, ob man - wie hier - jeder Form der Intimität bewohnen muss. Andreas Dresen rückt seinen Protagonisten buchstäblich "auf die Pelle". Was aber weder peinlich wirkt, noch ist, sondern mit sinnlicher Würde glaubwürdig überzeugt. Gerade wegen der welken Haut, den Falten und Furchen, den ungelenken Bewegungen.

Ein bisschen "planloser" wirkt das Spielen ohne Drehbuch. Alle drei Hauptfiguren entwerfen ihre Typen selbst und improvisieren ihre Texte. Zusammen mit der dokumentarischen Kamera von Michael Hammon kommt man dadurch den Menschen sehr nahe. Die dramaturgischen Durchhänger oder Wiederholungen sind aber leider oft mehr als nur momentweise Atempausen.

Das Entscheidende jedoch ist die letzte halbe Stunde: Wenn dieser feine, atmosphärische Alters-Liebesfilm plötzlich einen ganz schalen, unklugen, reaktionären Beigeschmack bekommt. Wenn nun aus Inge vehement "die Sünderin" gemacht wird. Wenn sie bildlich "schuldig" gesprochen wird, wenn nunmehr Tränen, Entsetzen, Leere, Schuldgefühle und auch Trauer an der Tagesordnung sind. Wenn Inge emotional "büßen" muss. Für ihre Doch-Unmoral? Für ihr Doch-falsches-"Gefühls-Umsteigen" im Alter? Für das mutige, couragierte, aber eigentlich auch ganz "normale" Überhaupt-Zulassen von Nochmal-Leidenschaft im gehobenen Alter?

Würde der Film im Mittelalter spielen, würde man Inge verbrennen. Als Zuschauer bin ich nun plötzlich verstimmt. All die guten Denk- und Fühl-Absichten bekommen am Ende einen üblen Beigeschmack. Motto: Ältere Frau (oder alter Mann), bleib´ bei deinen Lenden-Leisten, sonst kommt doch der dicke Hammer und fällt dich moralisch nieder. Völlig unverständlich diese Entwicklung, dieser düstere Epilog, dieses schwere wie schwermütige Schuldbrummen!

Ursula Werner, Horst Rehberg und Horst Westphal sind spannende Gesichter, Körper, Menschen. Ein Dreier-Dream-Team, das lange Zeit für Neugierde, Anteilnahme, Betroffenheit, Lächeln und Mit-Gefühl sorgt. Für den völlig verkorksten Schluss können sie nichts, hätten sich aber, eventuell – so ohne Drehbuch, also mitbestimmend - gegen diese Tendenz wehren sollen. "Wolke 9" wäre so vielleicht ein Meisterwerk geworden. Das Schuldigsprechen der "unmoralischen Frau" wirkt nun aber lange nach. Ein zwiespältiger Wurf.
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