Gewalt als Teil der Sozialhistorie

Historiker Metz: Gewalt als Teil menschlicher Sozialhistorie
Historiker Metz: Gewalt als Teil menschlicher Sozialhistorie © Stock.XCHNG / Nate Nolting
Rezensiert von Ulrich Baron · 17.04.2011
Der Historiker Karl Heinz Metz analysiert die Gewalt als ein Movens menschlicher Sozialhistorie. Sie bricht auch dort hervor, wo sich Menschen als zivilisiert und als Angehörige einer Kulturnation sehen wollen.
Angesichts von Morden im engsten Familienkreis, Kriegen und terroristischen Anschlägen, mag man eigentlich nicht annehmen, dass Gewalt eine Geschichte haben soll. Bricht sie doch immer wieder in barbarischer Form auch dort hervor, wo sich Menschen als zivilisiert und als Angehörige einer Kulturnation sehen wollen. Doch Geschichte lässt sich gerade deshalb auch als Versuch verstehen, solche Ausbrüche abzuwehren, zu bändigen oder die Gewalt in den Dienst der eigenen Sache zu stellen. So analysiert der Historiker Karl Heinz Metz die Gewalt als ein Movens menschlicher Sozialhistorie:

"In der Bannung der Gewalt entsteht Gemeinschaft, weil sich in ihr die Furcht löst, jene Fremdheit zwischen Menschen, die fundamental ist. Gemeinschaft bannt Gewalt in ihren beiden elementaren Formen: als Gewalt, die den weiblichen Körper besitzen will, als Gewalt, welche die menschliche Arbeit und die von ihr erzeugten Güter besitzen will. Sexualität und Gewalt, das heißt Kräfte, die unmittelbar den Körper ergreifen, zwingen fort zur Vermittlung solcher Unmittelbarkeit als Religion und politischer Gemeinschaft."

Nach kurzen Abhandlungen zur Gewalt in Antike und Mittelalter und einem Exkurs über "Das Recht als Gewalt" konzentriert sich Metz auf die Gewalt in der modernen Welt - gegliedert in die Aspekte Revolution, Krieg und Terror. Er zeigt, wie die Indienstnahme der Gewalt durch Religion und Politik diese verändert hat und wie aus einer Religion, die im Zeichen des Gekreuzigten und der Märtyrer angetreten war, eine Kirche hervorging, die selbst Gewalt ausübte oder deren Ausübung legitimierte:

"Gewaltfähig und durchaus gewalttätig in ihren Territorien, zur Gewalt aufrufend in den Predigten gegen die Ungläubigen blieb die christliche Kirche im Kreis der Gewalt. Die Vorstellung, dass der Krieg an sich von Übel sei, war der Unterscheidung ‚gerechter’ und ‚unrechter’ Kriege gewichen, und die ersten gerechten Kriege waren jene, die um des rechten Glaubens willen gefochten wurden."

An der Unerbittlichkeit, mit der da gefochten wurde, habe sich nichts geändert als Religion durch politische Utopie und Moral durch Wissenschaft ersetzt worden sei. Je radikaler die Revolutionäre des 18. und 20. Jahrhunderts mit den bestehenden Verhältnissen hätten brechen wollen, desto erbarmungsloser sei die möglichst vollständige Zerstörung des Alten von einer totalitären Gewalt gegen dessen Anhänger begleitet worden. Die zur Wissenschaft erhobene Utopie habe dazu die Lizenz erteilt, indem sie den Menschen zu einem beliebig form- und zerstörbaren materiellen Objekt erklärt habe:

"Das nie ganz fortzuschaffende moralische Dilemma eines im Namen der Moral, der Tugend und Menschenrechte ‚Feinde und Gleichgültige’ liquidierenden revolutionären Humanismus verschwindet, wenn ‚Wissenschaft’ die Moral ersetzt bzw. von sich ableitet."

Am Anfang steht hier das Wort, das den unbeschränkten Einsatz von Gewalt und damit totalitäre Herrschaft legitimiert. Doch je konkreter und schmutziger Gewalt wird, desto stärker scheint es Metz zu widerstreben, diese wahr- und ernst zu nehmen. Sein Kapitel über den Terror leitet er mit einer Abhandlung über "Sprache und Gewalt" ein. Das Eigentümliche terroristischer Gewalt nämlich sei, dass sie mit Worten beginne, mit der Entwicklung einer "totalitären" Sprache, an der sich Gesinnungsgenossen erkennen und mit der sie sich nach außen abschotten würden.

Solche Mechanismen aber gibt es auch im Rahmen jugendlicher Gruppenbildung, und so gerne man Metz durch die große Geschichte folgt, so irritiert liest man, was er über die RAF schreibt. Deren Protagonisten wirft er einen "ideologischen Analphabetismus" vor, der sich nur auf der "Ebene der Fäkalausdrücke" habe artikulieren können. Für einen Historiker der Gewalt, dem zumindest Soldatensprache schon einmal zu Ohr gekommen sein sollte, erscheint das erstaunlich zart besaitet und gipfelt im Kurzschluss:

"Die Zerstörung der Sprache führt folgerichtig zur Zerstörung durch Gewalt."

So einfach lassen sich luzide Ideengeschichte und brutale Wirklichkeit nicht zusammen führen. Und etwas raffinierter als Metz es wahrhaben will, waren die Führer der RAF dann doch.

Sie terrorisierten nicht nur die Mächtigen; sie provozierten damit auch eine staatliche Gegengewalt, die die Bundesrepublik zumindest zeitweise jenem System ähneln ließ, dessen Bekämpfung sie sich verschrieben hatten. Auch das aber unterstreicht das Resümee, das Metz endlich zieht: Man müsse mit der Gewalt leben, aber ohne sie hinzunehmen, und es sei ein fataler Irrglaube, "dass man mit Gewalt die Gewalt beenden könne".


Karl Heinz Metz: Geschichte der Gewalt
Primus Verlag, Darmstadt 2010.
320 Seiten, 29,90 Euro.