Gewalt gegen Journalisten

"Das kannte ich nur aus autoritären Regimen"

Pegida-Demonstration am Montag, den 12. Oktober 2015 in Dresden
Auf Pegida-Demonstrationen werden Journalisten häufig als "Lügenpresse" beschimpft © AFP / ROBERT MICHAEL
Frank Überall im Gespräch mit Dieter Kassel · 24.11.2015
Geschubst, bespuckt, mit Mord bedroht: Journalisten sähen sich hierzulande wachsender rechtsextremer Gewalt ausgesetzt, sagt Frank Überall. Gleichzeitig fordert der DJV-Chef mehr Selbstkritik der Medien: Nicht immer würden Bericht und Kommentar deutlich getrennt.
Früher seien Journalisten bei rechtsextremen Aufmärschen angeschrien worden, sagt Frank Überall - etwa mit den Worten 'Wir kriegen euch alle!'. Das sei unangenehm gewesen, habe aber nicht weh getan: "Mittlerweile ist es wirklich so, dass einem das Mikrofon aus der Hand geschlagen wird, dass die Kamera geblendet wird, dass eine Kollegin in einen Hauseingang geschubst und bespuckt wird und (...) dass die Polizei vielleicht nicht wegguckt, aber doch oft recht lange braucht, bis sie reagiert." Allerdings äußerte Überall dafür auch Verständnis, denn Polizisten seien derzeit völlig überlastet.
Er habe sich nie vorstellen können, einmal Angst haben zu müssen, diesen Job zu machen, sagte Überall: "Das kannte ich nur aus autoritären Regimen."
Zunehmende Boulevardisierung und Emotionalisierung
Nach Darstellung des DJV-Vorsitzenden haben Übergriffe und Morddrohungen von Rechtsextremisten bereits dazu geführt, dass manche Journalisten nicht mehr in dem Bereich arbeiten wollten: "Das ist sehr schade, weil wir viele Kolleginnen und Kollegen brauchen, die Fakten sammeln, die Fakten prüfen auch in der rechtsextremen Szene, die erklären und die einordnen." Andererseits sei unter Journalisten auch Selbstkritik gefragt: So falle die Berichterstattung einer Boulevardisierung und Emotionalisierung zunehmend zum Opfer. Bericht und Kommentar würde nicht immer deutlich genug getrennt.
Insgesamt seien die Menschen wacher geworden gegenüber journalistischer Arbeit, sagte Überall: "Nicht jeder, der 'Lügenpresse!' ruft, (...) ist automatisch direkt rechtsextrem. Es gibt durchaus Menschen, die sich nicht mehr vertreten fühlen."

Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Das Wort Lügenpresse ist zum ersten Mal im 19. Jahrhundert aufgetaucht und erreichte traurige Berühmtheit schon im Ersten Weltkrieg, vor allem aber dann in der Zeit der Nazidiktatur. Es war immer diffamierend gemeint und deshalb sollten wir es besser gar nicht mehr benutzen, aber es ist seit Monaten regelrecht in aller Munde oder vieler zumindest. Der deutsche Journalistenverband informiert deshalb heute in Erfurt über die Bedrohung von Journalisten und die Behinderung von deren Arbeit. In einer Pressekonferenz mit dem relativ frisch gebackenen Bundesvorsitzenden des Journalistenverbandes, Frank Überall, der ist jetzt wirklich gerade noch in Berlin am Handy. Schönen guten Morgen, Herr Überall!
Frank Überall: Guten Morgen, Herr Kassel!
Rechtsextreme Gruppen machen viel mehr mobil als früher
Kassel: Es soll da heute in Erfurt bei dem, was Sie vorstellen, nicht nur um Diffamierungen im Internet gehen, sondern auch um Morddrohungen und Angriffe auf Redaktionen. Wie alltäglich ist denn das inzwischen in Deutschland?
Überall: Man muss nur einmal zu einer sogenannten Pediga-Demonstration gehen oder auch Hogesa, also die Hooligans gegen Salafisten. Verschiedene rechte Gruppen machen viel mehr mobil als das in der Vergangenheit der Fall war. Ich selbst habe seit über 20 Jahren über rechtsextreme Aufmärsche berichtet und da kannte man das, dass man schon mal angeschrien wird, dass sich so eine Gruppe von Demonstrationsteilnehmern um die Journalisten versammelt und dann ruft "Wir kriegen euch alle". Das tut nicht weh, das war unangenehm, aber tut nicht weh.
Mittlerweile ist es wirklich so, dass einem das Mikrofon aus der Hand geschlagen wird, dass die Kamera geblendet wird, dass eine Kollegin in einen Hauseingang geschubst und bespuckt wird, und – und das ist das, was mich sehr sorgenvoll stimmt –, dass die Polizei vielleicht nicht wegguckt, aber doch oft relativ lange braucht, bis sie reagiert. Das ist natürlich von Ort zu Ort, von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich, aber um Teil ist es eben wirklich so, dass die Stimmung so angespannt ist und die Polizei es nicht mehr ganz in den Griff bekommt. Und da wünsche ich mir, dass wir eben auch mit Organisationen der Polizei mehr ins Gespräch kommen, auch mit Politikern mehr ins Gespräch kommen, wie denn Kolleginnen und Kollegen vor Ort da auch adäquat geschützt werden können.
Die meisten Journalisten arbeiten seriös und anständig
Kassel: Ist denn das Bewusstsein dafür da oder haben Sie manchmal auch das Gefühl, die Behörden sagen auch, na ja, wenn die da sich mitten reinstellen und provozieren, dann sind sie selber schuld?
Überall: Genau Letzteres ist öfter mal der Fall, also offiziell sagen natürlich alle, ja, selbstverständlich, Pressefreiheit muss garantiert sein, aber im Konkreten ist es natürlich auch relativ schwierig, viele Journalisten, die dann da auftauchen, in irgendeiner Weise dann auch einzuhegen, und da fühlen sich manchmal dann auch die Polizisten provoziert. In unserem Berufsfeld gibt es natürlich schwarze Schafe, da möchte ich gar nicht drum herum reden, natürlich gibt es da welche, die tatsächlich ganz nah an die Demonstranten rangehen und Porträtfotos machen.
Trotzdem: Es gibt eben diejenigen, die seriös und anständig arbeiten, und da fehlt mir manchmal schon ein bisschen die Aufmerksamkeit seitens der Polizei, wobei ich auch verstehen kann, dass die völlig überlastet sind – Fußballspiele, Terrorgefahr, die Einsatzhundertschaften, die quer durch die Republik gekarrt werden und kaum Freizeit haben, Überstunden vor sich herschieben, eigentlich viel zu wenig Personal haben –, ich kann das alles menschlich verstehen. Auf der anderen Seite konnte ich mir nie vorstellen, dass ich irgendwann mal mit meinen Kolleginnen und Kollegen Angst haben muss, meinen Job zu machen, das kannte ich nur aus autoritären Regimen.
Morddrohung per Todesanzeige
Kassel: Diese Angst kann ja auch anders vermittelt werden – es gibt ja auch immer wieder Drohungen, auch durchaus Morddrohungen, die dann per E-Mail – oder das ist heute selten, auch noch Post – bei Journalistinnen und Journalisten eintreffen. Inwiefern behindert das inzwischen wirklich auch das freie Arbeiten? Ich hätte jetzt schon Verständnis, wenn der eine oder andere dann sagt, das macht mir schon Angst, ich konzentriere mich jetzt einfach mal auf andere Themen.
Überall: Ja, natürlich. Ich habe am Wochenende beim Journalistentag in Nordrhein-Westfalen vom DJV mit zwei Kollegen gesprochen aus Dortmund, über die Todesanzeigen veröffentlicht worden waren – also die leben noch – mit dem Hinweis, wie sie denn zu Tode kommen werden, ganz klar aus der rechtsextremen Szene. Die haben mittlerweile auch Polizeischutz, was kein Vergnügen ist, wenn man ständig unter polizeilicher Überwachung stehen muss, weil man ständig Angst haben muss.
Die beiden geben nicht auf, aber es gibt durchaus einige, die sagen, hör mal, um den Bereich kümmere ich mich lieber nicht, ich verdiene mein Geld lieber in anderen Feldern. Das ist sehr schade, weil wir eigentlich viele Kolleginnen und Kollegen brauchen, die Fakten sammeln, die Fakten prüfen, auch in der rechtsextremen Szene, die erklären und die einordnen, die einfach für uns einordnen, was passiert da eigentlich.
Dennoch ist mehr Selbstkritik bei Journalisten gefragt
Kassel: Nun ist aber nicht jeder der Journalisten, der den Journalismus in Deutschland – es wird dann ja gerne pauschalisiert – kritisiert, gleich jemand, der der rechtsextremen Szene zuzuordnen ist. Gestern hat in unserem politischen Feuilleton der Fernsehjournalist Wolfgang Herles gesagt, die deutschen Medien würden nicht lügen – er bezog sich da auf den Begriff Lügenpresse –, die würden nicht lügen, sie hätten sich aber selbst Denkgrenzen gesetzt, Zitat Herles, hätten sich Denkgrenzen gesetzt und seien geprägt von einem irritierenden Konformismus. Ist nicht gerade in der momentanen Lage, wo es auch einen großen Vertrauensverlust gibt, auch Selbstkritik gefragt?
Überall: Natürlich ist Selbstkritik gefragt, ich bin ja in anderem Beruf Journalismusprofessor und diskutiere jeden Tag mit meine Studierenden an der HMKW-Hochschule darüber, wie man denn letztendlich Journalismus betreiben muss, und das, was ich von einigen älteren Kolleginnen und Kollegen noch so mitbekomme, dass man sich sozusagen auf dem Berg stellt und von dort aus erzählt, wendet, schreibt, das hat sich eben überlebt. Wir müssen auch in unserem Berufsstand im Moment sehr deutlich umdenken.
Früher, bis dann mal jemand einen Hörerbrief, einen Leserbrief geschrieben hat, das war schon eine Schwelle, die war etwas höher. Heute wird man eben bombardiert mit sogenannten Shitstorms, also mit Äußerungen im Internet, wo man unter Umständen auch schnell reagieren muss. Da hat sich einiges geändert – die Leute sind insgesamt wacher geworden gegenüber journalistischen Produkten, gegenüber journalistischer Arbeit, und zuweilen kümmern wir uns da nicht intensiv genug drum.
Nicht jeder, der "Lügenpresse" ruft, ist rechtsextrem
Nicht jeder, der Lügenpresse ruft, der dieses Etikett, das vor allem von Rechtsextremen im Moment aufgegriffen wird, wer dieses Etikett auch mitträgt, ist automatisch direkt rechtsextrem. Es gibt durchaus Menschen, die sich einfach nicht mehr vertreten fühlen. Wobei, wenn ich mir auf der anderen Seite anschaue, welche Bandbreite an Medien wir wirklich haben, alleine im Zeitungsbereich auch immer noch, also bei mir, ich bin als freier Journalist meistens unterwegs, und dann suche ich mir halt aus, in welchem Medium ich meine Geschichte erzähle. Mir persönlich ist es noch nie passiert, dass ich eine Geschichte gar nicht untergebracht bekäme.
Kassel: Aber muss man nicht trotzdem – wir sind übrigens in Zeitnot, weil Sie nach Erfurt müssen, ich erteile Ihnen hiermit die Genehmigung, die nächste Frage im Laufschritt zu beantworten –, muss man nicht auch – dieser irritierende Konformismus, von dem Wolfgang Herles da gesprochen hat, den stelle ich manchmal auch bei mir selber fest –, muss man nicht auch mal darauf achten, auch wenn man selber eine Meinung hat und die für richtig hält, gerade wenn es um Flüchtlinge geht, Willkommenskultur, immer mitzudenken, nicht jeder teilt diese Meinung, und ich muss eigentlich nicht ständig meine Meinung hier preisgeben, ich muss einfach das berichten, was wirklich Tatsache ist?
Oft werden Berichterstattung und Kommentar nicht deutlich genug getrennt
Überall: Ja, wir müssen weiterhin auch Berichterstattung und Kommentar deutlich trennen, und das ist oft nicht so ganz der Fall. Da hat sich in den letzten Jahren auch einiges geändert. Ich glaube, das ist immer mehr im Zuge der Boulevardisierung, der Emotionalisierung in vielen Medien zum Opfer gefallen, diese klare Trennung. Es ist immer schön, feuilletonistisch kommentierend einzusteigen in eine Geschichte, aber da kommt dann auch dieser Konformitätsdruck, dass man sich eben dem Medium beugen muss, was so die redaktionelle Grundstimmung ist, und insofern sollte man durchaus A, den Mut zum Handwerk haben, eben Bericht und Kommentar deutlich zu trennen, aber B, auch natürlich den Mut zur eigenen Meinung, sofern sie auf dem Boden des Gesetzes steht.
Kassel: Dann sage ich jetzt schon mal danke und lasse Sie zum Zug laufen, denn sonst bin ich schuld, dass die Pressekonferenz ohne Sie stattfindet. Danke, Frank Überall!
Überall: Danke auch, Herr Kassel!
Kassel: Gute Fahrt! Frank Überall war das, er ist der noch relativ frisch gebackene Bundesvorsitzende des Deutschen Journalistenverbands, aber auch selber erfahrener Journalist und Journalistenausbilder, mit ihm haben wir über den Vorwurf der Lügenpresse gesprochen, welche Folgen das, ein gewisse Feindschaft, gewisser Kreise gegenüber Journalisten inzwischen schon hat im Arbeitsalltag, aber auch darüber, ob nicht eine gewisse Nachdenklichkeit, was diese Kritik angeht, auch mal nicht unangemessen ist. Pressekonferenz in Erfurt ist heute Vormittag, das Thema ist aber damit sicherlich nicht erledigt, auch nicht für uns.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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